Benedikt XVI. am Pranger der Zivilgesellschaft

 

An die Wirkungen der kirchlichen Verdammung und Verleumdung von Kondomen erinnerte Carsten Schatz, Vorstandsmitglied der Deutschen AIDS-Hilfe. Schatz war beim Besuch von Ratzingers Vorgänger Johannes Paul II. in Berlin 1996 für das Tragen eines Schilds wegen Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhauptes angezeigt worden. „Päpste sind Mörder“ lautete die Aufschrift des Schildes. Carsten Schatz prangerte die fortgesetzten Folgen der päpstlichen Haltung zur Verwendung von Kondomen und die Konsequenzen der Verbreitung des HI-Virus in Südamerika, Asien und Afrika an. Und bis heute habe die damalige Botschaft nichts von ihrer Bedeutung verloren, meinte Schatz weiter.

Anschließend folgte eine Schweigeminute für die Millionen von Menschen, die jährlich wegen der grassierenden AIDS-Krankheit ihr Leben verlieren. Zum Abschluss traten rund zwei Dutzend Bundestagsabgeordnete unter lautem Beifall und Jubel auf die Bühne, die dem Auftritt von Benedikt XVI. im Bundestag als Ausdruck des Protests boykottiert hatten, darunter Mitglieder der Fraktionen Die Linke, Bündnis 90/Die Grünen sowie die Berliner Senatorin für Gesundheit Katrin Lompscher. Rolf Schwanitz und weitere SPD-Fraktionsmitglieder begleiteten währenddessen den Wagen der Jusos Berlin.

Dann startete der Demonstrationszug mit mittlerweile über 10.000 Menschen am Potsdamer Platz. Bei Ankunft der bunten Wagen und fröhlichen Fußgruppen am Bebelplatz gegenüber der Humboldt-Universität und nahe der Hedwigs-Kathedrale umfasste der Demonstrationszug nach Angaben des LSVD Berlin-Brandenburg bereits 15.000 Menschen.

David Berger, der im Mai von der Kirche in Köln geschasste Religionslehrer, berichtete dort über die Rede von Benedikt XVI. im Bundestag. Er forderte außerdem die Gläubigen dazu auf, sich von der Kirche die freie Rede nicht mehr verbieten zu lassen. „Es ist auch ein Vorteil, wenn man die missio entzogen bekommen hat. Dann kann man nämlich seinen Mund aufmachen und sich wirklich frei fühlen“, stellte Berger unter lautem Jubel fest. Er sagte, sich über die Anwesenheit unter den Demonstranten zu freuen, ohne die Drohungen von Kardinal Meisner und anderen länger fürchten zu müssen. Er wolle nun zukünftig daran arbeiten, dass der Einfluss der katholischen Kirche auf das Leben der Menschen weiter zurückgeschnitten wird.

Einen fulminanten Abschluss bildete die Rede von Michael Schmidt-Salomon als Vorstandssprecher der Giordano Bruno Stiftung. Unter tosendem Beifall stellte Schmidt-Salomon fest: „Der Papst gehört nicht in den Deutschen Bundestag, sondern vor ein internationales Gericht.“ Er verwies noch einmal darauf, dass in der Kirche während der letzten Jahrzehnte Hunderttausende Heim- und Internatskinder unter zahllosen Menschenrechtsverletzungen gelitten haben und die Kirche „unzählige Fälle von sexueller Gewalt vertuschte“. Der Papst sei verantwortlich für eine „zynische Sexualmoral, die Millionen von Menschen diskriminiert, das Problem der Überbevölkerung verschärft und die Ausbreitung gefährlicher Krankheiten fördert“, während die Kirche noch „in jüngster Vergangenheit Milliarden-Geschäfte mit der Mafia machte“. Schmidt-Salomon wies ebenfalls auf die verfassungswidrigen Privilegien hin, „die sich die Kirche durch die Unterstützung faschistischer Diktatoren gesichert hat“. „Dass der Papst heute als Staatschef gilt, verdankt er Benito Mussolini, dass die Kirchensteuer in Deutschland vom Lohn abgeführt wird, Adolf Hitler.“ Der Vatikan gehöre auf die Liste der Schurkenstaaten, hieß es weiter. Schmidt-Salomon fragte, weshalb die katholische Kirche „wie andere Organisationen mit vergleichbaren Strafregister nicht schon längst vom Verfassungsschutz beobachtet wird.“ Von der deutschen Politik sei die lückenlose Aufklärung der durch Priester und Ordensleute begangenen Verbrechen an Heim- und Internatskindern sowie die Durchsetzung einer angemessenen Entschädigung zu fordern. Zudem müssten die europäischen Antidiskriminierungsvorschriften auch in kirchlichen Betrieben gelten, der Verfassungsauftrag zur Ablösung der Staatsleistungen umzusetzen und der grundgesetzwidrige Eintrag der Konfession auf Lohnsteuerkarten zu entfernen.

Durch die gewandelten Mehrheitsverhältnisse zwischen Konfessionsfreien und Kirchen stünden „die Chancen für einen grundlegenden Wandel günstig“, mit dem die Menschen „die Reste des alten, autoritären, patriarchalen Denkens, für das die katholische Kirche wie kaum eine andere Institution weltweit steht“ beseitigen könnten. „Keine Macht den Dogmen. Wir müssen falsche Ideen sterben lassen, bevor Menschen für falsche Ideen sterben müssen“, erinnerte Schmit-Salomon. „Es gibt eine gute, eine zeitgemäße Alternative zum alten Glaubenswahn und die lautet: Nachdenken statt Nachbeten, Offenheit statt Offenbarung, Heidenspaß statt Höllenqual.“

Arik Platzek