„Unser kläglich Brot gib uns heute...“

Die Frage, wie es zu diesen, der Volksgesundheit schweren Schaden zufügenden, Empfehlungen kommen kann und warum es vor allem dabei bleibt, behandelte Frau Paul ausgiebig in der Frage-Runde nach dem Vortrag: Letztendlich könne man die allgemein nach wie vor vorherrschende Abwehr nur als eine ideologische bezeichnen. Zudem bestimmten Profitstreben von Lobbys das Handeln und das politische Interesse, die Masse mit billiger und qualitativ minderwertiger Nahrung zu versorgen. So gebe es durch politische Lenkung Lebensmittel-Skandale fast ausschließlich im Bereich tierischer Produkte um sie den Leuten zu vermiesen (Fleisch, Fisch); und z.B. Kampagnen, dass das Frühstück die wichtigste Mahlzeit des Tages sei – damit noch mehr Getreide gegessen werde. (Tatsächlich dürfte der Steinzeitmensch aber morgens nüchtern zur Jagd gegangen sein und nur ein paar Reste vom Vortag mit sich genommen haben – wie weit wäre er mit vollem Bauch wohl gekommen? – so dass dann abends, nach erfolgreicher Jagd, „die Party steigen konnte“...)

Stets seien Modelle, die die praktische Umsetzung der Evolutionären Ernährung gut im Alltag umsetzbar machen, wie etwa die „Logi-Methode“ (Harvard-Universität und N. Worm) hartem Gegenwind ausgesetzt, obwohl die Argumente der Gegenseite nicht im geringsten stichhaltig seien. Und an dieser Stelle wurde auch schließlich die Frage des Vortrag-Titels beantwortet: Angst? Angst vor der Evolutionären Ernährung hätten nur die, die eine Machtposition zu verlieren hätten...

Frau Paul hielt daraufhin ein Plädoyer für eine „Politik der Klasse statt Masse“: dass gesunde Lebensmittel vom Staat subventioniert werden müssten anstelle anderer. (Gemüse dürfe, im Äquivalent des Sattmachens, nicht teurer sein als Weißbrot, Spaghetti oder polierter Reis). Auch im Zusammenhang mit Entwicklungshilfe solle es nicht weiter heißen: „Brot für die Welt“, sondern: „Qualität für die Welt!“

Zur besonders für die Giordano Bruno Stiftung interessanten Tierschutz-Frage führte sie in einer weiteren Diskussion im Anschluss aus, dass Fleisch für alle, und zwar aus artgerechter Tierhaltung und -Ernährung (auch hier kein Getreide!) durch Subventionierung des Staates für jeden Bürger erschwinglich gemacht werden müsse. Man könne auf „alte“ Rassen zurückgreifen, so könnten die meisten Tiere auch im Winter frei laufend gehalten werden, so dass es kein Tierleid gebe. Weltweit gesehen müsse man die Überbevölkerung in den Griff bekommen, Bildung sei hierbei die wichtigste und erste Maßnahme.

Zur Frage aus dem Publikum, wie denn die Tiermast mit dem Klimawandel zu vereinbaren sei, brachte sie verblüffende Zahlen ins Spiel: Gerade in der letzten Ausgabe der Zeitschrift „Focus“ sei die Frage getitelt, ob die Klimakatastrophe ausfiele und wegen der Aktivität der Sonnenflecken vielleicht sogar eine neue Eiszeit drohe. Aber selbst wenn man davon ausginge, dass die Erderwärmung tatsächlich stattfinde: exakte Daten seien nie zu bekommen, es gebe immer nur Schätzwerte und ungenaue komplizierte Berechnungen. In der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ sei 2009 zu lesen gewesen, dass die Landwirtschaft nur 14% der Treibhausgas-Emissionen verursache. Und dem WWF-Report von 2009 könne man entnehmen, dass in Großbritannien die Vieh-Wirtschaft lediglich 7% an Treibhausgasen verursache! (Der Rest der Landwirtschaft 15 bis 10%.) Somit sei ein eventueller Klimawandel durch Fleischverzicht nur sehr geringfügig bis kaum zu beeinflussen...

Wolle man diesen Verzicht trotzdem üben, müsse man aber unbedingt dafür Sorge tragen, dass man genügend pflanzliches Eiweiß zu sich nehme, was etwas Aufwand bedeutet... Eiweißmangel könne zu Serotonin-Mangel und somit zu Aufmerksamkeitsdefizit und gar Depressionen führen.

Schließlich stellte Frau Paul der klassischen Deschner'schen These, dass das Christentum Haupt-Ursache für Tierleid sei, eine andere Sicht entgegen: Die Basis des Christentums sei der Vegetarismus (Genesis 1,30).

Allgemein korrespondiere die Genussfeindlichkeit in der Gesellschaft, in der es fast als ein moralisches Verdienst angesehen werde, schlecht zu essen, und die skeptische Einstellung bezüglich tierischer Nahrungsmittel mit den traditionellen Denkmustern der Religionen: In einem Überblick über Nahrungsmittel-Tabus bzw. Einschränkungen, merkte sie an, es sei besonders auffällig, dass es enorm viele von der Art gebe, die den Verzehr von Fleisch verböten oder einschränkten – aber fast keine, die pflanzliche Nahrung beträfen! (Es sei sehr schwierig, für Letzteres überhaupt Beispiele zu finden. Eines stellten die Hua in Neuguinea dar, die Angst vor rotem und behaartem Gemüse haben, weil sie mit Menstruationsblut bzw. Schamhaaren in Verbindung gebracht werden...)

Die Tatsache, dass in den Religionen Pflanzenkost kaum problematisiert werde, stehe ebenfalls im direkten Gegensatz zur Paläo-Ernährung: Für Jäger und Sammler ist es enorm wichtig, zu wissen, welche Pflanzen ungenießbar oder giftig sind: Fleisch, was zu jagen ist, sei hingegen immer problemlos, weil es keine giftigen Sorten gebe. Dass Fleisch Teil der artgerechten Ernährung ist, zeigen auch Untersuchungen, die zum Ergebnis haben, dass kaum jemand Antikörper gegen Fleisch-Eiweiße im Blut habe – im Gegensatz zu häufig vorhandenen Antikörpern gegen Nahrungsmittel, die erst im Neolithikum eingeführt wurden.

Der Vortrag dürfte die Diskussion innerhalb der Giordano Bruno Stiftung bereichern und vielleicht auch etwas „anheizen“. Man darf gespannt sein...

Constanze Cremer

 

 

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