Ein „Band der Freundschaft“ knüpfen (III)

hpd: Aber es hat doch funktioniert. Paulus gilt ja als der erste Marketingdirektor des Christentums, der das Christentum erfunden hat, indem er die ursprüngliche kleine jüdische Religionsgemeinschaft, nach Rom wechselnd, unter Beimischung griechischer, römischer und orientalischer Mythen erst zu dem entwickelt und gebaut hat, was dann später Christentum genannt wurde.

Streminger: Ja, Jesus ist nur der Held des Christentums, und zwar in seiner Rolle als Christus, als derjenige, der von den Toten wieder auferstand. Aber Paulus war der Begründer, der sich für den Menschen Jesus kaum interessierte, wohl aber für Christus. Paulus ist also der Schöpfer des Christentum, und seine Botschaft vom jenseitigen Heil und, insbesondere, von der vollständigen Sündenvergebung war natürlich auf keinen Fall unattraktiv, gerade auch nicht für das Gesindel. In Athen, bei den Philosophen, ist Paulus aber als ziemlicher Kasperl abgeblitzt, wenn ich mich recht erinnere, und Paulus hat folglich gegen Philosophen und die am Diesseits orientierte Vernunft Gift und Galle gespuckt: „Sehet zu, dass euch niemand einfange durch Philosophie und leeren Trug, gegründet auf der Menschen Lehre und auf die Elemente der Welt und nicht auf Christus.“ Was wäre eigentlich aus der Welt geworden, wenn man die Sache einfach umgedreht hätte und den Verfasser der obigen Zeilen eingefangen und – natürlich in einem Palast mit hängenden Gärten und kleinem Harem – unter Hausarrest gestellt hätte?

hpd: Wenn wir so reden, dann fühle ich mich manches Mal an ein Zitat von Hinrich Böll erinnert, der in seinem Roman „Ansichten eines Clowns“ schreibt: „Atheisten sind so langweilig.“ Nachfrage: „Warum?“ Antwort: „Ständig reden sie über Gott.“ (Lachen)

Streminger: (lacht) Ja, das ist bekannt: Wir sind die Letzten, die ernsthaft über Gott reden und sich im Gegensatz zu den vielen Zynikern noch wie Hiob empören können.

hpd: Aber das ist meine Frage: Was bekümmert es uns denn eigentlich? Wir könnten doch sagen, da gibt es so einige Leute, die haben so eigenartige Ideen und Geschichten von sprechenden Schlangen und Jungfrauengeburten und sonstigem Schabernack, warum nehmen wir so etwas ernst?

Streminger: Weil sie immer noch eminent einflussreich sind und wir täglich sehen, welche Gefahr für Moral und Gesellschaft die Religionen, vor allem die fundamentalistisch orientierten, darstellen. Wie sollte auch etwas so Willkürliches, wie die Religion, etwas so Notwendigem, wie der Moral, einen Halt geben können? Jede Ethik ist dem Wahrheitsethos verpflichtet, aber die meisten religiösen Menschen kümmern sich nicht einmal darum, ob ihre Glaubensschecks gedeckt sind oder nicht. Einige müssen sich also mit diesen Dingen beschäftigen, um den Freiraum für sich und andere zu bewahren und auszubauen.

Und wir dürfen nicht den Fehler begehen, von kleinen Teilen Westeuropas auf das Ganze zu schließen. Wenn man auch nur nach Irland oder Polen blickt – vom Iran natürlich ganz zu schweigen –, dann sieht man, dass Religion auch ein etwas anderes Gesicht haben kann. Unsere Kirchen haben gewiss vieles von der Aufklärung übernommen, aber vieles auch nicht: So glauben sie immer noch an die Existenz eines lieben Gottes, und beispielsweise die Menschenrechtskonvention wird von der katholische Kirche noch immer nicht anerkannt. Von ihrem Standpunkt aus ist das auch durchaus verständlich, weil sie eben ein anderes Menschenbild hat: Menschen sind verderbt, zumindest sündhaft, bedürfen der Erlösung durch die Gnade Gottes oder durch Sakramente. Wie sollte es nach dieser Anthropologie natürliche Menschenrechte geben? Die Kirche bekämpfte und bekämpft viele jener Dinge, die heute in der Demokratie als Tugenden oder als Rechte gelten. Man war vor nicht allzu langer Zeit noch der Dumme, wenn man vernünftig dachte.

hpd: Darin sind Islamisten auch ehrlicher, indem sie laut sagen, dass für sie die Menschenrechte nur insoweit akzeptabel seien, soweit sie mit der Scharia, dem muslimischen religiösen Kanon von Rechtsregeln, übereinstimmen.

Streminger: Das meinen zumindest Fundamentalisten. Wenn man allein vom Koran ausgeht, dann wird man wohl die Menschenrechte ablehnen müssen. Liberaler denkende Muslime lügen sich da in die Tasche, wenn sie glauben, mit dem Koran allein seien die Menschenrechte zu rechtfertigen. Aber hier bin ich schon gar kein Experte. Interessant ist jedoch, dass im Islam die Ursündenlehre abgelehnt wird. Meines Wissens wird auch im Koran die Geschichte von Adam und Eva und deren Sünden erzählt, aber der Barmherzige verzeiht ihnen einfach. Das ist doch viel plausibler als der christliche Mythos, und konsequenterweise kennen Muslime deshalb auch keine Erlösungstat Jesu. Denn wovon soll er uns denn erlösen? Jesus spielt nur dann die ihm von Christen zugewiesene Rolle, wenn akzeptiert wird, dass Adam und Eva dermaßen gesündigt haben und dermaßen schuldig geworden sind, dass Gott die Menschen einfach nicht mehr ins Paradies ließ, und erst Jesus, das Opferlamm, alles wieder ins rechte Lot brachte. Da Muslime die Ursündenlehre nicht kennen, gestehen sie Jesus diese Erlöserfunktion auch nicht zu. Zumindest in diesem Punkt erscheint der Islam einleuchtender zu sein als das Christentum. Denn Muslime nehmen ernst, dass ein angeblich barmherziger Gott im Paradies wohl anders als der jüdisch-christliche gehandelt hätte.