Jahrbuch für Antisemitismusforschung, Band 23

BONN. (hpd) Das "Jahrbuch für Antisemitismusforschung" liegt in seiner 23. Ausgabe mit Beiträgen zum Antisemitismus im Europa der Gegenwart und zu antisemitischen Emotionen im 19. Jahrhundert vor. Insbesondere die Beiträge zum aktuellen Antisemitismus enthalten eine Fülle von Daten und Einschätzungen auch im Sinne einer länderübergreifenden vergleichenden Betrachtung.

Das "Jahrbuch für Antisemitismusforschung" versteht sich als Forum für wissenschaftliche Beiträge, die sowohl auf die Feindschaft gegen Juden wie auch gegen andere Minderheiten bezogen sind. Der 23. Band wurde von Stefanie Schüler-Springorum, der Nachfolgerin von Wolfgang Benz als Leiterin des "Zentrums für Antisemitismusforschung" an der TU Berlin, herausgegeben.

Er enthält 24 Beiträge mit unterschiedlichen Ansätzen und verschiedenen Themen, die zu großen Teilen auf zwei internationale Konferenzen des Zentrums zurückgehen. Im April 2012 ging es bezogen auf Einzelpersonen um antisemitische Emotionen im 19. Jahrhundert und im November 2013 um den Antisemitismus im Europa der Gegenwart. Die Referate zu diesen Tagungen wurden von den Autoren zu wissenschaftlichen Beiträgen umgearbeitet. Dadurch erhalten die Leser einen guten Eindruck von den Inhalten der seinerzeitigen Veranstaltungen. Ergänzt sind diese Abhandlungen noch um zwei weitere Beiträge, die Fallstudien zu spezifischen Themen darstellen.

Aber der Reihe nach: Der Block "Antisemitismus im heutigen Europa" wird eingeleitet von Werner Bergmann. Er macht aus bilanzierender und vergleichender Perspektive auf folgendes aufmerksam: "Die heutigen Vorurteile sind … zum einen stark geprägt von den spezifischen historischen Traditionen der Judenfeindschaft jedes Landes. Zum anderen aber spielen vor allem die Probleme, die sich für das jeweilige Land aus der Auseinandersetzung mit seiner eigenen Position bei der Judenverfolgung im Zweiten Weltkrieg ergeben, eine wesentliche Rolle" (S. 15). Dies wird dann deutlich bei den folgenden Länderstudien. Dabei geht es um Deutschland (Peter Ullrich), Großbritannien (David Feldman), die Niederlande (Evelien Gans), Österreich (Margit Reiter), Schweden (Henrik Bachner), Spanien (Anna Menny) ebenso wie um Litauen (Gintaré Malinauskaité), Polen (Lara Benteler, Michael Bilewicz, Mikolaj Winewski und Jolanta Ambrosewiz-Jacobs), die Slowakei (Lenka Bustikova, Pera Guasti), die Türkei (Dilek Güven) und Ungarn (András Kovác).

Die beiden gesonderten Fallstudien widmen sich den antisemitischen Ausschreitungen in Wien 1925 (Verena Moritz) und der Entwicklung der Positionen von Jean Jaurès während der Dreyfus-Affäre (Vincent Duclert). Bei den Beiträgen zu antisemitischen Emotionen soll nach der Einführung durch Ulrich Wyrwa nach "den Gemeinsamkeiten und Unterschieden in den antisemitischen Gefühlshaushalten verschiedener europäischer Regionen gefragt" (S. 256) werden. Es gibt denn auch Abhandlungen zu dem Priester Juozas Tumas in Litauen (Klaus Richter), dem Publizisten Ludomir Prószynski in Polen (Maciej Moszynski), dem Bischof Josip Juraj Strossmayer in Kroatien (Marija Vulesica), dem Dichter Miloslav Szabó in Slowakien, dem Demokraten Francesco Guerrazzi in Italien (Ulrich Wyrwa), dem Antisemiten Nikola Mitakov in Bulgarien (Veselina Kulenska) und dem Dichter Georgios Souris in Griechenland (Maria Margaroni). Abgeschlossen wird der Teil durch vergleichende Betrachtungen (Ulrich Wyrwa, Andrea Hopp).

Durch die Publikation der Beiträge zu zwei Konferenzen in Kombination mit zwei anderen Texten wirkt der Band ein wenig "zusammengestoppelt". Gleichwohl schmälert dieser Einwand nicht dessen Bedeutung. Denn insbesondere die Beiträge zum Antisemitismus in der Gegenwart in bestimmten Ländern erhalten eine Fülle von wichtigen Informationen. Dabei verdienen insbesondere die Umfrageergebnisse genaues Interesse.

Man findet in diesen Abhandlungen auch immer wieder analytisch beachtenswerte Anmerkungen, so heißt es z.B. bei David Feldman: "Wenn Menschen uneins über Antisemitismus sind, liegt die Ursache häufig darin, dass sie über unterschiedliche Phänomene und Prozesse sprechen, die aber nichtsdestotrotz mit dem gleichen Begriff belegt werden" (S. 49). Und der Beitrag über die Niederlande von Evelien Gans enthält eine beachtenswerte Analyse zum selektiven Philosemitismus des Geert Wilders. Insofern hat man es auch hier wieder mit einer gelungen Ausgabe des "Jahrbuchs für Antisemitismusforschung" zu tun.
 


Stefanie Schüler-Springorum (Hrsg.), Jahrbuch für Antisemitismusforschung 23, Berlin 2014 (Metropol-Verlag), 319 S., 21,00 Euro