Niederlande

Missbrauch durch Zwangsarbeit in Klöstern

Missbrauch in kirchlichen und kirchennahen Einrichtungen fand nicht nur auf sexueller Ebene, sondern vielfach auch auf andere Weise statt. In den Niederlanden haben nun mehrere Frauen einen Orden verklagt, weil sie in dessen Klöstern als Mädchen schwere Zwangsarbeit leisten mussten – so die Anschuldigung. Der Nonnenorden will sich den Vorwürfen nicht stellen und wendet unter anderem ein, dass die Fälle bereits verjährt seien.

Neunzehn Frauen zwischen 62 und 91 Jahren brachten im Februar vor dem Bezirksgericht der niederländischen Stadt Haarlem eine Klage gegen die Kongregation Unserer Lieben Frau von der Barmherzigkeit vom Guten Hirten – im Volksmund kurz "Schwestern vom Guten Hirten" genannt – ein, weil sie nach eigener Angabe als jugendliche Mädchen in Nähwerkstätten, Wäschereien und Bügelstuben schwere und unentgeltliche Zwangsarbeit leisten mussten.

Was ist der Vorwurf?

Aufgearbeitet werden Missbrauchsfälle, die zwischen 1951 bis 1971 in den Niederlanden stattgefunden haben sollen. Es war eine grausame und unbarmherzige Welt für Mädchen aus problematischen Familienverhältnissen. Wurde in einer Gemeinde die häusliche Situation heranwachsender Frauen als unsicher erkannt, etwa wegen Alkoholmissbrauchs, Gewalt, Körperverletzung, sexuellen Missbrauchs oder Vernachlässigung in sehr kinderreichen Familien, wurden sie unter anderem der Obhut der Schwestern des Guten Hirten übergeben. Einige Eltern setzten auch freiwillig ihre Töchter in den geschlossenen Anstalten ab, etwa weil es sich um "gefallene" Mädchen handelte und man sich ihrer schämte, obgleich viele dieser angeblich "Gefallenen" tatsächlich Opfer von Vergewaltigungen waren, nicht wenige davon haben im häuslichen Bereich stattgefunden. Bei den Nonnen erwartete die jungen Mädchen aber keine pädagogische Unterweisung, liebevolle Erziehung oder auch nur Verständnis, sondern Jugendfürsorge hieß damals langwierige und erschöpfende Arbeit, die unentgeltlich zu leisten war. Arbeiten, beten und schlafen gestaltete den Tagesablauf der Teenagerinnen, mehr war für sie nicht vorgesehen, mehr war nicht erlaubt, Verstöße wurden geahndet und schwer bestraft.

"Im Kloster herrschte ein System der permanenten Unterdrückung, Erniedrigung und Entmenschlichung", erinnert sich Lies Vissers (70), eine Klägerin vor dem Bezirksgericht Haarlem, in einem Interview mit Peter de Graaf von der niederländischen Tageszeitung deVolkskrant. "Du durftest nicht reden, du durftest keine Freundschaften schließen und du durftest nicht einfach gehen oder tun, was du wolltest. Man musste immer in einer Reihe von einem Ort zum anderen gehen, begleitet von einer Nonne vorne und einer Nonne hinten. Die Fenster waren geschlossen, jeder Tag war gleich. Du hattest kein eigenes Selbst mehr. Bei Zuwiderhandlungen wurde man in die Isolationszelle (der Dachboden) geworfen". Eine weitere Klägerin sagte: "Du durftest nie stillsitzen. Ich war vierzehn und verbrachte den ganzen Tag an der Tretnähmaschine. Manchmal konnte ich mich zehn Sekunden ausruhen, aber dann musste ich weiterarbeiten. Es hinterließ bei mir abgenutzte Wirbel. Ich saß auf einem zu hohen Stuhl. Du warst eine Art Roboter." Ein anderes Opfer erzählte, dass die Arbeit manchmal so schwer war, dass sie ohnmächtig wurde. Es wurde nie geredet und die Mädchen durften nie raus, außer um woanders zu arbeiten.

So hört sich die Umsetzung des Fürsorgeauftrags der Schwestern aus Sicht der Betroffenen an. Bildung bekamen die jungen Frauen übrigens so gut wie keine. Für alle Mädchen waren die Heime bloß Arbeitsgefängnisse. Verstärkt wurde der Druck auf die Mädchen noch dadurch, dass sie während der stundenlangen Arbeitszeit ein absolutes Redeverbot einhalten mussten. "Es war ein Gefängnis, die Hölle auf Erden, diese Zeit hat mein ganzes Leben geprägt", sagt Vissers, die nun Gerechtigkeit einfordert. Gemeinsam mit der Clara-Wichmann-Stiftung, einer wichtigen und erfolgreichen Stimme in der niederländischen feministischen Bewegung, will sie die gerichtliche Anerkennung ihrer Zwangsarbeit bei den Schwestern des Guten Hirten erreichen. Sollte das Gericht dem Klagebegehren stattgeben, dann müsse ihr und den anderen Klägerinnen die Kongregation rückwirkend den Lohn auszahlen, so hofft sie.

Warum wollen die Schwestern keine Wiedergutmachung leisten?

Eine solche Lohnrückzahlung wollen die Schwestern jedoch unbedingt vermeiden, denn bei den 19 Klägerinnen könnte es nicht bleiben. Allein in den Niederlanden betrieb die Kongregation fünf Klöster. Die Klägeranwältin schätzt, dass seit der Ankunft der Schwestern in den Niederlanden um die 15.000 Mädchen in den Anstalten schwer und unentgeltlich arbeiten mussten. Und das Beispiel der Klägerinnen könnte nicht nur in den Niederlanden, sondern weltweit Schule machen. Die internationale Apostolische Gemeinschaft verfügt noch immer über 72 Niederlassungen (es waren einmal 110).

Höchstpeinlich ist der Rechtsstreit für den Orden auch. Als Nichtregierungsorganisation erlangte er einen Beraterstatus im Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen. Dort meint man, bei der Umsetzung der Menschenrechte unterstützen zu können. Der Beraterstatus beim Rat für Wirtschaft und Soziales ist vermutlich die höchste Ehre, die die UN einer NGO zuteilwerden lässt. Für diese Anerkennung leisten sich die Schwestern ein internationales Büro an der UNO in New York und in Genf, doch im eigenen Haus für klare Verhältnisse einstehen, Wiedergutmachung an ein geknechtetes Klientel leisten und das zugefügte Leid im vollen Ausmaß anerkennen, das mag der katholische Orden nicht.

Allerdings fehlt ihm nicht jegliches Unrechtsbewusstsein. Immerhin konnte man sich bei den Schwestern zu einem Entschuldigungsschreiben aufraffen, wie deVolkskrant berichtet. Das ist nicht nichts, viel ist es aber auch nicht, jedenfalls unzureichend für die 19 Frauen, die den Kampf weiterführen wollen. Im Interview lässt Lies Vissers ihrem Unmut freien Lauf: "Wir bleiben kämpferisch, weil sie lügen und betrügen. Sie behaupten, dass die Kinderarbeit hauptsächlich der Therapie diente und sie keinen Gewinn daraus gezogen haben."

Was spricht für den Erfolg der Klage?

Die Klägerinnen können für ihre Sache bei Gericht ein wichtiges Dokument vorlegen: 2019 untersuchten zwei Universitätsprofessoren aus Leiden und Tilburg gemeinsam auf Grundlage eines Auftrages des damaligen Justizministers die Vorgänge in einer Jugendeinrichtung und gelangten zum Ergebnis, dass die von den jungen Frauen geleistete Arbeit unter die international anerkannte Definition von Zwangsarbeit fällt. Die Forscher kritisierten auch den niederländischen Staat dafür, dass dieser keinerlei Aufsichtsfunktion über das Treiben in den Klöstern ausübte.

Was spricht für eine Abweisung der Klage?

Trotzdem ist überaus fraglich, ob die Klage am Ende erfolgreich sein wird, denn die Anwälte der Kongregation spielen alle juristischen Trümpfe aus. Zuerst hat das Gericht über die Rechtsnachfolge zu entscheiden, was bei einer Kongregation nicht einfach ist. Der Begriff Kongregation stammt aus der römisch-katholischen Kirche und bezeichnet eigentlich nur einen Zusammenschluss mehrerer selbständiger Klöster. Nun hat sich die Kongregation aber aus den Niederlanden zurückgezogen, weshalb in erster Linie die Klage gegen das Mutterhaus in Angers (Frankreich) geführt wird. Diese Schwestern aus dem Mutterhaus waren es auch, von denen das einzige Entschuldigungsschreiben stammt.

Eine weitere Verteidigungsstrategie der Anwälte muss den Opfern wie eine Verhöhnung vorkommen. Sie wenden ein, dass die Schwestern zutiefst davon überzeugt gewesen wären, ihr Ansatz habe zu einer tugendhaften Entwicklung der Frauen geführt und ihnen ermöglicht, zu nützlichen Mitgliedern der Gesellschaft zu werden. Immer noch ist also in den Köpfen verankert, dass es sich bei den Schutzbefohlenen, die bloß traumatisierte Opfer ihrer familiären Verhältnisse waren, um irregeleitete Problemfälle handelte, die mit Zwang zur schweren Arbeit "gerettet" werden mussten. Man muss sich dabei vor Augen halten, dass viele Mädchen kaum älter als 10 Jahre waren, als sie blutjung den Schwestern übergeben wurden. Als "fromme Buße" oder vermeintliche Erziehungsmaßnahme haben sie für Kaufhäuser und Krankenhäuser jahrelang tagein und tagaus nähen und waschen müssen. Als Ausgleich für die schwere Arbeit gab es stundenlanges Beten.

Aber selbst, wenn man dieses abstruse Erziehungsmodell der Schwestern "im historischen Kontext" des damals mangelhaften Jugendpflegesystems als Rechtfertigung anerkennen möchte, erklärt dieses Vorbringen nicht, warum die jungen Mädchen die Schwerstarbeit unentgeltlich leisten mussten. Hierzu trägt die Verteidigung vor, dass die Schwestern selbst ihre Arbeit mit begrenzten Ressourcen und Personal erledigen mussten. Anders gewendet argumentiert man also, bis in die 70er Jahre des vorherigen Jahrhunderts sei das Fehlen von Personal eine Rechtfertigung für Zwangsarbeit gewesen. Die Ausrede geht auch deshalb ins Leere, weil die Kongregation nicht gezwungen war, mehrere Häuser zu betreiben. Der Nonnenorden hätte nicht expandieren müssen, sondern seine Ressourcen auf wenige Anstalten beschränken können, statt Häuser zu betreiben, die unter wenig schmeichelhaften Namen bekannt wurden. Einer davon lautete übrigens: "Haus Sibirien"!

Ein wesentlicher Einwand der juristischen Verteidigung ist schließlich der einer möglichen Verjährung.

Der aktuelle Fall in den Niederlanden ist kein lokales Problem

Bei den Vorkommnissen in den Niederlanden handelt es sich nicht bloß um ein lokales Problem, und auch nicht nur um eines von einem einzelnen Orden mit besonders bösartigen Schwestern.

Schon der Skandal in Irland um die "Magdalenen-Wäschereien" hat aufgezeigt, dass auch in irischen Heimen systematisch Zwangsarbeit stattfand. Der Skandal betraf vier Nonnenorden, wobei die Schwestern des Guten Hirten einer davon war. Auch das Schicksal tausender Kinder, die in den irischen Heimen umkamen, darf an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben. Beispielsweise wurden rund 800 Überreste von Babys in Klärgruben und unterirdischen Kammern auf dem Gelände eines Heimes entdeckt, wo sie die Nonnen achtlos entsorgt hatten. Wie in den Niederlanden sahen auch in Irland der Staat und die Gesellschaft über Jahrzehnte tatenlos zu, wie junge Frauen, die Unterstützung und viel Liebe und Aufmerksamkeit benötigt hätten, gnadenlos ausgebeutet wurden. Die Zwangsarbeit in den Wäschereien endete erst, als mit Aufkommen der Waschmaschinen die Tätigkeit für die Ordensschwestern nicht mehr rentabel war. Doch immerhin richtete die irische Regierung nach Aufkommen des Skandals einen Entschädigungsfonds für Überlebende ein.

Es ist noch nicht genug – To Dos

So begrüßenswert die staatlichen Entschädigungen, die in einigen Staaten, einschließlich Deutschland, Österreich und Schweiz, zum Teil stattgefunden haben, auch sind, man darf nicht übersehen, dass es sich bei den geleisteten Entschädigungen um keine gnädigen Kulanzzahlungen oder Solidaritätsbekundungen handelt. Vielmehr haben die Staaten in ihrer Aufsichtspflicht über die Fürsorgegebarung der kirchlichen Einrichtungen krass versagt, die Hilfsbedürftigen in den religiös geführten Anstalten völlig im Stich gelassen. Zu Recht sind daher auch die Staaten und Gebietskörperschaften für ihre Unterlassungen zur Kasse zu bitten.

Doch die Nonnen, die den Kindern das Leid zugefügt haben, müssen ebenfalls oder verstärkt Zahlungen leisten. Die verantwortlichen Ordensgemeinschaften sollten den Heimkindern ihren Lohn vollständig auszahlen und sie bei den Sozialversicherungsträgern rückwirkend anmelden, damit sich deren Versicherungszeiten und Pensionen erhöhen. Es bedarf also einer raschen juristischen Aufarbeitung der Zwangsarbeit in kirchlichen Einrichtungen. Die Staaten sollten diese auf rechtlicher Ebene unterstützen, indem sie Verjährungsregeln für traumatisierte Opfer aufheben.

Nota bene: Auf der österreichischen Webseite für die "Provinz Österreich – Schweiz – Tschechien" der Kongregation der Schwestern des Guten Hirten liest man über den Fall in den Niederlanden genau nichts (Stand: 24.02.2023). Das ist bedauerlich und gibt ein bezeichnendes Bild ab für die weiterhin bestehende ignorante Haltung.

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