Säkularität durch Zufall

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Diplomatenpass Österreich / Foto: consilium/europa.eu

WIEN. (hpd) Der Wiener Kardinal und Vorsitzende der Bischofskonferenz, Erzbischof Christoph Schönborn, wird bald auf ein Privileg verzichten müssen. Der österreichische Nationalrat hat am Mittwochabend beschlossen, Diplomatenpässe nicht mehr so großzügig zu verteilen wie bisher.

Christoph Schönborn wird seinen Diplomatenpass bald abgeben müssen. Das sieht zumindest das neue Passgesetz vor, das der Nationalrat am Mittwochabend beschlossen hat. Außer Diplomaten sollen nur mehr Regierungsmitglieder und Abgeordnete, die für die Republik im Ausland unterwegs sind sowie EU-Abgeordnete das begehrte Dokument bekommen. Schönborn fällt unter keine dieser Kategorien.

Das alte Gesetz hatte das freizügiger gehandhabt. Wer den Pass einmal hatte, durfte ihn lebenslang behalten. Nutznießer waren vor allem ehemalige Minister und Ehepartner von (Ex-)Regierungsmitgliedern. Auch „Geschäftsleute“ kamen in den Genuss des Dokuments, das lästige Formalitäten beim Zoll verhindert. Mehr als 3.000 dieser Pässe waren zuletzt in Umlauf.

Einer der Nutznießer war Kardinal Christoph Schönborn. Warum er ihn bekommen hatte, wusste er nach Aussagen gegenüber Medien selbst nicht so recht. Man habe ihm das Dokument „einfach so“ ausgestellt. Das Außenministerium begründete das damit, dass Vertreter der oberen Kirchenhierarche gelegentlich in „kirchenpolitischen“ Angelegenheiten im Ausland unterwegs seien. Warum das einen Diplomatenpass der Republik Österreich erforderlich macht und nicht einen des Vatikan, erschloss sich der Öffentlichkeit nicht ganz. Letzterer ist für kirchenpolitische Agenden jeglicher Art zuständig. Die Republik Österreich ist es nicht.

Dass die Öffentlichkeit Kenntnis von Schönborns Privilegien hatte, ist auf die Informationspolitik des Volksbegehrens gegen Kirchenprivilegien zurückzuführen. Die Aktivisten hatten zu recherchieren begonnen, als die Affäre um die inflationär vergebenen Diplomatenpässe hoch zu kochen begann. Ausgelöst hatte sie der ehemalige Finanzminister Karl Heinz Grasser. Er hatte seinen roten Pass um fünf Jahre verlängern lassen. Als das bekannt wurde, schäumte die Volksseele. Grasser steht im Zentrum mehrerer Ermittlungen im Umkreis von Korruptionsaffären in seiner Regierungszeit. Betroffen sind enge Freunde des Ex-Ministers. Ihm wird auch Steuerhinterziehung vorgeworfen und mehrere Stiftungen des ehemaligen Shooting-Stars der rechten Reichshälfte legen den Verdacht der Geldwäsche nahe. Grasser hat stets beteuert, von nichts gewusst zu haben.

Für genauso viel öffentliche Erregung sorgte ein Diplomatenpass für Alfons Mensdorff-Pouilly. Der Waffenlobbyist ist Ehemann der ehemaligen Gesundheitsministerin Maria Rauch-Kallat (ÖVP). Gegen ihn wurde und wird in mehreren (mutmaßlichen) Korruptionsskandalen in halb Europa ermittelt. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss hat ergeben, dass er im Zentrum eines Netzwerks gestanden haben könnte, mit dessen Hilfe sich auch Freunde Grassers reichlich bedient haben sollen.

Schönborns Pass sorgte bestenfalls für Kopfschütteln. Niemand verstand, warum er ihn bekam. Nur fragte sich das auch niemand. Man nahm zur Kenntnis, dass ein Kirchenvertreter in Kirchenangelegenheiten des besonderen Schutzes der Republik bedürfe. Warum auch immer. Und das 94 Jahre, nachdem das Staatskirchentum in Österreich abgeschafft worden war. Er ist sozusagen ein Kollateralschaden der neuen strengen Regelungen.

Mehr Trennung von Staat und Kirche war mit dem neuen Gesetz sicher nicht beabsichtigt. Sie ergibt sich eher zufällig. Vorausgesetzt, die neuen Regeln werden so streng gehandhabt, wie es auf dem Papier steht. Das wird sich spätestens erweisen, wenn das Gesetz drei Monate in Kraft ist. Dann muss Schönborn seinen Pass abgeben. Glaubt man seinen Aussagen in Medien, wird ihn das wenig stören. Was die Frage aufwirft, warum er das dann nicht längst getan hat.

Christoph Baumgarten