Ein „Band der Freundschaft“ knüpfen (III)

hpd: Aber das zeigt doch beispielhaft, wie verschiedene Gruppen ihre Religionen nach Bedarf ‚stricken’, nach den Mustern, die sie brauchen, willkürlich Elemente verändern, die ihnen nicht in das Konzept passen...

Streminger: Wir befinden uns hier mitten im Karussell menschlicher Eitelkeiten: Man sucht sich etwas aus dem reichen Fundus an Möglichkeiten heraus, tut etwas anderes hinzu, ohne das eine oder das andere zu begründen. Dann verschiebt man alles in eine jenseitige, transzendente Welt, damit ja keiner mehr die Wahrheit des Gesagten überprüfen kann. Und warum das alles? Um als Verkünder der Wahrheit wichtig genommen zu werden und um das Ego ein wenig zu streicheln.

Nur ein Beispiel für das Chaos innerhalb der drei großen monotheistischen Religionen: Da gibt es einen Zimmermannsohn aus Nazareth, der für die einen der Messias, ja Gott selbst ist. Für die anderen ist er dies aber gerade nicht, weil der Messias im Alten Testament anders charakterisiert wurde als dieser Jesus – der jüdische Messias ist nämlich eine Siegerfigur. Aber Christen werfen den Juden dennoch Verstocktheit vor, da sie nicht bereit sind, Jesus als Messias anzuerkennen. Die Juden wiederum werfen den Christen Verlogenheit vor, weil sie im Alten Testament lesen könnten, woran der Messias zu erkennen sei, und dort sogar zu lesen ist, dass „verflucht sei, wer am Kreuze hängt“. Und für Muslime wiederum kann Jesus nicht Gott gewesen sein, denn die Vorstellung eines leidenden Gottes ist für sie blanke Gotteslästerung. Wie soll vor diesem Hintergrund ein dauerhafter Frieden oder ein wirkliches Verstehen möglich sein? Jeder sucht, wie Sie sagten, das heraus, was er will, und man kann die Wahrheit des Gesagten nicht überprüfen. Hoffentlich ist der Staat, die säkulare Gesellschaft stark genug, um diesen Wahn in Grenzen zu halten – und die Kampfhähne im Zaum. (Die Spannungen innerhalb der verschiedenen Religionen, etwa zwischen Sunniten und Schiiten, seien nur am Rande erwähnt. Jedenfalls dürften in letzter Zeit wesentlich mehr Muslime durch andere Muslime getötet worden sein als diese Christen umgebracht haben.)

hpd: Und da es Wahrheiten sind, muss man die jeweils anderen, um Gottes willen, vernichten.

Streminger: Es sind eben nur Glaubenswahrheiten, auf die sich alle Theisten berufen, und nicht intersubjektiv überprüfbare Vernunft- oder Wissenstatsachen, und diese Glaubenswahrheiten widersprechen einander in fundamentaler Weise …

hpd: Und da gibt es keinen Kompromiss bei der Glaubenswahrheit. So etwas ein bisschen christlich, das geht nicht.

Streminger: Wie gesagt, die einen werfen den Anderen Verstocktheit vor, die Anderen werfen denen Verlogenheit vor und die Dritten werfen ihnen Blasphemie vor. Wie soll man sich da einigen? Der eine heilige Text ist angeblich vom Erzengel Gabriel diktiert, beim anderen hat die Hand Gottes selbst den Griffel geführt, .... Gehen wir noch einen Schritt zurück, um zu verdeutlichen, wie absurd das Alles ist. Der christliche Glaube ist eigentlich der Glaube an die Vertrauenswürdigkeit von Augenzeugen, die vor zweitausend Jahren gelebt haben und fanatische Anhänger des Helden waren.

hpd: So lautet die Geschichte.

Streminger: Eben. Die Texte aber sind erst mehrere Jahrzehnte nach dem Geschehen geschrieben worden, und dass die Evangelisten selbst noch Augenzeugen waren, ist äußerst unwahrscheinlich. Also mussten bereits sie sich auf Berichte anderer stützen. Wer sie waren, wissen wir nicht, denn selbst ihre Namen sind erst später hinzugefügt worden. Allerdings existiert als gewisser Fixpunkt der hl. Paulus, der historisch zugänglicher ist. Aber auch er, der ehemalige Christenhasser, war kein Augenzeuge des Geschehens, sondern ebenfalls auf Berichte anderer angewiesen. Nun stellen sie sich einmal vor, dass in zweitausend Jahren Berichte von Mitgliedern der Waffen-SS über den Führer gefunden werden, die erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts von Sekretärinnen niedergeschrieben worden waren; und sie sind die einzigen Berichte über Hitler, die wir kennen. Würden wir ihnen, geschrieben von fanatischen Anhängern, die bereit waren, für ihre Sache in den Tod zu gehen, nicht mit äußerster Skepsis begegnen? Aber wenn die Beweislage in Wirklichkeit so dünn ist, warum fordern Menschen von anderen, dass sie den Wundergeschichten in den Evangelien, die zum Teil einander auch noch widersprechen, einfach glauben sollen?

hpd: Das wäre die Frage. Wenn es die siegreiche Macht gewesen wäre... Sie wissen doch: „Gott ist immer mit den siegreichen Bataillonen.“

Streminger: Zuerst werden auf beiden Seiten die Waffen gesegnet, und dem Gewinner hat Gott dann auch tatsächlich geholfen. Gelobt sei Gott, der Herr! Um vieles kümmert er sich zwar nicht -- Wo war Gott in Auschwitz? --, aber wenigstens gelegentlich weilt er bei den Siegern!

hpd: In dieser Hinsicht ist aber dann doch die Verbindung der Kirchen mit dem Staat, ich nehme einmal nur den „Gotteslästerungsparagraphen“, grotesk und Ausdruck eines, wie soll man sagen, monarchistischem Überbleibsels, dass die Majestätsbeleidigung – als Parallele zur Gotteslästerung – abgeschafft worden war. Wenn es keine Majestät mehr gibt, kann man sie auch nicht beleidigen, aber der Gotteslästerungsparagraph blieb erhalten.

Streminger: Weil die Religionen auch in unserer Gesellschaft fälschlicherweise noch immer als Basis für Moral – als Garant für Werte – gelten, verbieten in den meisten Ländern weltliche Regierungen Angriffe auf die Landesreligion, festgelegt im so genannten Gotteslästerungsparagraphen. Aber was heißt denn überhaupt ‚lästern’? Für Muslime und Juden etwa ist die Vorstellung vom gefolterten und am Kreuz hängenden Allmächtigen eine schlimme Blasphemie. Warum wird denn auf deren religiöse Empfindungen keine Rücksicht genommen? Und viele Konfessionslose – und es gibt in Deutschland schon mehr als Katholiken oder Protestanten – empfinden den Anblick eines Folterinstruments in öffentlichen Gebäuden zumindest als schlechten Geschmack, wenn nicht gar als Zumutung, insbesondere gegenüber Kindern.

Und zu allem Überdruss: Dieselben Regierungen, die sich so große Sorgen um den einen, wenn auch hierzulande noch weit verbreiteten (Aber-)Glauben machen, mischen sich nicht ein, wenn die Religionen des Landes ihre Missionare in Länder schicken, um dort zu lästern und die dortigen religiösen Vorstellungen mit heiligem Eifer (und viel Geld) oft ein für allemal den Garaus zu machen (Südamerika!). Und dies alles im Namen der Nächstenliebe natürlich! Die Missionstätigkeit solcher moralisierender Wegelagerer erinnert an das Begattungsritual der Gottesanbeterinnen: Man zieht andere an die Brust und beginnt sie gleichzeitig zu verspeisen. Noch schlimmer als die beiden Landeskirchen dürften es jedoch eindeutig die evangelikalen Freikirchen treiben. Wenn ich irgendwo in den Weiten des Fernsehens über deren spirituelle Morgendisco stolpere, so hole ich mir nach wenigen Minuten regelmäßig eine Stunde Sodbrennen. Zum Glück verfügt jedoch der neue deutsche Bundespräsident diesbezüglich über einen weitaus robusteren Magen, und er scheint auch keine solch sensible Mimose, wie ich es nun einmal bin, zu sein. Aber warum regen sich darüber nicht mehr Menschen auf?

hpd: Ganz im Gegenteil. Der jetzige Afrika-Beauftragte der deutschen Bundesregierung war vorher der Menschenrechts-Beauftragte und meinte in seiner jetzigen Funktion, dass die Missionierung der christlichen Kirchen in Afrika ein Grundrecht der Kirchen sei.

Streminger: Unglaublich. Das kann doch nicht wahr sein! Bei uns werden die Kirchen geschützt und dort werden sie auch geschützt, obwohl sie dort in Vielem genau das tun, wovor sie hier geschützt werden, nämlich gegen die Religion zu lästern. Oder war etwa das Fällen der Heiligen Eiche der Germanen durch christliche Mönche keine Form des Lästerns, eine recht handfeste noch dazu?