„Juristen sind traditionell konservativ“

(hpd) Von Gerhard Czermak erschien dieser Tage das Buch „Religion und Weltanschauung in Gesellschaft und Recht. Ein Lexikon für Praxis und Wissenschaft“ im Alibri Verlag. Auf 400 Seiten und in zahlreichen Artikeln wird das Verhältnis zwischen Staat und Kirche behandelt.

Der Verwaltungsjurist und langjährige Richter, der sich seit langem kritisch mit den Besonderheiten des Religionsverfassungsrechts sowie mit religiös-weltanschaulichen Fragen beschäftigt, beschreibt in dem Lexikon die Rolle der Religion in der Gesellschaft. hpd sprach mit dem Autor.

Sehr geehrter Herr Czermak, Sie haben das Lexikon “Religion und Weltanschauung in Gesellschaft und Recht” verfasst. Worum geht es in dem Lexikon?

Gerhard Czermak: Ein vergleichbares Lexikon gibt es bisher nicht. Seine Position ist eine agnostische. Es will die Erarbeitung faktenbasierter eigenständiger Meinungen erleichtern. Der Band befasst sich in fast 200 meist ausführlichen und recht detaillierten Artikeln mit hauptsächlich drei Themenbereichen.

Eine Artikelgruppe behandelt allgemeine Themen wie etwa zu Aufklärung, Bioethik, Fundamentalismus, Geschichte der Religionsfreiheit, Humanes Sterben, katholische Kirche und Moderne, Medien und Religion, Politik und Religion usw.

Eine weitere Themengruppe widmet sich den wesentlichen Inhalten und der aktuellen gesellschaftlich-politischen Bedeutung der in der Bundesrepublik Deutschland bestehenden größeren sowie der viel diskutierten religiös-weltanschaulichen Richtungen und Gemeinschaften wie den Zeugen Jehovas oder dem Opus Dei. Wegen der Gegensätzlichkeit der Meinungen zu dieser hochideologischen Materie bemüht sich das Lexikon um – oft unbekannte – Fakten, die auch den unterschiedlichen Meinungen Rechnung tragen, ergänzt durch zahlreiche statistische Angaben. Einen besonderen Schwerpunkt bei der Darstellung der ausgewählten religiösen Richtungen und Religionsgemeinschaften bildet der sehr vielfältige Islam, der in der Gesellschaft der Bundesrepublik recht widersprüchliche Aspekte aufweist, wobei viel Polemik eine sachliche Beurteilung erschwert. Das Christentum wurde nur deswegen – sehr knapp und auf wenige Grundfragen beschränkt – behandelt, weil seine völlige Ignorierung missverstanden werden könnte, andererseits aber weiten Teilen der Bevölkerung selbst dazu Grundkenntnisse fehlen. Ein besonderes Anliegen ist die aktuelle Darstellung zur freigeistig-humanistischen Bewegung, da bereits über ein Drittel der Bevölkerung keiner Religionsgemeinschaft angehört, trotzdem aber in Gesellschaft und vor allem Politik noch wenig bzw. keine Beachtung findet.

Ein textlich insgesamt etwa gleichgewichtiger Teil beschäftigt sich in einer Fülle von (oft kürzeren) Artikeln mit den Rechtsfragen der Religionsgemeinschaften, denen nach dem Grundgesetz der Bundesrepublik die Weltanschauungsgemeinschaften ausdrücklich gleichgestellt sind. Die Rechtspraxis in der Staatsverwaltung und Rechtsprechung sieht freilich ganz anders aus. Das wird erst deutlich, wenn man sich im Detail mit den auch praktisch bedeutsamen Themen wie Religion und Schule, Steuerrecht, Arbeitsrecht, Kirchenfinanzierung, Militärwesen, Theologische Fakultäten, Strafrecht, Bestattungswesen und vielen anderen auseinandersetzt. Gerade die Beschäftigung mit einzelnen Rechtsthemen macht die gesellschaftliche Bedeutung insbesondere im Hinblick auf die Kirchen deutlich, da die rechtliche Erörterung, anders als in der Fachliteratur, in historische und politische Zusammenhänge eingebunden wird.

Einen besonderen Service bieten die Grundlagenartikel zu grundrechtlichen Fragen wie den diversen religiösen Freiheitsrechten einschließlich der rechtlichen Geltendmachung. Auch internationale Aspekte werden erläutert. Alle Rechtsbegriffe werden in für Nichtjuristen verständlicher Form erläutert.

Für wen könnte Ihr Lexikon, abgesehen von Staatskirchenrechtlern, interessant sein?

Czermak: Meine Hauptzielgruppe sind Journalisten, Lehrer, Dozenten der Erwachsenenbildung und staatlicher Ausbildungsgänge, Politologen und Soziologen, politische und kirchliche Akademien, Schülereltern, Schüler der gymnasialen Oberstufe und nicht zuletzt Personen, die von Benachteiligungen betroffen sind. Das Buch ist aber ebenso gedacht für alle interessierten Staatsbürger, die fundiert mitreden wollen.
Auch Juristen, einschließlich Rechtsanwälte, die sich mit dem Religionsrecht und Religionsverfassungsrecht beschäftigen, können dem Lexikon neben vielen konkreten juristischen Informationen auch wichtiges Tatsachenmaterial entnehmen, das in juristischen Texten meist zugunsten des „rein Juristischen“ ignoriert wird. Das Lexikon ergänzt mein einführendes Lehrbuch „Religions- und Weltanschauungsrecht“, das Wert auf eine konsistente Rechtsdogmatik legt.