Zwischen Personalmangel und Pseudopädagogik

Die stille Krise der Erzieher-Qualität

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Kindergarten (Symbolbild)
Kindergarten (Symbolbild)

Medial dominieren Auseinandersetzungen mit strukturellen Problemen in deutschen Kitas und deren Folgen für die erzieherische Qualität. Deutlich seltener werden jedoch Kompetenzdefizite der Erzieher selbst thematisiert. Ein genauerer Blick auf die erzieherische Arbeitsqualität offenbart weitreichende praktische und wissensbezogene Defizite der Erzieher, die nicht selten pseudopädagogische Ausmaße annehmen.

Nach dem "Pisa-Schock" im Jahr 2001 sollte die vorschulische Phase besser in das Bildungssystem integriert werden, was begleitend durch einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für unter Dreijährige im Jahr 2013, einen weitreichenden Ausbau der Betreuungskapazitäten in Kindertagesstätten (Kitas) zur Folge hatte. Der dadurch verschärfte Personalmangel führte zu Problemen, qualitativ hochwertige Arbeit gewährleisten zu können, was Frustrationen unter Erziehern auslöste und zu beruflichen Umorientierungen motivierte. Ein struktureller Teufelskreis, der bis heute den Sektor der Elementarpädagogik prägt.

Diese Problemkonstellation firmiert seither unter dem Begriff "Kita-Krise" in den Medien und adressiert vor allem den "Personalmangel", den "Personalschlüssel", die "überfüllten Gruppen", die "unzureichende Finanzierung" und die "schlechte Ausstattung" der Kitas. Als solches wird die Kita-Krise als hauptverantwortlicher Faktor benannt, der die Betreuungsqualität in den Einrichtungen gefährde.

Soweit nichts Neues, könnte man sich sagen. Zu wenig Raum findet allerdings ein weiterer Faktor, der medial häufig ignoriert und von Erziehern gerne zurückgewiesen wird: Die schlechte Qualität der erzieherischen Arbeit selbst.

Die Qualität der Erzieher

"Zu übertrieben, die sind doch gut ausgebildet!", denken Sie sich vielleicht? An dieser Stelle ist es sinnvoll ein paar Begriffe zu differenzieren: Strukturqualität, Orientierungsqualität und Prozessqualität.

Unter Strukturqualität versteht man jene Aspekte, die bereits unter dem Begriff der "Kita-Krise" subsumiert wurden und meint zusätzlich noch die "Qualität der Ausbildung", die "Stabilität der Betreuung" und die "Strukturierung des Betreuungsablaufs". Zusammenfassend beschreibt die Strukturqualität also die Rahmenbedingungen, unter denen Erzieher arbeiten müssen. Diese werden in den Medien seit Jahren vorrangig thematisiert und lösen immer wieder Streiks unter Erziehern aus.

Die Orientierungsqualität bezieht sich auf "pädagogische Überzeugungen und Werte" der Erzieher, die sie gegenüber den Kindern haben und im eigenen Verhalten zum Ausdruck bringen. So kann eine christliche Erzieherin viel Wert darauf legen, den Kindern religiöse Riten beibringen zu wollen, wohingegen eine naturwissenschaftlich orientierte Erzieherin den Fokus vermutlich stärker auf das spielerische Experimentieren mit der Umwelt setzt.

Ein Blick in die Ausbildungsinhalte kann daher ein Indikator sein, welche Werteorientierung den Erziehern an die Hand gegeben werden. Ausbildungsrahmenpläne für die Erzieherausbildung sind in allen Bundesländern gleich, wobei die konkrete Ausgestaltung der Curricula variieren kann. An dieser Stelle können wir bereits das erste Mal einhaken. Exemplarisch sei hier auf den "Bildungsplan für das Berufskolleg in Nordrhein-Westfalen" verwiesen, der vom Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen herausgegeben wurde. Sucht man nun nach dem Ausbildungsinhalt, der diese Orientierungsfragen adressiert, landet man schnell im Lehrplan bei "Evangelische Religionslehre/Religionspädagogik & Katholische Religionslehre/Religionspädagogik". In insgesamt 160 Stunden werden den Auszubildenden unter Rückgriff auf Artikel 7 Absatz 3 GG (Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach an öffentlichen Schulen) beigebracht, warum der "Mensch als Ebenbild (…) Gottes konstituierende Bedeutung für die Arbeit in sozialpädagogischen Einrichtungen" hat und warum das "Wirken Jesu und die Prinzipien der Nächstenliebe und der Gleichheit aller Menschen (…) grundlegend für das Verständnis von Inklusion" sei. Der Begriff "Werte" taucht für sich genommen im 66-seitigen Dokument exakt dreimal auf und das ausschließlich im religiösen Kontext. Selbstredend könnte die religiöse Wertevermittlung auch abgewählt werden, um stattdessen das gehaltvollere und weltanschaulich neutrale Fach "Praktische Philosophie" zu besuchen. Dafür müssten die Auszubildenden allerdings erst einmal über diese Möglichkeit informiert werden. Wenn die Erzieherschulen vergleichbar starke Interessenkonflikte haben wie die Grundschulen, dann ist davon auszugehen, dass diese Informationen ähnlich spärlich kommuniziert werden.

Die Fächer "Naturwissenschaften" und "Politik/Gesellschaftslehre", die einen weniger dogmatischen Blick auf die Natur und das menschliche Zusammenleben gewähren, sind nur relevant, wenn auch eine Fachhochschulreife neben dem Berufsabschluss angestrebt werden soll. Dafür entscheiden sich laut dem "statistischen Landesamt Baden-Württemberg" nur ein Drittel der Auszubildenden. An dieser Stelle könnte eingewendet werden, dass der absolute Großteil der in Deutschland lebenden Menschen den christlich-religiösen Glauben nicht mehr ausübt und der Religionsunterricht daher nur ein unbedeutender Anachronismus ist, den heutzutage sowieso niemand mehr ernst nimmt. Allerdings greift diese Deutung zu kurz. Erzieher haben die berufsimmanente Aufgabe, die Grundlagen und Werte unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens zu vermitteln. Wenn sie sich mit diesen Themen daher nicht zufällig unabhängig ihrer Ausbildung beschäftigt haben, ist es naheliegend, dass sie im Zweifel (unbewusst) auf religiöse Vorstellungen zurückgreifen werden. In der Folge ist es den Kindern nur erschwert möglich, sich ein von religiösen Interessen unabhängigen Eindruck von der Welt zu bilden.

Die Prozessqualität untersucht die "Interaktion des pädagogischen Personals mit den Kindern und ihren Eltern" und beschreibt damit das Ausmaß der Professionalität eines Erziehers. Wir erinnern uns: Während die Strukturqualität die Rahmenbedingungen der erzieherischen Arbeit anspricht, thematisiert die Prozessqualität die erzieherische Arbeit mit dem Kind selbst. In der Prozessqualität geht es also darum, wie gut es Erziehern gelingt mit Kindern eine gute Beziehung aufzubauen, sie zur Mitgestaltung des Alltags anzuregen, sie individuell zu fördern, ihre Gefühle und Bedürfnisse ernst zu nehmen und eine Umgebung zu schaffen, in der sie sich gut entwickeln können.

Paradox ist, dass die Prozessqualität im öffentlichen Diskurs kaum eine Rolle zu spielen scheint, wenngleich sich konsequent und ausschließlich an den Strukturen abgearbeitet wird. Die Frage nach der Professionalität der Erzieher wird meist mit Plattitüden vom Tisch gewischt, indem auf die umfangreiche Ausbildung verwiesen wird, als ob das ein Garant für qualitativ hochwertige Arbeit wäre. Tatsächliche Überprüfungen der Prozessqualität finden so gut wie gar nicht statt. Dabei gibt es wissenschaftlich gut abgesicherte Instrumente wie beispielsweise die "Kindergarten-Einschätz-Skala (KES-R)", mit der die Prozessqualität gemessen werden kann.

Dass die Prozessqualität deutlich mehr Aufmerksamkeit benötigt, dokumentiert ein Interview aus dem Jahr 2019 mit der Entwicklungspsychologin Margarita Stolarova vom Deutschen Jugendinstitut. Auf die Frage "wie gut" Kitas und Krippen denn seien, entgegnete sie wie folgt:

"Die Qualitätsunterschiede sind sehr groß. Es gibt hervorragende Einrichtungen, aber auch Kitas, die der Entwicklung des Kindes schaden können. Auch innerhalb einer Einrichtung kann es erhebliche Qualitätsunterschiede geben, denn die Arbeit in einzelnen Gruppen oder Teams kann sehr unterschiedlich sein. (…) In der Tat treffen wir bisweilen auch auf Missstände. Manchmal entspricht bei der Interaktion zwischen Erzieherin und Kind einiges nicht den Bedürfnissen der Kinder. Es ist erstaunlich, wie autoritär Interaktionen in der Kita ablaufen können und wie wenig individualisiert pädagogischer Alltag sein kann. Wir beobachten teilweise, dass sich einzelne Kinder oder sogar Kindergruppen über längere Zeiträume unwohl fühlen, ausgeschlossen oder beschämt werden. Unter solchen Umständen kann Entwicklungsförderung nicht funktionieren."

Von:
Alexander Wolber

30. Jun 2025

Schlagworte: 

Kinder Erziehung Studie Kita

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Kindergarten (Symbolbild)

Foto: © tolmacho from Pixabay (Pixabay License)

Medial dominieren Auseinandersetzungen mit strukturellen Problemen in deutschen Kitas und deren Folgen für die erzieherische Qualität. Deutlich seltener werden jedoch Kompetenzdefizite der Erzieher selbst thematisiert. Ein genauerer Blick auf die erzieherische Arbeitsqualität offenbart weitreichende praktische und wissensbezogene Defizite der Erzieher, die nicht selten pseudopädagogische Ausmaße annehmen.

Nach dem "Pisa-Schock" im Jahr 2001 sollte die vorschulische Phase besser in das Bildungssystem integriert werden, was begleitend durch einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für unter Dreijährige im Jahr 2013, einen weitreichenden Ausbau der Betreuungskapazitäten in Kindertagesstätten (Kitas) zur Folge hatte. Der dadurch verschärfte Personalmangel führte zu Problemen, qualitativ hochwertige Arbeit gewährleisten zu können, was Frustrationen unter Erziehern auslöste und zu beruflichen Umorientierungen motivierte. Ein struktureller Teufelskreis, der bis heute den Sektor der Elementarpädagogik prägt.

Diese Problemkonstellation firmiert seither unter dem Begriff "Kita-Krise" in den Medien und adressiert vor allem den "Personalmangel", den "Personalschlüssel", die "überfüllten Gruppen", die "unzureichende Finanzierung" und die "schlechte Ausstattung" der Kitas. Als solches wird die Kita-Krise als hauptverantwortlicher Faktor benannt, der die Betreuungsqualität in den Einrichtungen gefährde.

Soweit nichts Neues, könnte man sich sagen. Zu wenig Raum findet allerdings ein weiterer Faktor, der medial häufig ignoriert und von Erziehern gerne zurückgewiesen wird: Die schlechte Qualität der erzieherischen Arbeit selbst.

Die Qualität der Erzieher

"Zu übertrieben, die sind doch gut ausgebildet!", denken Sie sich vielleicht? An dieser Stelle ist es sinnvoll ein paar Begriffe zu differenzieren: Strukturqualität, Orientierungsqualität und Prozessqualität.

Unter Strukturqualität versteht man jene Aspekte, die bereits unter dem Begriff der "Kita-Krise" subsumiert wurden und meint zusätzlich noch die "Qualität der Ausbildung", die "Stabilität der Betreuung" und die "Strukturierung des Betreuungsablaufs". Zusammenfassend beschreibt die Strukturqualität also die Rahmenbedingungen, unter denen Erzieher arbeiten müssen. Diese werden in den Medien seit Jahren vorrangig thematisiert und lösen immer wieder Streiks unter Erziehern aus.

Die Orientierungsqualität bezieht sich auf "pädagogische Überzeugungen und Werte" der Erzieher, die sie gegenüber den Kindern haben und im eigenen Verhalten zum Ausdruck bringen. So kann eine christliche Erzieherin viel Wert darauf legen, den Kindern religiöse Riten beibringen zu wollen, wohingegen eine naturwissenschaftlich orientierte Erzieherin den Fokus vermutlich stärker auf das spielerische Experimentieren mit der Umwelt setzt.

Ein Blick in die Ausbildungsinhalte kann daher ein Indikator sein, welche Werteorientierung den Erziehern an die Hand gegeben werden. Ausbildungsrahmenpläne für die Erzieherausbildung sind in allen Bundesländern gleich, wobei die konkrete Ausgestaltung der Curricula variieren kann. An dieser Stelle können wir bereits das erste Mal einhaken. Exemplarisch sei hier auf den "Bildungsplan für das Berufskolleg in Nordrhein-Westfalen" verwiesen, der vom Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen herausgegeben wurde. Sucht man nun nach dem Ausbildungsinhalt, der diese Orientierungsfragen adressiert, landet man schnell im Lehrplan bei "Evangelische Religionslehre/Religionspädagogik & Katholische Religionslehre/Religionspädagogik". In insgesamt 160 Stunden werden den Auszubildenden unter Rückgriff auf Artikel 7 Absatz 3 GG (Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach an öffentlichen Schulen) beigebracht, warum der "Mensch als Ebenbild (…) Gottes konstituierende Bedeutung für die Arbeit in sozialpädagogischen Einrichtungen" hat und warum das "Wirken Jesu und die Prinzipien der Nächstenliebe und der Gleichheit aller Menschen (…) grundlegend für das Verständnis von Inklusion" sei. Der Begriff "Werte" taucht für sich genommen im 66-seitigen Dokument exakt dreimal auf und das ausschließlich im religiösen Kontext. Selbstredend könnte die religiöse Wertevermittlung auch abgewählt werden, um stattdessen das gehaltvollere und weltanschaulich neutrale Fach "Praktische Philosophie" zu besuchen. Dafür müssten die Auszubildenden allerdings erst einmal über diese Möglichkeit informiert werden. Wenn die Erzieherschulen vergleichbar starke Interessenkonflikte haben wie die Grundschulen, dann ist davon auszugehen, dass diese Informationen ähnlich spärlich kommuniziert werden.

Die Fächer "Naturwissenschaften" und "Politik/Gesellschaftslehre", die einen weniger dogmatischen Blick auf die Natur und das menschliche Zusammenleben gewähren, sind nur relevant, wenn auch eine Fachhochschulreife neben dem Berufsabschluss angestrebt werden soll. Dafür entscheiden sich laut dem "statistischen Landesamt Baden-Württemberg" nur ein Drittel der Auszubildenden. An dieser Stelle könnte eingewendet werden, dass der absolute Großteil der in Deutschland lebenden Menschen den christlich-religiösen Glauben nicht mehr ausübt und der Religionsunterricht daher nur ein unbedeutender Anachronismus ist, den heutzutage sowieso niemand mehr ernst nimmt. Allerdings greift diese Deutung zu kurz. Erzieher haben die berufsimmanente Aufgabe, die Grundlagen und Werte unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens zu vermitteln. Wenn sie sich mit diesen Themen daher nicht zufällig unabhängig ihrer Ausbildung beschäftigt haben, ist es naheliegend, dass sie im Zweifel (unbewusst) auf religiöse Vorstellungen zurückgreifen werden. In der Folge ist es den Kindern nur erschwert möglich, sich ein von religiösen Interessen unabhängigen Eindruck von der Welt zu bilden.

Die Prozessqualität untersucht die "Interaktion des pädagogischen Personals mit den Kindern und ihren Eltern" und beschreibt damit das Ausmaß der Professionalität eines Erziehers. Wir erinnern uns: Während die Strukturqualität die Rahmenbedingungen der erzieherischen Arbeit anspricht, thematisiert die Prozessqualität die erzieherische Arbeit mit dem Kind selbst. In der Prozessqualität geht es also darum, wie gut es Erziehern gelingt mit Kindern eine gute Beziehung aufzubauen, sie zur Mitgestaltung des Alltags anzuregen, sie individuell zu fördern, ihre Gefühle und Bedürfnisse ernst zu nehmen und eine Umgebung zu schaffen, in der sie sich gut entwickeln können.

Paradox ist, dass die Prozessqualität im öffentlichen Diskurs kaum eine Rolle zu spielen scheint, wenngleich sich konsequent und ausschließlich an den Strukturen abgearbeitet wird. Die Frage nach der Professionalität der Erzieher wird meist mit Plattitüden vom Tisch gewischt, indem auf die umfangreiche Ausbildung verwiesen wird, als ob das ein Garant für qualitativ hochwertige Arbeit wäre. Tatsächliche Überprüfungen der Prozessqualität finden so gut wie gar nicht statt. Dabei gibt es wissenschaftlich gut abgesicherte Instrumente wie beispielsweise die "Kindergarten-Einschätz-Skala (KES-R)", mit der die Prozessqualität gemessen werden kann.

Dass die Prozessqualität deutlich mehr Aufmerksamkeit benötigt, dokumentiert ein Interview aus dem Jahr 2019 mit der Entwicklungspsychologin Margarita Stolarova vom Deutschen Jugendinstitut. Auf die Frage "wie gut" Kitas und Krippen denn seien, entgegnete sie wie folgt:

"Die Qualitätsunterschiede sind sehr groß. Es gibt hervorragende Einrichtungen, aber auch Kitas, die der Entwicklung des Kindes schaden können. Auch innerhalb einer Einrichtung kann es erhebliche Qualitätsunterschiede geben, denn die Arbeit in einzelnen Gruppen oder Teams kann sehr unterschiedlich sein. (…) In der Tat treffen wir bisweilen auch auf Missstände. Manchmal entspricht bei der Interaktion zwischen Erzieherin und Kind einiges nicht den Bedürfnissen der Kinder. Es ist erstaunlich, wie autoritär Interaktionen in der Kita ablaufen können und wie wenig individualisiert pädagogischer Alltag sein kann. Wir beobachten teilweise, dass sich einzelne Kinder oder sogar Kindergruppen über längere Zeiträume unwohl fühlen, ausgeschlossen oder beschämt werden. Unter solchen Umständen kann Entwicklungsförderung nicht funktionieren."

Später betont sie, dass "niemand systematisch [kontrolliert], was wirklich in den Kitas passiert".

Der Deutsche Kitaverband greift in einem Positionspapier vom Juni 2024 die Forderung nach systematischer und extern evaluierter Prozessqualität auf und räumt dieser sogar "höchste Priorität" ein und kritisiert dabei den übermäßigen Fokus auf die strukturelle Kitaqualität. Zudem sollten Träger deutlich stärker in die Verantwortung genommen werden, sich für die Qualität in ihren Kitas einzusetzen.

Zur Prozessqualität in deutschen Kitas gibt es Stand heute nur wenig Forschung. Eine Doktorarbeit an der Uni Bamberg aus dem Jahr 2022 fasst einige Befunde aus Studien zusammen: Bei über 400 Kindergartenkindern konnten nur niedrige Prozessqualitätswerte in der Interaktion mit den Erziehern festgestellt werden1, was auf eine schlechte Arbeitsqualität hinweist. Studien zum Berufswissen legen nahe, dass Erzieher über ausgeprägte Defizite in mathematischem, sprachbezogenem, fachdidaktischem und allgemeinpädagogischem Grundlagenwissen verfügen und beim Reflektieren des eigenen Handelns eher auf unprofessionelles Alltagswissen (z.B. "Manche Kinder brauchen einfach länger, um sich einzugewöhnen", oder "Wenn ein Kind müde ist, wird es quengelig") zurückgreifen. Zudem seien viele Erzieher in ihrer Rolle zu passiv und unterstützten Kinder nicht adäquat im Lernprozess. Beim sogenannten "Scaffolding" sollten sich Erzieher an das Kompetenzniveau von Kindern anpassen, um sie dort zu unterstützen, wo sie Hilfe benötigen und zum "selber machen" motivieren, wo sie keine benötigen. So können sich manche Kinder die Schuhe schon selbst anziehen, aber nicht selbst binden. Im Sinne des Scaffolding werden Kinder angeleitet sich die Schuhe selbst zu binden, indem man es ihnen beispielsweise einmal zeigt und sie es anschließend nachmachen sollen. Das Ziel ist die Selbstständigkeit. Das erfordert allerdings etwas Geduld, die viele Erzieher nicht bereit sind aufzubringen.

Eine weitere Studie untersuchte angehende Erzieher in Deutschland, ob sie eher auf wissenschaftlicher Grundlage oder auf subjektiven Erfahrungen basierend arbeiten.1 Die Studie fand heraus, dass über die Hälfte (53 Prozent) der 712 Untersuchten auf subjektive Erfahrungen zurückgreift und lediglich 47 Prozent wissenschaftsbasiert arbeiten. Befanden sich die angehenden Erzieher in einem Studium, arbeiteten sie überzufällig häufig wissenschaftsbasiert. Die Akademisierung erhöht die Prozessqualität der Erzieher deutlich, wobei ein Studium nach wie vor nur von einer Minderheit von circa 7 Prozent der Erzieher absolviert wird.2

Waldorf und weitere pseudopädagogischen Zugänge

Zusammenfassend konnte gezeigt werden, dass alle drei vorgestellten Qualitätsmerkmale von erzieherischer Arbeit in der Elementarpädagogik in unterschiedlichem Ausmaß als unzureichend bewertet werden können. Dies ist insofern problematisch, als Kitas der erste Einstieg in das Bildungssystem sind und somit eine richtungsweisende Rolle für den weiteren Werdegang der Kinder darstellen. Aus anderen Untersuchungen wissen wir, dass sich wissenschaftliches und rationales Denken bereits früh in der Kindheit (im Kita-Alter) entwickelt. Kinder sollten daher von Anfang an dabei unterstützt werden, eine klare Sicht auf die Welt zu erlangen und sich einen soliden Grundstock an "Basiswissen" anzueignen. Geschieht das nicht, erhöht sich beispielsweise die Wahrscheinlichkeit später einmal para- oder pseudowissenschaftlichen Überzeugungen anzuhängen.

Die unter den Nägeln brennende Frage ist, wie das gelingen kann, wenn die Qualität in den Kitas nicht stimmt? Schlimmer noch, was ist, wenn das nicht vorhandene pädagogische Grundwissen der Erzieher selbst mit pseudowissenschaftlichen Ideen angereichert ist? Nach anekdotischen Erzählungen finden dabei auch immer wieder "wissenschaftliche Zombies" ihren Weg in den Unterricht. So wird nicht selten das freud'sche Märchen der "psychosexuellen Entwicklung" angeführt, aufgrund dessen völlig entwicklungsgerechtes Verhalten der Kinder fehlinterpretiert oder gar psychopathologisiert wird. Das Nuckeln an einem Spielzeug wird schnell mal als "orale Phase" identifiziert, die auf eine spätere Nikotinabhängigkeit hindeute.

Ein weiteres Beispiel wäre das florierende Geschäft mit der pseudopädagogischen Waldorfpädagogik. Alleine in Deutschland gibt es 581 Waldorfkindergärten und 253 Waldorfschulen, die das esoterisch-okkulte Weltbild Rudolf Steiners mit all seinen seltsamen Vorstellungen von Reinkarnation, Karma, Schuld, Autorität, Rassenlehre, Engeln, Hellsicht usw. in die Köpfe der Kinder tragen.3 Allein diese absurd hohen Zahlen der Waldorfpädagogik belegen, wie weit verbreitet pseudopädagogische Ansätze in Deutschland sind, und dabei ist das Dunkelfeld anderer esoterischer Überzeugungen mangels objektivierbarer Zahlen noch nicht einmal berücksichtigt. Glaubt man anekdotischen Äußerungen von Eltern, finden sich nicht selten pseudowissenschaftliche Überzeugungen bei Erziehern, die aus dem Dunstkreis von Feng-Shui, Homöopathie, Impfskepsis, Astrologie, Reiki, schwarze Pädagogik und einem naiven "Naturglaube-Dualismus" (alles was Natur ist, ist gut und alles, was Chemie ist, ist schlecht) stammen.

Fazit

Der mediale Fokus auf die Strukturqualität in der Elementarpädagogik greift zu kurz. Der öffentliche und wissenschaftliche Fokus muss sich deutlich stärker und kritischer der Prozessqualität zuwenden. Zudem sollten klare Standards in der pädagogischen Praxis formuliert werden, die sich an aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen orientieren. Gleichzeitig ist es wichtig, dass destruktive und pseudowissenschaftliche Ansätze reduziert werden. Die Ausbildung der Erzieher muss sich deutlich stärker mit motivationalen und selbstregulativen (z.B. Stresstoleranz-) Strategien auseinandersetzen und berufsbezogenes Wissen konsequenter vermitteln.1

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1 Mischo, C., Wahl, S., Strohmer, J., & Hendler, J. (2012). Knowledge orientations of prospective early childhood teachers: A study of students' scientific versus subjective orientations in teacher education courses in Germany. Journal of Early Childhood Teacher Education, 33(2), 144-162.

2 Molina Ramirez, Magdalena (2022): Zielkindbezogene Prozessqualität in Kindergärten im Kontext kindspezifischer, familialer und kindergartenbezogener Merkmale, Bamberg: Otto-Friedrich-Universität, doi: 10.20378/irb-53535. 

3 Sebastiani, A. (2019). Anthroposophie: eine kurze Kritik. Alibri.