Stefan Selke sprach über Selbstvermessung

Der Mensch als Maschine

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Health-App auf einem Mobiltelefon
Health-App auf einem Mobiltelefon

MARBURG. (hpd) Roboter und Computerprogramme werden dem Menschen immer ähnlicher, während Menschen immer perfekter funktionieren sollen wie Maschinen. "Streifzüge durch die Welt der digitalen Selbstvermessung" unternahm Prof. Dr. Stefan Selke am Donnerstag (7. Mai) im Käte-Dinnebier-Saal des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) Auf Einladung der Humanistischen Union Marburg sprach der Soziologe von der Hochschule Furtwangen dort über "Lifelogging und das Leben mit der digitalen Aura".

"Lifelogging" steht für die Protokollierung des gesamten Lebens. Das moderne Logbuch wird dabei meist mit Hilfe des Handys und ergänzender Messgeräte geführt. Armbänder messen Bewegungen und Schritte, andere Sensoren den Blutdruck und Puls oder andere medizinische Daten.

Ausgehend vom Silicon Valley in den Vereinigten Staaten von Amerika (USA) breitet sich eine weltweite Bewegung aus, die den Schutz der persönlichen Gesundheit mit Hilfe der digitalen Selbstvermessung propagiert. Selke hat die Verfasser wichtiger Memoranden zum Lifelogging aufgesucht und interviewt. Die Ergebnisse stellt er in seinem Buch "Lifelogging - wie die digitale Selbstvermessung unsere Gesellschaft verändert" vor.

Anhand zahlreicher Folien und Fotos erklärte Selke in seinem Vortrag Methoden und Auswüchse der digitalen Selbstvermessung. Durch die "Gamification" vieler Programme werde die Jagd nach den eigenen Daten zum Wettbewerb und jeder einzelne Messwert zum Punkt in einem großen Spiel gegen andere Lifelogger.

Die Verantwortung für die eigene Gesundheit müsse jeder schon präventiv übernehmen, indem er systematisch die eigenen Daten erhebe und sich um möglichst gute Ergebnisse bemühe. Im Gegenzug ist dann auch jeder selbst schuld an seinen Erkrankungen und Befindlichkeitsstörungen.

Dieser Druck führt nach neueren Studien zu erheblichen Belastungen der Anwender derartiger Messprogramme. Häufig führe der steigende Stress durch die intensive Selbstvermessung und möglicherweise unerwünschte Ergebnisse zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustands.

Problematisch ist für Selke auch die Weitergabe der erhobenen Daten und ihre Verarbeitung zu Persönlichkeitsprofilen. Das gelte nicht nur für eine Erfassung durch Geheimdienste wie die US-amerikanische NSA, sondern auch für die Verwertung zu kommerziellen Zwecken. Relativ deutlich werde das bei dem Angebot der Generali-Versicherung, den Anwendern entsprechender Software günstigere Krankenversicherungstarife zu gewähren.

Die "Freiwilligkeit" der Selbstvermessung werde so am Ende zu einer durch Druck erzwungenen Entscheidung. Hinter der zunehmenden Beteiligung an Lifelogging-Aktivitäten macht Selke die Angst aus, "als Altware ausgesondert zu werden" und den eigenen Status innerhalb der Gesellschaft zu gefährden.

Kein Zufall ist für Selke, dass namhafte Befürworter des Lifelogging auch wichtige Verfechter neoliberaler Ideologien und ihrer Manifeste seien. Der Körper werde hier zum Investitionsobjekt, in dessen Funktionserhaltung man investieren müsse.

Anhand eines Zitats des Dichterfürsten Johann Wolfgang von Goethe über Glück zeigte Selke auf, dass die Zergliederung des Lebens in viele Einzeldaten überhaupt nichts aussage über dessen Gesamtheit: "Ich habe ein glückliches Leben geführt, aber ich kannn mich an keine einzige glückliche Woche erinnern."

Am Ende seines Vortrags warf Selke die philosophische Frage nach dem Menschenbild auf, das dem Lifelogging zugrunde liegt. Dieses Bild lasse Krankheit und Unvollkommenheit einfach nicht zu. Dabei gehöre es doch unausweichlich zum menschlichen Leben dazu, Fehler zu machen.