Zum Welttag der genitalen Selbstbestimmung

"May the Foreskin be with you!"

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Heute jährt sich das "Kölner Urteil" vom 7. Mai 2012 zum zwölften Mal. Die alljährliche Demonstration mit Kundgebung in Köln wurde bereits am 4. Mai abgehalten und live gestreamt. Wer das verpasst hat, kann weiterhin den Mitschnitt abrufen beziehungsweise sich das fast dreistündige Video in kleinen Häppchen gönnen.

Der 4. Mai ist auch der Star Wars-Tag. Ein bekannter Satz aus der Saga lautet "Möge die Macht mit dir sein" oder im englischen Original "May the force be with you". So erklärt sich der Titel des vorliegenden Textes: "Möge die Vorhaut mit dir sein".

Die Demonstrierenden kamen aus aller Welt – Redner*innen aus Deutschland, Australien, Großbritannien, Finnland, Frankreich und der Schweiz wurden gehört.

Das diesjährige Schwerpunktthema "Genitale Selbstbestimmung und Gesundheit" wurde von vielen Seiten ausführlich beleuchtet. David Smith und Jason Matters von 15 Square (UK) stellten aktuelle Studien zu den psychischen Folgen der männlichen "Beschneidung" vor. Sie ermutigten betroffene Männer, sich zu Wort zu melden, denn nur so könne das Tabu gebrochen und die Folgen aufgedeckt werden.

Ben Scholz, der auf YouTube einen Aufklärungskanal ("jungsfragen") mit der Zielgruppe männliche Jugendliche betreibt, berichtete von seiner Beobachtung, dass auffällig viele Jungen schon in sehr jungem Alter (zwischen 3 und 6 Jahren) ihre Vorhaut entfernt bekämen. Dass es dafür jedes Mal einen zwingenden medizinischen Grund gäbe, sei, auch angesichts der Vielzahl an Operationen, nicht naheliegend. Generell könne jeder erwachsene Mensch mit seinem Körper tun, was er wolle. Jedoch von Kindern solle man die Finger lassen.

Gislinde Nauy (Terre des Femmes) prangerte an, dass sie als Privatperson im Freundeskreis permanent Aufklärungsarbeit leisten müsse, damit Jungs nicht genitalverstümmelt werden. Dies sei Aufgabe von Ärzt*innen. Die angeblichen gesundheitlichen Vorteile von Operationen am kindlichen Genital (sei es Penisvorhaut oder Klitorisspitze) entlarvte sie als Erbe aus einem Kapitel der Medizingeschichte, die Masturbation noch für eine Krankheit hielt, die es dringend zu bekämpfen galt. Studien hätten herausgefunden, dass Masturbation eine gesundheitsfördernde Wirkung habe und sogar von der Krankenkasse als vorbeugende Maßnahme empfohlen werde. Dass ein vollständiges Genital dazu unabdinglich sei und genitale Selbstbestimmung daher eine Grundvoraussetzung für körperliche und seelische Gesundheit darstelle, sei also nicht weiter verwunderlich.

Foto: © Meike Beier
Foto: © Meike Beier

Lilith Raza (Lesben- und Schwulenverband Köln) stellte heraus, dass es für trans* Männer und trans* Frauen wichtig sei, mit vollständigem Genital aufzuwachsen. Und zwar unabhängig davon, ob eine "geschlechtsangleichende OP" angestrebt werde oder nicht. Im Falle einer OP werde das Ausmaß dessen, was verloren gegangen sei, allerdings noch offensichtlicher.

In einer Überraschungsrede stellte sich Rubine Singh als intakte Intersex-Person vor. Rubine kommt aus Indien und nennt sich ein glückliches Kind von Eltern, die sich gegen jegliche Operation entschieden haben, obwohl die Ärzt*innen dazu geraten hatten. Viele Intersex-Kinder hatten leider nicht dieses Glück. Auch hier hat man sehr lange die Ratschläge von Ärzt*innen nicht infrage gestellt. Zum Glück ändert sich das langsam. "Meine Vision ist eine Welt, in der kein Kind mehr an seinem Genital verletzt wird, sondern in der jedes Kind selbstverständlich vollständig und intakt aufwachsen kann", schloss Rubine den kurzen Input.

Victor Schiering (MOGiS – Eine Stimme für Betroffene) brachte es abschließend auf den Punkt: Es sei nicht lange her, dass man in unserer Gesellschaft Sexualität und Genitalien als etwas Negatives ansah. Erst seit verhältnismäßig kurzer Zeit würden sie als das angesehen, was sie sind: lustspendende Organe, die positiv besetzt sind. Selbstverständlich sei die Verletzung eines gesunden Genitals ohne zwingende Notwendigkeit nicht gesund. Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte in Deutschland (BVKJ) hat hier mit einem mehrsprachig erhältlichen Informations-Flyer sowie der Aktualisierung der Phimose-Leitlinie Pionier-Arbeit geleistet. Eine Hoffnung liegt auf der nächsten Generation, die mit dem Selbstverständnis "My body, my choice" aufwächst und sich eines Tages nicht mehr vorschreiben lassen wird, dass man Kinder erst nach Genitalien in Schubladen steckt und dann unterschiedlich rechtlich schützt.

Äußerst bescheiden fiel in diesem Jahr der Beitrag der Politik aus. Drei Abgeordnete der SPD steuerten ein Grußwort bei. Selbstverständlich ist ihnen zu danken, da sie als einzige der großen Parteien den Aktionstag nicht ignorierten. Doch man merkte den Reden sehr deutlich an, was jedem klar ist und was doch niemand ausspricht: Auf dem Gratismut-Thema der FGM in "fremden" Kulturen herumzureiten bringt Stimmen ein – die Erlaubnis der Genitalverstümmelung eines Kindes mit Penis durch die eigene Gesetzgebung wird ausgespart. Einzig die Partei der Humanisten (PdH) hat die Courage, das Kind beim Namen zu nennen: "Was ist denn so schwierig an diesen Forderungen? Was ist denn das Problem? Was gibt es darüber eigentlich zu diskutieren?", empörte sich Lasse Schäfer über seine Politik-Kolleg*innen. Religionsfreiheit und Schutz vor körperlicher Gewalt seien keine Grundrechte, die gegeneinander abgewogen werden müssten, sondern die in Einklang miteinander gebracht werden sollten. Jeder Mensch habe das Recht über seinen Körper und seine Religionsausübung selbst zu bestimmen. Auch über eine Beschneidung entscheide entsprechend jeder für sich selbst und nicht für andere. Stattdessen würden in dieser Diskussion Kinder von Rechtssubjekten zu Rechtsobjekten ihrer Eltern gemacht. Das sei es nicht, was das Grundgesetz mit der Religionsfreiheit im Sinn habe.

Foto: © Meike Beier
Foto: © Meike Beier

Der Worldwide Day of Genital Autonomy (WWDOGA – diesmal sogar in französischer Sprache als "La Journée mondiale pour l'autonomie génitale" von der Organisation Droit au Corps gewürdigt) war auch in diesem Jahr wieder ein beeindruckendes Ereignis, das viel Raum für inspirierende Begegnungen bot. Dennoch ist es immer wieder beschämend zu sehen, dass im Jahr 2024 in Deutschland weiterhin Betroffene von Gewalttaten nahezu alleine für ihre Rechte einstehen müssen. Dass die großen politischen Akteur*innen und die hochfrequentierten Medien – also alle, deren Stimme gehört würde – diesen Ruf für eine bessere Welt weiterhin ignorieren. Vielleicht braucht es wirklich eine völlig neue Generation, um endlich die Täter*innen-Perspektive zu verlassen und vom Kind beziehungsweise dem betroffenen Individuum her zu denken.

Weitere Informationen:

Mitschnitte der Veranstaltung

"It's Mine!" – Parcours der genitalen Selbstbestimmung: Heute ab 20 Uhr gibt es den Audio-Parcours "It's Mine!" in der Audiothek des PATHOS Theater in München zum Nachhören. Der Parcours wurde 2023 im Rahmen des WWDOGA entwickelt und produziert und nahm Bezug auf das damalige Schwerpunktthema "Genitale Selbstbestimmung in der Kunst".

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