Charlie Hebdo

Mahnwache mit religiösen Beteuerungen

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BERLIN. (hpd) Zehntausend Menschen schwiegen am gestrigen Abend auf dem Pariser Platz in Gedenken an die Terroropfer von Paris. Der Zentralrat der Muslime und die Türkische Gemeinde hatten zu der Mahnwache unter dem Motto “Zusammenstehen - Gesicht zeigen” am Brandenburger Tor aufgerufen. Auch der Zentralrat der Juden sowie die evangelische und die katholische Kirche sowie viele Regierungsvertreter nahmen an der Veranstaltung teil.

Vielleicht auch deshalb blieb der Eindruck, dass es am Brandenburger Tor weniger um eine Mahnwache für die Opfer des Terroranschlags ging, als vielmehr darum, jegliche Religionen von ihrer Verantwortung für Gewalttaten freizusprechen.

Schon am Beginn der Mahnwache für die Ermordeten wurden zwei Suren aus dem Koran verlesen, die zeigen sollen, wie tolerant und friedlich der Islam sei: “Wer ein menschliches Wesen tötet, ohne dass es einen Mord begangen oder auf der Erde Unheil gestiftet hat, so ist es, als ob er alle Menschen getötet hätte.” Genau über diese und die darauffolgende Sure hat heute bereits Ufuk Özbe ausführlich beim hpd geschrieben.

Aiman Mazyek, der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, betonte ebenfalls, dass es nicht “der Islam” sei, der Menschen zu Terroristen werden lasse. “Die Terroristen wollten den Propheten rächen? Nein! Sie haben mit ihrer Tat die größte Gotteslästerung begangen” sagte er in seiner Rede im Hinblick auf den Terroranschlag in Paris. Über die (vermutlich islamistischen) Attentäter sagte er: “Sie haben den Islam mit ihrem fürchterlichen Akt verraten und in den Schmutz gezogen. Wir sagen heute unmissverständlich an die Adresse aller Terroristen: Wir werden es nicht zulassen, dass unser Glaube missbraucht wird.”

“In diesen schwierigen Zeiten müssen wir zusammenstehen”, forderte auch Erol Pürlü, der Sprecher des Koordinationsrats der Muslime. Gegen die Gefahr, die von Fundamentalisten ausgeht, müssen wir gemeinsam stark sein. Dabei sei es gleich, ob man sich als Christ, als Moslem oder als Jude fühle.

Diese “Dreiteilung” fand sich immer wieder und in allen Reden. Ob es Weihbischof Matthias Heinrich vom Erzbistum Berlin war oder sein evangelischer Kollege Bischof Markus Dröge… immer wieder hörte man: “Juden, Christen und Muslime sagen gemeinsam Nein zu jeder Gewalt, zu jedem Terror im Namen des Glaubens an Gott.” Als würden nicht auch und vor allem religionsfreie Menschen jegliche Gewalt im Namen jeglicher Religionen ablehnen.
Erstaunlicherweise war es dann Weihbischof Matthias Heinrich, der auch die Humanisten erwähnte. Immerhin!

Der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Abraham Lehrer, rief die Muslime dazu auf, selbst gegen islamistischen Terrorismus vorzugehen. “Die Islamisten wollen unsere freiheitlichen westlichen Demokratien treffen und sie wollen die Juden vernichten.”

In seiner abschließende Rede dankte Bundespräsident Joachim Gauck den Muslimen in Deutschland für ihr Eintreten gegen religiösen Fanatismus. Er rief alle Menschen in Deutschland unabhängig von Religion und Herkunft dazu auf, sich für Demokratie und Weltoffenheit einzusetzen. In (peinlicher) Abwandlung des Spruches: “Wir sind alle Charlie Hebdo” machte er unter dürftigem Applaus ein “Wir sind alle Deutschland”; als wären Terrorismus und Opfer nicht international.

Der einzige, der in seinem Grußwort ganz ohne religiöse Bezüge auskam, war Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller. Er sprach sich deutlich gegen fremdenfeindliche Demonstrationen aus. Die Terroranschläge würden nach seinen Worten dazu missbraucht, islamfeindliche Stimmung zu schüren. “Setzen wir dagegen eine Allianz der Mitmenschlichkeit. Wir brauchen jetzt nicht weniger Freiheit, sondern noch größere Offenheit. Denn das macht unsere Demokratie aus, die wir stärken müssen.”

Gehört der Islam zu Deutschland?

Die Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte beim Staatsbesuch des türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu bereits betont, dass die Worte des ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff: “Der Islam gehört zu Deutschland” für sie ebenfalls gelten. Dagegen regte sich schon im Vorfeld der Mahnwache Widerspruch.

Hamed Abdel-Samad schrieb auf seiner Facebookseite: “Sie sind die Bundeskanzlerin aller Menschen, die in Deutschland leben, und somit selbstverständlich auch die Kanzlerin der Muslime. Das ermächtigt Sie aber nicht dazu zu behaupten, der Islam gehöre zu Deutschland. Es ist nicht die Aufgabe eines Politikers, eine Religion zu rehabilitieren oder zu bewerten. Politiker sind für die Menschen da nicht für die Ideologien dieser Menschen.”

Doch genau die von Abdel-Samad kritisierte Ideologisierung der Politik zeigte sich auch in den Reden am gestrigen Abend.