Rezension

Rechtsextremismus und "Nationalsozialistischer Untergrund"

BONN. (hpd) Der von Wolfgang Frindte, Daniel Geschke, Nicole Haußecker und Franziska Schmidtke herausgegebene Sammelband "Rechtsextremismus und 'Nationalsozialistischer Untergrund'. Interdisziplinäre Debatten, Befunde und Bilanzen" enthält 21 Aufsätze vom Forschungsstand über Detailanalysen bis zu Präventionsmaßnahmen. Die meisten Beiträge liefern aus wissenschaftlicher Perspektive beachtenswerte Erkenntnisse, insgesamt fehlt es dem Sammelband aber an einer klaren Struktur.

Die 27. Jahrestagung Friedenspsychologie, die Ende 2014 an der Friedrich Schiller-Universität in Jena durchgeführt wurde, stand unter dem Titel "Nationalsozialistischer Untergrund, Rechtsextremismus und aktuelle Beiträge der Friedenspsychologie". Organisiert hatte die aufwendige Veranstaltung ein Team um Wolfgang Frindte, der dort die Abteilung Kommunikationspsychologie leitet. Zusammen mit seinen beiden Mitarbeitern Daniel Geschke und Nicole Haußecker und der Koordinatorin des Kompetenzzentrums Rechtsextremismus Franziska Schmidtke hat er nun dazu einen Sammelband herausgegeben. Darin finden sich die dort gehaltenen Referate, mal zu einem wissenschaftlichen Aufsatz erweitert, mal wohl noch eher unverändert in der ursprünglichen Redeform. Herausgekommen ist dabei ein voluminöser Band von über 500 Seiten, die 21 Beiträge enthalten, welche in fünf Kapitel eingeteilt wurden. Darin geht es vom Forschungsstand über gesellschaftliche Reaktionen und den NSU bis zu Präventionsmaßnahmen:

Am Beginn steht ein von den Herausgebern verfasster Überblick zu den Entwicklungslinien der Rechtsextremismusforschung, wobei auch Forschungs- und Wissenslücken konstatiert werden. Dem folgen eher allgemeinere Abhandlungen etwa zu den Besonderheiten des Rechtsextremismus in Ostdeutschland von Heinrich Best und Matthias Quent, zu pauschalierenden Ablehnungen von Kurt Möller und zur Theorie eines identitätsstiftenden politischen Fundamentalismus von Frindte und Geschke. Das nächste Kapitel nimmt noch einmal den NSU in den Blick, bezogen auf den Thüringer Heimatschutz von Stefan Heerdegen und die kriminelle Karriere von Uwe Böhnhardt von Heike Würstl. Thomas Grumke und Dirk Laabs gehen auf das Scheitern des Verfassungsschutzes ein und betonen dabei, dass viele Analysedefizite der Behörden im Detail bislang noch nicht bekannt bzw. noch nicht aufgearbeitet wurden. Und Franz Knoppe und Maria Gäde thematisieren künstlerische Interventionen zum NSU im öffentlichen Raum.

Das nächste Kapitel widmet sich gesellschaftlichen Reaktionen, in allgemeiner Form durch Anetta Kahane und an einem Fallbeispiel von Britta Schellenberg. Fragen der statistischen Erfassung politisch motivierter Kriminalität gehen Dorina Feldmann, Christoph Kopke und Gebhard Schultz nach. Samuel Salzborn sieht in "Pegida" eine Renaissance völkischer Verschwörungsphantasien. Und Franz Schilden erörtert das Potential des politischen Kabaretts anhand des NSU-Diskurses. Das letzte Kapitel geht auf Erfahrungen mit Präventionen ein: Kurt Möller fragt nach Grundlagen und Möglichkeiten der Prävention, Franziska Schmidke vergleicht die Erfahrungen in verschiedenen Bundesländern, Daniel Köhler nimmt einen Vergleich von Deradikalisierungsprojekten vor, Reiner Becker blickt auf lokale politische Kulturen im ländlichen Raum, Wolfgang Beutel und andere fragen nach Demokratiepädagogik als präventionswirksamer Idee und Geschke und Quent präsentieren Ergebnisse einer Studie zu den Erfahrungen von Betroffenen rechter Gewalt.

Bilanzierend lässt sich hier auch das sagen, was man über viele Sammelbände sagen kann: Je dicker der Band, desto fragmentarischer der Inhalt. Man hat es mit keinem geschlossenen Werk zu tun. Die Herausgeber haben sich durch Kapitelbildung bemüht, zumindest ansatzweise eine Struktur hinein zu bekommen. Dabei gibt es auch in der Form und nicht nur im Inhalt große Unterschiede: Es werden mitunter sehr allgemein gehaltene Auffassungen wie bei Annetta Kahane oder schon mehrfach gedruckte Erkenntnisse wie von Britta Schellenberg präsentiert. Man hat es aber auch mit Ergebnissen eigener Studien zu tun wie bei Dorinna Feldmann oder Matthias Quent. Samuel Salzborns Deutung von "Pegida" über eine verschwörungsbezogene Perspektive ist überaus interessant, bricht aber auf einmal abrupt ab. Besondere Beachtung verdienen sicherlich die Abhandlungen zum Komplex NSU und Verfassungsschutz. Allgemein lässt sich daher sagen: Es handelt sich um einen Sammelband mit wichtigen Beiträgen, aber mehr als Sammelsurium und weniger mit Struktur.

Wolfgang Frindte/Daniel Geschke/Nicole Haußecker/Franziska Schmidtke (Hrsg.), Rechtsextremismus und "Nationalsozialistischer Untergrund". Interdisziplinäre Debatten, Befunde und Bilanzen, Wiesbaden 2016 (Springer VS), 509 S., ISBN 978-3-658-09997-8, 39,90 Euro (Softcover), 29,90 Euro (eBook)