Ein „Band der Freundschaft“ knüpfen (II)

hpd: Nun aber in Bezug auf die Realitätsverdrehung der Theologie: Was hält einen Menschen wie Drewermann, der ja erst nach seinem 65. Lebensjahr, also nach seiner Pensionierung, aus der katholischen Kirche ausgetreten ist, oder auch einen Küng, eigentlich in der katholischen Kirche? Ist es ihr Status, solange sie Kirchenmitglieder sind, als opponierender Katholik, als Märtyrer? Diesen Märtyrerstatus verlieren sie ja, wenn sie aus der Kirche austreten. Ist das die Basis für die dissidente katholische Theologie, dass sie versuchen, etwas Menschliches ins Katholische hinein zu bringen, und bisher am Ratzinger scheiterten?

Streminger: Vielleicht sollten wir nicht gleich an so etwas Unappetitliches wie Märtyrer denken, sondern zunächst einmal annehmen, dass die beiden – naiverweise – dachten, die Kirche könne von innen her verändert werden. Bei Drewermann ist das ganz deutlich, und er hat sein Herz gewiss am richtigen Fleck; zudem ist sein Versuch durchaus ehrenwert, die Psychoanalyse für das Verständnis der Evangelien fruchtbar zu machen. Ob der Drewermanirismus und die Konzeption eines an Freud geschulten lieben Jesuleins mit dem Christentum und den Evangelien allerdings noch viel zu tun hat, mögen die vielen Experten entscheiden. Aber leider scheint Drewermann unter einem Schreibzwang zu leiden, und in Interviews ist er eine ziemliche Dampfpfeife.

Auch Hans Küng hat sein Herz gewiss am richtigen Fleck, auch wenn er gegenüber kritischen Einwänden ziemlich, d. h. völlig immun zu sein scheint. So hat Hans Albert schon vor Jahrzehnten ein ganzes Buch geschrieben, in dem er Küngs Annahmen und Behauptungen zerpflückte. Aber die kritisch-rationalen Argumente prallten, soweit ich sehe, vom theologischen Schwergewicht ab wie die Tautropfen von der Mähne eines Löwen. Nehmen wir nur die Theodizee-Kritik. Ohne sich um philosophische Einwände zu scheren, redet Küngkong seit Jahr und Tag von einer ‚vernünftigen Hoffnung’, die ihn in seinem Glauben beseele, deren Vernünftigkeit allerdings nur er allein zu erkennen vermag. Denn weil es hier im Diesseits unter der Aufsicht des Allmächtigen überaus ungerecht zugeht, ist die Hoffnung, dass es anderswo anders sein werde, gerade unbegründet. Aber eine solche Spitzfindigkeit ist vor dem Hintergrund des dringlichen Entwurfs eines Weltethos natürlich kaum der Rede wert, geradezu ein philosophisches Kinkerlitzchen. Sehr bemerkenswert ist jedoch Küngs Einstellung gegenüber seinem ehemaligen Kollegen Ratzinger, dem er sogar nahe gelegt hat, doch einmal zu überlegen, ob er nicht besser als Papst zurücktrete. Durchaus bemerkenswert, meine ich, aber noch bemerkenswerter wäre es, wäre da nicht gelegentlich der etwas schale Eindruck, dass Küng am meisten darunter zu leiden scheint, nicht als einziger als unfehlbar zu gelten.

hpd: Da gibt es auch noch andere, die mir dazu einfallen würden....

Streminger: Ach ja, natürlich: der Papst selbst. Bei Josef Ratzinger gab es nach seiner Ernennung durch den hl. Geist durchaus die Hoffnung, dass er auch die Vernunft hochhalten werde. Viele nahmen an, Ratzinger sehe sich in der Tradition des hl. Thomas, des ersten Lehrers der Kirche, dem zu folge man an Gott glauben und von Gott wissen könne. Thomas, der ein großer Verehrer des griechischen Philosophen Aristoteles und des spanisch-arabischen Philosophen Averroes war, ging davon aus, dass beide Erkenntnisquellen: Glaube und Wissen bei der Erforschung der Erstursache Gott dienlich seien. Wieder war es Hans Albert, der in seinem Buch über Ratzinger gezeigt hat, dass dieser in Wahrheit einem sehr verkürzten Vernunftbegriff das Wort rede. Glaube und Vernunft seien für Ratzinger eben nicht gleichwertig, sondern dem Glauben gebühre der Primat und dieser bestimme, was vernünftig sei und was nicht. Deshalb gehe Ratzinger, so Albert, auch auf das berühmt-berüchtigte Theodizee-Problem gar nicht näher ein.

Aber wir sollten nicht allzu kritisch über den Papst reden, sondern Verständnis zeigen dafür, dass der berühmte Universitätsprofessor und Oberlehrer seine bescheidene Wohnstatt auf Erden gelegentlich verlassen und auf Reisen gehen möchte, demnächst sogar ins blasphemische England. Ob diese mutige Tat der katholischen Sache wirklich dienlich sein werde, bleibt jedoch abzuwarten. In den großen Informationssendungen der BBC dürfte zwar mit Ausführlichkeit und Interesse von den vornehmlich irischen Massenaufläufen berichtet werden, aber dem Wunder des Sakralen – etwa dem des Zölibats – wird man wohl kein tieferes und damit adäquateres Verständnis entgegen bringen. Hingegen dürften die Gläubigen eindringlich vor möglichen Taschendieben bei solchen Menschenansammlungen gewarnt werden. Oh, du praktisch denkendes Volk, dessen Sinn fürs Übernatürliche, dessen Aufstieg zum Göttlichen bei Uncle Bertie, dem Schlossgespenst, zu enden scheint.

hpd: Zurück zur Theodizee. Ist das nicht eines der Kernprobleme, das so genannte Theodizee-Problem?

Streminger: Ganz gewiss. Das Theodizee-Problem ist meines Erachtens überhaupt der Schlüssel zur begründeten Kritik an der Religion. Denn wenn nicht gezeigt werden kann, dass Gott gütig ist, dann fällt auch der Anspruch, dass er der Ursprung der Moral und Garant für Moralität sei; es fällt die Idee einer ausgleichenden Gerechtigkeit im Jenseits. Und wie sollte man zu einem Wesen, von dem man nicht einmal wissen könne, ob es überhaupt gütig sei, eine Vertrauensbeziehung aufbauen können? Das sind die für jede Religion mit einem positiven Gottesbild fatalen Folgen, wenn das Theodizee-Problem nicht gelöst wird. Und so lange dies nicht gelingt, so lange erscheint es als verwerflich, den Willen eines Wesens tun zu wollen, von dem man gar nicht weiß, dass es gut ist; noch verwerflicher ist es freilich, andere zu dieser Selbstaufgabe überreden zu wollen.