Ein „Band der Freundschaft“ knüpfen (II)

hpd: Nun gut, wechseln wir das Thema. Wir hatten vorhin ja bereits ein paar Facetten des Verhältnisses der Griechen zur Natur angesprochen und ein besonderer ist der Dionysos-Mythos. Inwiefern ist der etwas Besonderes oder eigenartig?

Streminger: Für Dionysos wurde auf der Akropolis ein eigener Tempel errichtet. Der diesbezügliche Mythos lautete, dass der Gott im Herbst, wenn die Tage kürzer werden, gefoltert und schließlich getötet wird. Die Natur trauert. Aber Dionysos kommt im Frühjahr im Triumphzug zurück, er kehrt heim auf seine Erde und lässt wieder die Triebe sprießen und alles wird für lange Zeit gut. Ganz anders der christliche Mythos: Da stirbt Jesus, also Gott selbst oder sein Knecht, nur einmal am Kreuze, verweilt dann einige Tage im Totenreich und entfleucht in den Himmel, von wo er ursprünglich gekommen ist, um uns am Ende aller Zeiten zu richten. Das ist der gewaltige Unterschied: Der griechische Gott blieb seiner Erde treu, er blieb eingebunden in den natürlichen Kreislauf von Entstehen und Vergehen, in den Zyklus der Jahreszeiten. Jesus hingegen kehrte der Erde und der Natur, die von der Erde hervorbracht wird, den Rücken und fuhr zurück in den Himmel zum Vater, mit dem er, der Sohn -- wenn man das nur richtig verstehen tut –, ja im Grunde eins ist. Hand auf’s Herz: Welcher Mythos ist wohl der schönere?

Ein anderer griechischer Mythos ist derjenige des Pan, des Gottes der Natur. Er schläft gerade dann, wenn die Sonne im Zenit steht, also in der heißesten Zeit des Tages und die ganze Natur hält stille, um ihn nicht zu stören.

hpd: Also, die ‚Siesta’ der Menschen zur heißen Mittagszeit nur, um den schlafenden Pan nicht zu wecken...

Streminger: Ja, vielleicht, ursprünglich. Dieser Pan wurde nun als Mischwesen dargestellt, halb Mensch, halb Ziege. Eben dieses Mischwesen, der Gott der Natur, wurde in der christlichen Mythologie … zum Teufel. Die teuflische Natur hier und das Göttliche dort! Wie viel an Schrecklichem, das im Christentum geschehen ist, lässt sich auf so einfache Weise veranschaulichen!?

Diese Diesseitsfeindlichkeit findet sich bereits im Genesisbericht, in der Erzählung von der Schlange. Sie ist laut christlicher Lehre das Wesen, das die Menschen belogen hat. Aber die Schlange ist ebenjenes Tier, das der Erde am nächsten ist! Die Verleumder des Diesseits gebrauchten sie, die augenfälligste Erdenbewohnerin, um wieder einmal das (überprüfbare) Diesseits zu verdrießen und damit die Lust am (unüberprüfbaren) Jenseits zu steigern. Dort werde am Jüngsten Tag dann endlich auch der Spreu vom Weizen getrennt, heißt es, selbst den Armen werde Gleichbehandlung widerfahren -- vorausgesetzt, sie waren bereit, die Ungleichheit im Diesseits zu akzeptieren.

Menschen sind also laut christlicher Frohbotschaft die Krone der Schöpfung und der Feind der Natur. Macht Euch die Erde untertan!, lautet ja das Gebot Gottes. Aber in Wirklichkeit verdient die Natur viel mehr Ehrfurcht als die von Priestern erfundenen Geschichten über den gerechten Gott, zum Beispiel diese: Um den Menschen zu bestrafen, wurde die ganze Natur geflutet (Sündflut). So sehr hat der Barmherzige seine Schöpfung geliebt!? Also: Die heidnische Vergöttlichung der Natur ist viel plausibler als die christliche Vergöttlichung des Menschen.

 

hpd: Steht das auch im Zusammenhang damit, dass viele den Baum als heilig verehren, als Sitz der Götter oder der Seelen, und das Christentum diesen Baum ja auch wiederum ins Gegenteil verkehrt, denn der Baum ist dann das Holz, an dem der Jesus getötet wird? Auch wieder die Verkehrung eines positiven Symbols von Kraft, Wachstum und Stärke, das verwurzelt ist im Boden, in das Kreuzsymbol der Schwäche, des Opfers und des Todes?

Streminger: Das ist ein hochinteressanter Gedanke, den ich so noch nie gehört habe. Das mag durchaus so sein und passte vorzüglich ins Bild, dass man im Christentum immer willens ist, die wahre, jenseitige Welt auf-, und das Hier und Jetzt, die diesseitige Welt, abzuwerten. Dabei spielt der Mythos Platons wohl auch eine gewisse Rolle, der für Theisten sehr attraktiv ist, das Höhlengleichnis nämlich: Wir Menschen sitzen in eine Art Kinosaal und sehen nur ein Abbild der Wirklichkeit. Philosophen und religiöse Menschen können sich jedoch laut Platon umdrehen und die wahre Welt schauen. Ich bin zwar Philosoph, ich Armer habe aber einen ziemlich steifen Nacken, denn ich vermag nur das zu schauen, was so vor meinen Sinnen abläuft.

hpd: Reinhard Marx, der heute als Erzbischof von München-Freising residiert, war vorher Bischof von Trier, und soll dort einmal gesagt haben, dass Karl Marx den Arbeitern ja nur eine Eigentumswohnung versprochen habe, wir, die katholische Kirche, versprechen den Menschen einen Bungalow mit Swimmingpool.

Streminger: Mmh, allerhand, was der Herr Erzbischof so alles seinen Schäflein versprechen kann. Ein wirklicher Bungalow? Mit Swimmingpool gar? Und das auf ewig? Wirklich dumm, wer angesichts solcher Aussichten sich noch über diesseitige Schätze Sorgen macht, ist es auch nur eine bescheidene Eigentumswohnung, und nicht gleich alles der Kirche spendet. Besonders dumm sind freilich jene, die sich auch noch fragen, wie eigentlich der Herr Erzbischof und die Kirche zu ihren diesseitigen Eigentumswohnungen, Palästen gar, gekommen sind? Und stimmt es wirklich, dass die katholische Kirche der größte Grundbesitzer auf Erden ist? Und warum wähnen Bischöfe sich in der Nachfolge Christi, des Besitzlosen, wo sie doch eher dem Kaiphas ähneln, jenem jüdischen Hohepriester, der maßgeblich an der Verurteilung Jesu beteiligt war?