In über 30 Städten staut sich der Kirchenaustritt bis zu 6 Monate

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Bisher hat es nur das Amtsgericht Köln in die bundesweite Presse geschafft, weil die neuen Termine dort innerhalb weniger Stunden bereits wieder ausgebucht waren. Doch nicht nur Köln macht seinen Bürgern den Kirchenaustritt schwer. In über 30 deutschen Städten muss man eigenen Recherchen zufolge lange auf einen Termin warten. 

Wenn man Glück hat, beträgt die Wartefrist nur circa einen Monat – so zum Beispiel in Würzburg, aber auch im schon sehr konfessionsfreien Halle an der Saale. Etwa sechs Wochen dauert es beispielsweise in Saarbrücken und Trier

In den meisten Städten in der unten stehen Liste sind die Termine für Mai und Juni komplett ausgebucht. Dies betrifft nicht nur sehr viele Amtsgerichtsbezirke in Nordrhein-Westfalen, sondern zum Beispiel auch Fulda und Dresden. In der sächsischen Landeshauptstadt gehören gerade mal noch um die 20 Prozent dem christlichen Glauben an und trotzdem sind die Termine rar. 

Frustrierend ist die Lage auch in Hessen: Während sich Darmstadt mit dem Titel "Wissenschaftsstadt" rühmt, können die Termine für den Kirchenaustritt nur 14 Tage im Voraus gebucht werden. Es ist aber kein einziger Termin im ganzen Mai frei, Juni wird noch nicht einmal angezeigt.

In Marburg wird zwar eine Online-Terminvereinbarung angeboten, aber: "Aufgrund der hohen Nachfrage sind leider z. Zt. alle Termine für die nächsten 5 (6) Wochen vergeben." Anders als zum Beispiel in Köln wird dem Austrittswilligen auch nicht mitgeteilt, wann die nächsten Termine gebucht werden können

Die Main-Metropole Frankfurt macht trotz einer Milliardenverschuldung knapp fünf Millionen Euro locker für den 3. Ökumenischen Kirchentag, der kommende Woche beginnt. Am Personal für den Kirchenaustritt spart man anscheinend hingegen: Auf der Website der Stadt zur Online-Terminvereinbarung heißt es schon seit Wochen lapidar: "Leider können wir Ihnen im Moment an keinem Standort einen Termin anbieten." Erst wenn man ein bestimmtes Bürgeramt auswählt, wird überhaupt ein Kalender angezeigt. Schon seit Mitte April gibt es bis Ende Mai keinen einzigen freien Termin. Unter dem Mai beginnt noch ein roter Streifen, so als wenn da auch noch der Monat "Juni" zu sehen sein sollte. Aber er ist abgeschnitten. Doch selbst wenn hier nur das Webseiten-Design versagt, sind anscheinend ja auch im Juni keine Termine frei, sonst stünde dort nicht der zuvor zitierte Satz. 

Wartezeiten von knapp drei Monaten oder mehr

Katastrophal ist die Situation auch in Hamburg. In der Hansestadt sind verschiedene Standesämter zuständig. Beim Standesamt Hamburg-Eimsbüttel bekommt man frühestens Ende Juli einen Termin und nach Aussage einer Mitarbeiterin sieht es bei den anderen Stellen teilweise sogar noch schlimmer aus. Die Standesbeamtin rät bei einem Anruf schon von allein dazu, sich an einen Notar zu wenden: Wenn man seine Austrittserklärung selbst vorbereitet und der Notar diese nur noch beglaubigen muss, zahle man lediglich 25 Euro. Muss der Notar die Austrittserklärung hingegen selbst formulieren, kostet es sogar 75 Euro. In beiden Fällen kommen noch 15 Euro Bearbeitungsgebühr beim Standesamt hinzu, an das man die beglaubigte Erklärung dann weiterleiten muss.

In München und Osnabrück hat die Lokalpresse bereits berichtet, dass die Termine schon jetzt bis Ende Juli im Voraus ausgebucht sind.

"Woelkimania" in NRW geht weiter

Im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen können die Termine noch nicht bei allen Amtsgerichten über das Internet gebucht werden. Dort, wo dies möglich ist, war es am vergangenen Samstag wieder so weit: Immer am ersten Tag eines Monats werden die Termine für den übernächsten Monat (also jetzt Juli) freigeschaltet. Köln und Düsseldorf lieferten sich einen knappen "Wettkampf": 9:40 Uhr am Samstagmorgen waren in Düsseldorf schon alle neuen Termine für Juli ausgebucht. Köln folgte wenige Minuten später.

Am Montagmorgen waren dann auch die Amtsgerichtsbezirke Aachen, Essen, Geldern, Kerpen, Kleve, Velbert und Wuppertal komplett oder nahezu bis Ende Juli ausgebucht. In mehreren anderen Bezirken war zumindest die Hälfte aller Juli-Termine schon vergeben. Für Mai und Juni gibt es keine Termine mehr in den Amtsgerichtsbezirken Bocholt, Bonn, Düren, Krefeld, Leverkusen, Marl, Moers, Mülheim an der Ruhr, Münster und Viersen.

Wartezeiten über fünf Monate in Kiel und Dortmund

Die absoluten Spitzenreiter in der Wartedauer sind jedoch Kiel und der Amtsgerichtsbezirk Dortmund. In Kiel gibt es aktuell erst im September wieder freie Termine. Unter der Hand bestätigt das Amt: Dies hat nicht nur etwas damit zu tun, dass aufgrund der Pflicht zur Terminvereinbarung weniger Anträge bearbeitet werden können, sondern mit einer Austrittswelle, wie es sie seit 20 Jahren nicht gegeben habe. Während man früher nur anderthalb Wochen habe warten müssen, seien es jetzt Monate. Dies habe aber insofern doch etwas mit der Corona-Pandemie zu tun, als dass die Menschen jetzt zum einen Zeit für den Austritt übrig, dafür aber weniger Geld im Portemonnaie hätten.

Dortmund nimmt nicht am Online-Buchungssystem in NRW teil und vergibt telefonisch Termine sogar über den Juli hinaus. Frühestmöglicher: 29. Oktober, also in knapp sechs Monaten. Das ist der traurige Rekord der bundesweiten Recherche.

Für Berlin lagen zum Zeitpunkt der Veröffentlichung noch keine Daten für alle zuständigen Amtsgerichte vor. Die Situation scheint sehr unterschiedlich zu sein: Während das Amtsgericht Schöneberg Anfang April erst Termine für Ende Mai anbieten konnte, kann man beim Amtsgericht Charlottenburg trotz der Corona-Maßnahmen einfach ohne Termin seinen Austritt erklären. Auf der Website des Amtsgerichts Köpenick steht: "Bis vorerst 09.05.2021 sind im Amtsgericht Köpenick k e i n e Kirchenaustritte mehr möglich. Wenden Sie sich ggf. gem. § 1 Abs. 2 Kirchenaustrittsgesetz an eine Notarin/einen Notar Ihrer Wahl." Bei drei Versuchen, telefonisch trotzdem einen Termin zu vereinbaren, waren jedes Mal rund 50 andere Menschen in der Warteschleife.

Skandal oder coronabedingt unvermeidbar?

In manchen Presseartikeln findet sich die Bemerkung, dass die Zahl der Austritte in absoluten Zahlen nicht höher sei als in den Vorjahren. Dies hängt sicher sehr von der Stadt ab. Gerade für Köln erscheint diese Behauptung angesichts des Skandals um Kardinal Woelki zumindest zweifelhaft.

Doch was genau ist an dieser Situation eigentlich so skandalös? Immerhin gelten aufgrund der Corona-Pandemie in so ziemlich jeder Amtsstube Zutrittsbeschränkungen. Damit Infektionsketten notfalls nachverfolgt werden können, muss vor dem Behördengang ein Termin vereinbart werden. Das erscheint ja auch nachvollziehbar und sinnvoll – das Problem ist der Behördengang selbst: Die sogenannte "negative Religionsfreiheit" umfasst schließlich auch das Recht, seine Zugehörigkeit zu einer Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft (oder gerade seinen Austritt aus einer solchen!) niemandem – auch nicht dem Staat gegenüber – offenbaren zu müssen. Dieses Recht wird durch den staatlichen Kirchensteuereinzug und die Pflicht, seinen Austritt bei einer Behörde erklären zu müssen, immer wieder aufs Neue verletzt.

Mit dem Prinzip eines weltanschaulich neutralen Staates ist es nur vereinbar, seinen Austritt einzig und allein gegenüber der Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft erklären zu müssen. Und hierfür dürften keine höheren Anforderungen gelten als bei jeder anderen privaten Mitgliedschaft in einer Organisation wie zum Beispiel einem Verein – ein einfacher Brief muss genügen.

Doch auch jenseits dieser grundlegenden Kritik an der gegenwärtigen Verbindung von Kirche und Staat sind die langen Wartezeiten nicht hinzunehmen. Für viele andere Fristen und Rechtspflichten hat der Staat aufgrund der Pandemie Ausnahmen geschaffen. So können Mitgliederversammlungen von Vereinen beispielsweise digital abgehalten werden und Vorstände bleiben im Amt, auch wenn schon ein neuer hätte gewählt werden müssen. Warum hat der Gesetzgeber keine Ausnahme für den Kirchenaustritt erlassen? Solange wie die Termine bei den Ämtern aufgrund der Corona-Beschränkungen knapp sind, könnte der ausnahmsweise per einfachem Brief (statt persönlich beim Amt) erklärte Kirchenaustritt rückwirkend anerkannt werden, wenn der persönliche Termin auf dem Amt später nachgeholt wird. Genau dies hat die Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) schon am 16. März vorgeschlagen und hierfür ein Formular entwickelt.

Der Terminstau kann auch nicht damit gerechtfertigt werden, dass man aktuell für andere Behördengänge ebenfalls lange Wartezeiten in Kauf nehmen muss. Zum einen stimmt dies so pauschal nicht. Die Situation hängt anscheinend stark von der Prioritätensetzung der Kommune ab. Während Kfz-Zulasungsstellen fast immer noch im gleichen Monat Termine frei haben, genießen Kirchenaustritte anscheinend keine ausreichende Wichtigkeit. Natürlich ist für den jeweils Betroffenen auch die Zulassung seines Fahrzeugs bedeutsam. Es soll daher auch gar nicht der eine Termin gegen den anderen ersetzt werden. Doch Fakt ist, dass die "überragende Bedeutung der Religionsfreiheit" in den vergangenen Jahrzehnten von Rechtsprechung und Politik stets einhellig betont wurde. Daran müssen sie sich nun messen lassen – und endlich für eine unkomplizierte Austrittsmöglichkeit oder zumindest ausreichend Behördentermine sorgen.

gbs leistet "Amtshilfe" beim Kirchenaustritt

Damit niemand länger Kirchensteuer zahlen muss, als es erforderlich ist, hat die gbs ein Kirchenaustritts-Formular entworfen, das man am Computer ausfüllen und ausdrucken kann. Das eigenhändig unterschriebene Dokument sollte man am besten per Einschreiben an die jeweils zuständige Behörde versenden. Die richtige Adresse findet man auf der Website www.kirchenaustritt.de (für Köln lautet die Adresse übrigens: Amtsgericht Köln, Justizgebäude, Reichenspergerplatz 1, 50670 Köln).

Es ist noch unklar, wie die Behörden mit diesem Schreiben umgehen. Wahrscheinlich werden sie das vorgezogene Datum für den Kirchenaustritt nicht anerkennen wollen. Die Giordano-Bruno-Stiftung und das Institut für Weltanschauungsrecht (ifw) sind allerdings gerne bereit, einen Musterprozess in dieser Angelegenheit zu führen. Denn es kann nicht sein, dass man zwangsweise Kirchenmitglied bleiben muss – nur weil der Gesetzgeber es versäumt hat, das Kirchensteuerrecht an die Rechtswirklichkeit anzupassen und die Möglichkeit zu schaffen, unkompliziert und zeitnah (beispielsweise auf digitalem Weg) aus der Kirche auszutreten.

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