Er nannte mich einen „Wolf im Schafspelz“

Mein Abschied von der Theologie war ein langer und quälender Prozess. Allerdings nicht, weil ich Höllenqualen fürchtete, sondern weil ich fürchtete, die Arbeit, die ich bislang getan hatte, zu diskreditieren.

Eigentlich glaubte ich an viele wesentliche Punkte des Christentums schon lange nicht mehr. Es durfte aber für katholisches Denken bezeichnend sein, dass ich in der obligaten Beichte vor der Diakonatsweihe dem Beichtvater meine Schwierigkeiten mit einigen Punkten des Glaubens bekannte. Daraufhin lobte er mich und sagte, solche Leute brauche die Kirche. Heute sehe ich die Frage etwas anders. Ich befand mich damals noch in der Unmündigkeit des Gläubigen. Immerhin mag so erklärlich sein, wieso es nur eines vergleichsweise kleinen Anlasses bedurfte, um meinen Entschluss, die Theologie zu verlassen, in die Tat umzusetzen.

Der sich gerne modern gebende Bischof Moser hatte ein dichtes Netz der Überwachung aufgebaut. Er glaubte auch mich benutzen zu können, um Küng zu „domestizieren“. Dagegen verwahrte ich mich ausdrücklich.

In meiner Vorlesung zum "Ordinationsrecht" behandelte ich auch die Frage, wie man aus dem geistlichen Stand wieder herauskommen kann. In der daran anschließenden heftigen Diskussion mit den Studierenden hielten diese mir vor, sie für etwas auszubildenden, was in seiner Konsequenz zutiefst unmoralisch sei. Dadurch wurde ein Denkprozess in mir vorangetrieben, der schon lange schwelte. Mir wurde klar, dass ich es nicht verantworten konnte, junge Menschen für einen Beruf auszubilden, hinter dem ich selber nicht voll und ganz stand. Zumal ich nach diesem Disput mit den Studierenden zum Bischof zitiert wurde und er mich im vorwurfsvollem Ton fragte, warum ich denn alles, was ich wüsste, den Studenten sagen würde. - Das war übrigens ein Vorwurf, den ich oft in meiner Professorenlaufbahn hören musste, es sei ja alles richtig, was ich sage, aber warum müsse ich das vor Laien oder den Studierenden sagen. - Dabei handelte es sich nicht um Glaubensfragen, sondern um Tatsachen, die auch nicht bestritten wurden.

Nachdem Ratzinger Tübingen bereits verlassen hatte, stellten wir fest, dass zwei Assistenten von ihm ein Pamphlet in der Zeitschrift "Neues Hochland“ veröffentlicht hatten, in dem sie es so darstellten, dass die Fakultät von zwei Kollegen, nämlich Josef Möller und mir, manipuliert worden sei. So schief diese Darstellung auch war, so enthielt sie doch Interna, die erkennen ließen, dass Ratzinger ihnen die Feder geführt hatte. Damit war der Beginn des Endes der ehemals so erfolgreichen theologischen Fakultät Tübingen eingeläutet: vier Kollegen wechselten in andere Fakultäten und ich verließ sie auch bald darauf.

Liebende Empfindungen im weitesten Sinne sind für jeden Menschen elementar und gerade für einen ‚Seelsorger’ unverzichtbar – denke ich jedenfalls. In diesem Zusammenhang die Frage, ist das Zölibat eine Sackgasse oder von bedeutender Wichtigkeit?

Ich bleibe bei dem ersten Aspekt der Frage: Ich hatte damals eine Assistentin, die mich einerseits heftig kritisierte und mir gleichzeitig immer wieder rote Rosen auf dem Schreibtisch stellte. Zu ihrem großen Kummer nahm ich diese Blumen überhaupt nicht wahr! Erst nach dieser Diskussion der Studierenden bemerkte ich dieses kleine aber deutliche Zeichen der Zuneigung. Jene Assistentin ist heute meine Frau. Manchmal sage ich heute zu ihr mit dem Vers aus einem Kirchenlied: "Ach, dass ich Dich so spät erkannte!“

Dann ging alles sehr schnell. Ich war der erste und bislang wohl der einzige Theologe, der von sich aus den kirchlichen Lehrauftrag zurückgegeben hat. Die Stelle einer Assistentin war zeitlich befristet und sie wurde dann ins Bischöfliche Ordinariat als Referentin für die Vorschulerziehung übernommen. Am Tag unserer Hochzeit jedoch erhielt sie die Kündigung. Ich dagegen hatte das große Glück, dass ich aufgrund meines Ansehens, das ich im Ministerium genoss, dank meiner Verbeamtung auf Lebenszeit in meinem Beruf weiter arbeiten konnte und mir sogar das Fachgebiet heraussuchen konnte, in dem ich weiter beschäftigt sein wollte. Die Kirche allerdings hätte mich gerne in Arbeitslosigkeit und Armut gestoßen.

Zum zweiten Teil der Frage: Ja. Das Zölibat ist eine Sackgasse. Jeder weiß darum, darf aber nicht darüber sprechen.


Warum ein Sprechverbot?

Weil es für das Zölibat keine Gründe gibt.