Ein „Band der Freundschaft“ knüpfen (III)

hpd: Sie werden aber dabei bei einem normalen heutigen Gläubigen, im Jargon ein „weichgespülter“ evangelischer Christ, keinen Widerstand erleben. Die sagen: Irgendwo sind wir ja alle Humanisten. In Bremen, einem Bundesland von Deutschland, wurde der Antrag für eine Humanistische Schule von der christlichen Bildungssenatorin mit der Begründung abgelehnt, weil Humanismus keine Weltanschauung sei, da die Gesellschaft durch die Aufklärung und ihre Folgen insgesamt humanistisch geworden sei. Die Richterin in der ersten Instanz hat völlig klar gesagt: Humanismus ist eine Weltanschauung, da sie sich in ihren Werten und Normen von anderen Auffassungen klar unterscheide. Die Frage: Was glaubt ihr eigentlich? trifft den normalen Evangelischen überhaupt nicht mehr. In den Diskussionen um die ehemalige Landesbischöfin Käßmann, messen ihre Anhängerinnen sie nicht mehr an der Übereinstimmung mit den Lehren der von ihr vertretenen Kirche, sondern werten ihr Bekenntnis des Verstoßes gegen diese Regelungen als höchste Glaubwürdigkeit. Im Namen der Religion – wie sie die interpretieren.

Streminger: Es gibt zweifellos das Phänomen der aufgeklärten Religiosität. Für mich ist das zwar ein Widerspruch in sich, eine blonde Locke auf einer Glatze. Aber es gibt nun einmal religiöse Menschen, die viele Forderungen der Aufklärung und des Humanismus mit großer Überzeugung vertreten. Aber dann, wenn es ums Eingemachte geht, werden sie plötzlich religiös und geben den Humanismus auf. Dann sagen sie einfach, dass sie eben daran glauben. Aber woran glauben sie denn eben? Wenn man mit einem stimmigen Weltbild leben will, dann genügt der reine Glaube nicht. Da man nämlich an unendlich viele Dinge glauben kann, muss begründet werden, was man davon für wahr hält. Glaubt man beispielsweise daran, dass Gott vor zwei Jahrtausenden am Kreuz gestorben ist oder nicht oder daran, dass fünf erotische Göttinnen in griechischen Gewändern im Traum bei Vollmond zu mir ins Bett kriechen werden …? Also gerade das Eingemachte, diese ‚Mitte des Lebens’, wie recht flockig in diesem Zusammenhang oft gesagt wird, muss begründet werden. Als denkender Mensch kann ich nicht zu achtzig Prozent humanistische Forderungen akzeptieren und dann bei den übrigen zwanzig Prozent, den besonders wichtigen noch dazu, meinen Verstand fahren lassen. Das geht konsequenterweise nicht oder anders formuliert: Eine solch irrationale Weltanschauung ist nicht gleichwertig einer humanistischen, die formal von sich fordert: Suche stets nach objektiven Gründen und versuche Dich immer an dem zu orientieren, was Dir am besten begründet erscheint. Diese Wahrheitssuche ist für den Humanismus konstitutiv, für religiöse Menschen offenbar nicht, denn diese begnügen sich mit subjektiv Erfahrenem bzw. Eingebildetem.

hpd: Da fällt mir ein: Was sagen viele Österreicher zum Nationalsozialismus: Jo, mei! (Lachen) Was sagt der „weichgespülte Christ“ zu dem Vorwurf, er hätte eine falsche Gottesvorstellung? Jo, mei!

Streminger: Aber allein schon durch diese Haltung entzieht er sich dem rationalen Diskurs und damit einem gut begründeten Weltbild und Handeln. Denn man kann nun einmal so vieles glauben, auch an die Wiederkehr Napoleons. Gerade in wichtigen Dingen sollte man nicht auf die vielleicht edelste menschliche Fähigkeit verzichten: Die Welt mit Hilfe empirisch-rationaler Kriterien zu verstehen.

hpd: Das ist alles richtig. Aber als Herbert Steffen aus der Kirche austrat, und der Pfarrer das am nächsten Sonntag sofort der Gemeinde von der Kanzel verkünden musste, kamen am Montag drei Frauen aus dem Betriebsrat seiner Fabrik in sein Büro und fragten ihn: „Herbert, bist du jetzt noch ein guter Mensch?“ Er hat daraufhin verständlicherweise schallend gelacht und versichert, dass er auch weiterhin ein guter Mensch sei. ....

Streminger: ... Als ob sich dies darin äußert, das man ein ‚höheres Wesen’ anbetet...

hpd: ... aber der Humanismus ist anspruchsvoll, und bei dieser einfachen Frage von vermutlich ‚einfachen’ Frauen, ist dann doch die Frage, ob der Humanismus auch nur einen kleinen Prozentsatz der Bevölkerung wird erreichen können? Und wenn die dann die mediale bzw. öffentliche Deutungskompetenz haben, dann werden auch die andern sagen: Nun gut, dann werden wir humanistisch, das ist jetzt das Erfolgsmodell.

Streminger: Mmh, solche Glücksritter mag ich schon gar nicht, weil sie, ganz anders als echte Humanisten, einfach Herdentiere geblieben sind. Aber wenigstens haben sie dann ihre Religiosität aufgegeben (lachen), zumindest so lange, bis das Religiöse, die transzendente Behausung wieder das Erfolgsmodell ist.

hpd: Ja schon, aber sie würden nicht den Humanismus leben, den die aktiven Humanisten sich vorstellen, sie würden nicht den anspruchvollen Humanismus des Diskurses leben, sich ständig in Frage stellen und begründen, sondern sie würden einfach übernehmen, was die anderen ihnen erzählen, und dann ist es gut so.

Streminger: Eben. Ich misstraue Menschen, die die Möglichkeit hätten, in grundlegenden Dingen die Warum-Fragen zu stellen und nach Antworten zu suchen, dies aber nie tun. Aber dass es einmal zu einem fundamentalen Umdenken kommen könnte, ist vielleicht nicht so ganz aus der Luft gegriffen. Denn Kinder fragen doch auch. In diesem Sinn sind sie per se Humanisten; sie wollen beständig wissen: Warum ist das Gras grün? Warum ist der Himmel blau? … zumindest so lange, bis genervte Erwachsene ihnen das Fragen zumindest durch ihr Schweigen vergällen. Ihre Haltung ist aber durchaus philosophisch und wird dann von Philosophen kultiviert, denn diese tun im Grunde doch auch nichts anderes, gebrauchen allerdings zur Beantwortung ihrer Fragen natürlich feinere und systematischere Methoden. Aber warum sollten Denker dieses kontrollierte Fragen nicht weiter reichen, gleichsam als gesellschaftlicher Sauerteig wirken? Hier finde ich auch endlich einmal Unterstützung im Wort Gottes: „Lasset die Kinder zu mir kommen, denn ihrer ist – oje, also doch nicht – …. die Zukunft.“

hpd: Da kann ich Ihnen eine Geschichte erzählen, die Ihnen vermutlich gefallen wird. Im Februar war meine Tochter mit ihrem Mann und der kleinen Tochter, sie ist gut fünf Jahre alt, im Salzkammergut. Es hatte heftig geschneit und die Schneefräsen hatten den Schnee hoch an die Straßenseiten geblasen. Dort stand ein großes „Wegmarterl“, dem der Schnee hoch bis an die Fußspitzen des Gekreuzigten reichte. Das Enkelkind blieb stehen, stutzte und fragte ihre Mutter: „Mama, was macht der Mann da?“ Meine Tochter fragte zurück: „Was meinst du, was der da macht?“ Ihre Tochter legte den Kopf etwas schräg, dann stellte sie sich auf die Zehenspitzen, drehte den Körper etwas zur Seite und streckte dann ihre beiden Arme seitlich vom Körper weg und fragte sie: „Tanzt der?“

Streminger: Finde ich doch großartig! Auch das werden wir nicht mehr erleben, aber irgendwann werden Kinder, wenn sie eine Kirche sehen, vielleicht fragen: „Wie kommt denn bloß das Pluszeichen auf das Dach?“ Und sie werden diese dann als Erwachsene möglicherweise zu Bücher- und Wissenstürmen umbauen.

hpd: (lacht) Ach ja, „Gibt es das Kreuz auch ohne den Turner?“ Aber, das ist sicherlich eine schöne Zwischenüberschrift: „Wie kommt denn das Pluszeichen auf das Dach?“ Nun aber zum Schluss: Welches sind ihre nächsten Projekte, die sie bearbeiten? Haben Sie etwas in Vorbereitung zum 300. Geburtstag von Hume in 2011?

Streminger: Humes Geburtstag wird in der englischsprachigen Welt groß gefeiert werden. Ich gebe eine kleine Festschrift heraus, die im Januar 2011 als Sonderband von „Aufklärung & Kritik“ erscheinen soll. Dafür habe ich die meisten Hume-Forscher in Deutschland, so viele sind es ja nicht, zusammen getrommelt. Voraussichtlich im Februar 2011 erscheint dann auch die vierte Auflage meines dicken Hume-Buches; dieses Mal bei C. H. Beck. Ich habe für diese Ausgabe noch einmal alles überarbeitet und einen neuen Anhang geschrieben, in dem Humes Reisebericht aus dem Jahre 1748 neu übersetzt und kommentiert wird. Als Sekretär eines Diplomaten reiste er damals durch die Niederlande, durch Deutschland, Österreich und Norditalien. Von Deutschland, insbesondere von den protestantisch geprägten Gebieten, war er hellauf begeistert, von den mit einem Kropf geschmückten katholischen Steirern war er hingegen völlig entsetzt. In Wien traf Hume auch Maria Theresia … Leider habe ich vergessen, welchen Eindruck er von ihr hatte.