Ein „Band der Freundschaft“ knüpfen (III)

hpd: Ich bleibe jetzt einmal bei dem Alltag vieler Menschen. Wir kennen ein jüngeres Paar, die schon seit zwölf Jahren zusammen sind, ein Kind haben und die wir einmal fragten, ob sie heiraten würden. Warum nicht, meinte der Frau, und wir wüssten auch schon, wie wir das machen würden. Wir würden zu einem Baum gehen, den gemeinsam umarmen, uns an den Händen fassen und uns versprechen, zu versuchen genauso stark zueinander zu stehen und Partner zu sein. Schön, und, war meine Frage, woran scheitert es? Antwort: Ich will eine Eiche, mein Mann will eine Buche. Könnt ihr, als Humanisten, uns diese Entscheidung nicht abnehmen?

Streminger: Ich würde meinen, dass für diesen Wunsch Humanisten die falsche Adresse sind. Dafür gibt es weit Kompetentere, die sogar überirdische Mächte um Rat fragen können. Humanisten können nur behilflich sein, dass andere ihre eigene Meinung finden. Platon gebrauchte einmal das schöne Bild, dass Philosophen Hebammen ähneln sollten.

Also: Ich würde zunächst die Person A ermuntern, doch einmal den Standpunkt von B einzunehmen und deren Argumente so lange auf den Tisch zu legen, bis B sich verstanden fühlt. Dann würde ich die Person B ermuntern, den Standpunkt von A einzunehmen und diesen so lange zu verdeutlichen, bis A übereinstimmt. Danach dürfte sich eine Lösung bereits abzeichnen. Wenn nicht, dann würde ich den Rat geben, sich doch mit Gras zu begnügen. Müsste es aber doch ein Baum sein, dann schlüge ich eine Pinie vor, jenen Baum, den Dichter als Wolke besangen, die in der Erde verankert ist. Ich habe in Schottland Pinien gesehen, die wie eine riesige Flagge im Moor standen, verweht, verwittert, aber trotzig mit der Erde verwachsen. Auf die Suche nach einem solchen Baum würde gemeinsam ich mich begeben.

hpd: Dennoch erbringen Religionen, wie alle totalitären Systeme, die große Leistung, dass sie ihren Anhängern, die das auch zulassen oder sogar erwarten, bestimmte Entscheidungen einfach abnehmen und die sagen: Das ist gut so, dass uns jemand das abnimmt, wir müssen nicht immer alles selber entscheiden. Insofern könnte der Humanismus im Kern dann doch eine idealistische Auffassung sein, indem sie von Voraussetzungen ausgeht, die im Alltag oder unter praktischen Gesichtspunkten nicht möglich sind, die innerhalb seines Zeitbudgets, von der Bildung einmal völlig abgesehen, einfach nicht realisierbar sind.

Streminger: Gut, das mag in Einzelfällen tatsächlich so sein. Aber dann sollte das Delegieren auf alle Fälle demokratisch geschehen. Das heißt, man delegiert zwar etwas, aber das bleibt unter Kontrolle, so dass man es dann, wenn man es nicht mehr delegieren will oder muss, wieder zurücknehmen kann. Zumindest das. Wenn schon keine direkte Demokratie – und diese ist aus praktischen (Informations-)Gründen oft tatsächlich nicht möglich --, dann zumindest eine repräsentative! Aber grundsätzlich würde ich weiterhin darauf pochen, dass alle, so gut es eben geht, sich die Zeit nehmen sollten, über diese Grundfragen nachzudenken. Schopenhauer spricht vom „metaphysischen Bedürfnis“ aller Menschen, meint damit aber nichts Religiöses, sondern einfach die Fragen: „Woher, Wohin, Wozu“. Natürlich wird man stets auch andere Meinungen einholen, aber für Humanisten bleibt dann notwendigerweise noch die Frage: „Ist das gut begründet, und Ist es wirklich etwas für mich?“

hpd: Sie haben vorhin gesagt, Eugen Drewermann hätte anscheinend so etwas wie einen „Schreibzwang“, so viel wie der Mann schreiben würde. Dazu fällt mir jetzt ein, dass Sie auch sagten, David Hume hätte 4.000 Seiten zur Geschichte Englands geschrieben. Ups, und nun frage ich mich, was haben Hume und Drewermann vielleicht gemeinsam oder anders gesagt, was trifft auf beide zu, was bei Hume klar ist, bei Drewermann zu klären wäre: Sie haben kein Fernsehen geschaut. (Lachen) Dieser Zeitfresser...

Streminger: ...Und beide blieben unverheiratet ... (Lachen) Aber es gibt auch große Unterschiede. Hume war Heide und Skeptiker, und Drewermann schreibt das Vielfache von 4.000 Seiten.

hpd: Ja, das ist richtig, aber ich meine jetzt nur den Zeithaushalt. Wenn ich in einer Partnerschaft lebe, mit jemandem meine Zeit teilen kann, schmusen und zärtlich sein kann, mich daran erfreuen kann, miteinander zu reden, dann werde ich das gerne tun, gebe aber dafür dann auch etwas oder vieles von meiner Zeit her, etwas zu schreiben. Ein Mensch, der alleine lebt, hat einfach mehr Zeit. Und wenn er kein Fernsehen schaut, hat er auch pro Tag zwei, drei Stunden mehr Zeit.

Streminger: Nun würde ich meinen, bei einem so großen Philosophen und Schriftsteller wie Hume, der sich auf verschiedenste Gebiete begeben hatte – das ist eine seiner großen Leistungen, dass er so viele Themen auf eine rationale Ebene gehoben hat: Was spricht dafür, was spricht dagegen - .... Allein dieser rationale Zugang zu den unterschiedlichsten Themen ist schon bemerkenswert und zeugt von einer Reife, die man von einem Unverheirateten vielleicht nicht erwarten sollte. (Lachen) Hume hat also ein Spektrum von Themen behandelt, während Drewermann immer wieder das Gleiche bearbeitet, zwanghaft kommt mir das vor, aber ich mag da vielleicht unfair sein. Den folgenden Unterschied meinte ich: Der eine ist kreativ, der andere repetitiv.

hpd: Mir ist beim Zuhören etwas aufgegangen. Wenn es für Humanisten eine Aufgabe wäre, diesen ganzen kirchlichen Glauben darzulegen, offen zu legen, was für ein Blödsinn das ist, das wäre doch das Beste, was Humanisten und Naturalisten passieren kann: Wenn Menschen; die jetzt noch sagen „Ich glaube“, darüber nachdenken, skeptisch werden und das Ganze sich auflöst.

Streminger: Genau! Einfach fragen: Warum? Argumente einfordern, Gründe einholen. Warum? Warum ist das so? Das genügt als Einstieg zum Humanismus schon. Die Vernunft kann nun einmal eine große Befreierin sein.