ELTVILLE-ERBACH / RHODOS. (hpd) Unser Heimatplanet Erde ist von einer relativ dünnen festen Kruste überzogen, auf der wir zu überleben versuchen. Manchmal gelingt dies nicht, weil sich die Krustenteile ('Platten') gegenseitig ruckartig verschieben und verheerende Erdbeben auslösen, so wie 1999 in der NW-Türkei, 2004 im Indik vor Sumatra, 2010 auf Haiti, 2011 vor Japan, seit Ende April 2015 in Nepal (wo sich Gesteinspakete fast horizontal übereinander um mehrere Meter gegeneinander verschoben) und aktuell am 13.9.2015 im Golf von Kalifornien [2]. Auch an der Tagesordnung rund um den Pazifik, aber selbst in Europa in Griechenland wie in der Türkei – und bei uns. Eine Spurensuche.
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Zwei Größen gilt es zu veranschaulichen: Zeit und Raum bzw. Dicke.
Zeit
Wie soll ich mir das eigentlich vorstellen, dass die Erde rund 4,5 Milliarden Jahre alt ist?
Das ist in der Tat schwer, da Milliarden, Millionen, ja schon Tausend Jahre schnell unser Vorstellungsvermögen überschreiten. Wer hat schon eine klare Vorstellung davon, dass das Römische Reich vor ca. 2.000 Jahren seinen Höhepunkt hatte?
Ich versuche häufig, das mit einem Vergleich zu veranschaulichen:
Mit einem 2 x 2 m-Zollstock + ½ m. 4,5 Meter oder 4.500 Millimeter (mm). Jeder mm steht für sage und schreibe 1 Million Jahre (was geologisch gesehen kurz ist!); das Erdalter also im übertragenem Sinne: 4,5 m.
Vor mind. 3500 mm begann das Leben; Stromatolithen, von Mikroorganismen (vermutlich von Sauerstoff produzierenden Cyanobakterien [3]) aufgebaut, bezeugen dies. Kontinente wurden in mehreren Zyklen [4] zusammengeschweißt und wieder zerrissen; Ozeane kamen und gingen. Fast 2000 mm beherrschten ein- und simple mehrzellige Lebewesen das Bild, bis vor knapp 550 mm im Kambrium die Vielfalt der Lebensformen förmlich ‘explodierte’ [5]. Vor 65 mm endeten die meisten Dinosaurier (und Himalaya und Alpen begannen, sich aufzutürmen); Säugetiere nutzten die entstandene Dino-Lücke, wonach vor nur ca. 6 mm die Evolution des Menschen aus seinen affenartigen Vorfahren begann. Vor gut 2,5 mm begann das Pleistozän (Eiszeitalter), Homo sapiens machte sich seit ca. 0,1 mm out of Africa auf den Weg um den Globus, die letzte Eiszeit endete vor 0,01 mm. Seitdem befinden wir uns im Holozän (dem 'völlig Neuen'). Detaillierte geologische Zeitskalen gibt es im Internet [6]. Vor gut 0,0016 mm verordnete Kaiser Theodosius dem Römischen Reich den Katholizismus… Und jetzt kommen immer noch Kreationisten mit einer 6.000 Jahre (0,006 mm!) jungen Erde [7]. Ich empfehle dringend, dem besser nicht über den Weg zu trauen. Lesen Sie lieber hier weiter. Ich behaupte zwar nicht, dass hier alles hundertprozentigig richtig ist. Aber alles (ganz naturalistisch / wissenschaftlich ohne Übernatürliches) mit rechten Dingen zugeht.
Und Dicke
"Wie dick ist das eigentlich - 0 bis ca. 100 km feste Erdkruste - relativ zur Größe der Erde?" frage ich manchmal im Bekanntenkreis und mache ein Gedankenexperiment: Verkleinern wir einmal den Durchmesser der Erde (um den Faktor 1.000.000!) von 12.000 km auf 12 m, also etwa auf die Größe eines Einfamilienhauses - das ist einfacher vorstellbar. Dann ist die feste Erdkruste (Lithosphäre) gerade 0 bis ca. 100 mm (d.h. bis ca. 10 cm) dünn! Im Durchschnitt etwa vergleichbar mit der Schale um ein Hühnerei. Darunter wabert die leicht- bis sehr zähflüssige Asthenosphäre aus teils geschmolzenem Gestein als Teil des Erdmantels, dem darunter ein flüssiger Erdkernmantel folgt und darunter, ganz im Zentrum, ein fester Erdkern aus Eisen und Nickel. So weit die heutige, vorläufige Kenntnis der Erdwissenschaft, u.a. gründend auf seismischen Experimenten [8]. Diese Kenntnis ist relativ neu.
Lange lag dies (Zeit/Dicke) unseres Planeten vollkommen im Dunkeln; selbst in der Antike, erst recht im Mittelalter und bis in die Neuzeit/Aufklärung. Gut, eine 'flache' Erde wird (entgegen landläufiger Meinung) schon lange nicht mehr angenommen. Der Grieche Eratosthenes berechnete bereits in der Antike mit erstaunlicher Genauigkeit (und verblüffend einfach) den Umfang der Erdkugel [9].
Wie aber die Erdformen (Berge, Täler usw.) entstanden, war dennoch lange unklar. Von Genesis bis Sintflut (lt. Gilgamesch-Epos, Bibel und Koran, die sich auffällig ähnlich darauf beziehen) war lange alles denkbar. Aufklärer wie Georges-Louis Leclerc de Buffon [10] stießen neue Gedanken an. Charles Lyell, ein britischer Geologe des 19. Jhds. [11], war einer der Ersten der Neuzeit, die sich darüber genauere Gedanken machten, und der von aktuellen Prozessen auf graduelle Umformungen in der Vergangenheit schloss (er war daher ein wichtiger Ideengeber für Charles Darwin). Dennoch waren globale Prozesse unverstanden - wie entstehen Meere, Kontinente, Faltengebirge?
Die auffallende Passung von z.B. S-Amerika und Afrika war schon vor Lyells Zeiten bekannt. Theorien über Kontraktion (der 'Apfel' Erde schrumpft), Expansion (er bläht sich auf [12]) und Landbrücken (die einstürzten) wechselten sich ab (halten z.T. bis heute an), bis der Meteorologe und Astrophysiker Alfred Wegener Anfang des 20. Jhds. kam - und nicht siegte, obwohl er eine Fülle von Belegen dafür sammelte, dass unsere heutigen Kontinente einst zusammenhingen (Bsp. Glossopteris-Farne des Südkontinents Gondwana [13]). Aber er führte dort Gründe für seine postulierte Drift der Kontinente an (die, angetrieben von einer ominösen Polfluchtkraft, aktiv durch den Ozeanboden pflügen würden), was nicht akzeptiert, sondern fast berechtigterweise belächelt wurde (wo sind die Pflugspuren?). Wegener kannte sogar den mittelatlantischen Rücken (von der damals ersten transatlantischen Echolotung [14]) und zitierte Unterströmung i.S.v. Otto Ampferer oder Konvektion i.S.v. Robert Schwinner [13], interpretierte den Rücken aber oft als Reste vom zerfallenen Amerika und Europa/Afrika und verkannte die Thesen von Ampferer und Schwinner (seine Kollegen damals in Österreich) weitgehend als mögliche global wirksame Antriebskraft für Kontinentalverschiebungen. Das 'Pflügen' hält sich bis in die letzte Ausgabe seines Hauptwerkes [13], die Verschiebungsraten überschätzte er anfangs mit mehreren m/Jahr um den Faktor 1000, selbst zuletzt noch um den Faktor 10 bis 100 [13]; und die Natur von Tiefseerinnen verkannte er vollkommen ([13], vgl. Abb. 2). Was hätte aus dem Trio Wegener / Ampferer / Schwinner noch werden können [15]?
Es konnte nicht, denn es kam anders:
Wegener starb 1930 mit 50 Jahren jung auf einer Grönlandexpedition. Aber er legte die Basis für den Mobilismus in der Tektonik, womit der Fixismus der Kontinente schließlich überwunden wurde.
8 Kommentare
Kommentare
Hansjörg Albrecht am Permanenter Link
Danke für den kompakten und anschaulichen Artikel!
PS: einige der Links funktionieren nicht (error 404)
Hans Trutnau am Permanenter Link
Danke für das Lob, Hansjörg Albrecht!
Kutscheras Buch kenne ich; er handelt das Thema recht kurz ab (nun gut, er ist auch kein Geowissenschaftler; macht aber nichts).
Frank Linnhoff am Permanenter Link
Vielen Dank für diesen Artikel. Wie sehr wir doch alle auf schwankendem Boden leben, wo kein Stein auf dem anderen bleibt.
Margret Neugebauer am Permanenter Link
Danke, Hans Trutnau, für diesen interessanten und faszinierenden Artikel über unsere noch immer sehr lebendige Erde.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Danke, Margret, für das Lob! Auch negative Kritik ist jederzeit willkommen.
Andreas E. Kilian am Permanenter Link
Sehr schöner Artikel, lieber Hans.
Einem Biologen ist zwar die Rolle des Wechselspiels zwischen Erdinnerem und Erdkruste in der Evolution lehrbuchmäßig bekannt, aber meist nicht im vollem Umfang bewusst, da die Frequenz der Ereignisse zu unterschiedlich erscheint.
Dass neben der möglichen Entstehung des Lebens an Temperatur-Spots auch stochastisch auftretende Veränderungen zu neuen Adaptionen führen können, zeigen sehr schön Inseln vulkanischen Ursprungs. Was hätte Darwin ohne seine Galapagos-Inseln erkennen können?
Auch die Auswirkung der Plattentektonik wird von Biologen meist nicht richtig gewürdigt. Berge ermöglichen erst Anpassungen an Untergrunds-, Temperatur-, UV- und Sauerstoffunterschiede, und bringen so auch Vielfalt ins Spiel, die auf sich selbst zurückwirken kann. Tektonik liefert eine sich permanent verändernde Spielwiese, auf der Variabilität und Selektion stattfinden müssen. Sie bemisst die Größe von Lebensräumen, die Überleben ermöglichen oder Veränderungen erzwingen.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Danke, Andreas!
"Tektonik liefert eine sich permanent verändernde Spielwiese" für Evolution. Schön ausgedrückt; werde ich mir merken.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Interessanter Nachtrag:
In dem o.g. Wiki-Artikel über Hapgood ist ein Link auf sein über 300-seitiges Werk "Earth's Shifting Crust" enthalten (https://archive.org/details/eathsshiftingcru033562mbp). Das Buch kann dort Seite für Seite gelesen werden, u.a. mit ein paar Seiten Replik (ab S. 29) auf Wegener, wenn auch nur z.T. gut begründet.
Ich schreibe dies hier NICHT, weil ich denke, dass Hapgood Wegener (oder gar die Plattentektonik) widerlegt; hinzu kommt, dass Wegener Hapgood nicht kennen konnte und Hapgood nicht die Plattentektonik.
Ich schreibe dies, weil es mich immer wieder verwundert, wie bestimmte Ideen übersehen werden, weil sie totgeschwiegen we(u)rden.
Und weil auch die Plattentektonik nicht alles erklärt (s.wiki).
Mag sein, dass Hapgood irrte. Weil unklar bleibt, WIE Polwanderungen der Erde oder ihrer Rotationsachse Kontinentalverschiebungen PHYSIKALISCH verursachen können.
Aber es werden interessante Fragen bzgl. Schnelligkeit von Ereignissen aufgeworfen.