Die Mädchen vom Zimmer 28

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Bild- und Texttafeln / Alle Fotos © Evelin Frerk

BERLIN. (hpd) Nicht schon wieder eine Ausstellung zur Ur-Schuld der deutschen Nazivergangenheit und deren Gräueltaten... das sind so die ersten Gedanken gewesen, als ich eine Einladung zur Vernissage „Die Mädchen vom Zimmer 28“ erhielt. Trotzdem ging ich in die „Stiftung Erinnerung Verantwortung Zukunft“ ... und das war gut so!

„Die Mädchen von Zimmer 28“ eröffnen neue Blickwinkel zum Thema Juden/Roma/Sinti-Verfolgung: auch Kinder waren betroffen, auch ein Ghetto kann aussehen wie eine ganz normales Dorf, mit Kirchturm und Dorfplatz.

Jüdische Kinder durften nicht mehr in die Schule, durften nicht lernen und fanden doch Wege der Weiterbildung. Und organisierten sich in ihrer Not! Man bedenkt gar nicht, obwohl sie das gleiche Leid erfuhren, dass es doch Kinder waren, die streiten, zanken, Auseinandersetzungen führen. Und ich war beeindruckt: Sie haben sich im "Kreis" neu organisiert, im Angesicht des Leids neue Organisationsformen des miteinander auskommen gefunden. Manches erinnerte mich an die drei Musketiere, eine für alle, alle für eine.

Hannelore Brenner-Wonschick hat sich für dieses eine Zimmer, diese eine Gemeinschaft entschieden und in beeindruckender Weise diese Notgemeinschaft wieder lebendig werden lassen, nachvollziehbar gemacht, wie das Leben, die Gefühle und Gedanken dieser Kinder waren. Zeitzeuginnen aufgespürt und in Jahren viele kleine Details zusammengetragen, die das Leid, die Ängste und Freuden der Mädchen auf unaufdringliche und bewegender Weise lebendig werden lassen.

Es sind auch diese Details, die bei mir hängen geblieben sind: zu dritt in einem schmalen Bett schlafen, Poesiealben, die Bedrohung: wer kommt zum nächsten Abtransport, wer bleibt, wann sehen wir uns wieder?

Angenehm: der angemessene Tonfall der Veranstaltung.

Herrlich: der Vortrag der Sängerin Maria Thomaschke.

Lebendig: die Lesung der Texte durch Frau Brenner-Wonschick, ihre Tochter Hester Wonschick und die Sängerin Maria Thomaschke.

Schade war die gedrängte Präsentation der Schautafeln, schade, dass das Zimmer 28 nicht aufgebaut war.

Nach der Veranstaltung war ich, wie meist nach solchen Abenden, sehr gedrückter Stimmung. Und trotzdem unterschied sich die Bedrückung zu sonst: ich war beeindruckt von den Gedanken und Gefühlen und davon, wie trotz allem Leid trotzdem noch so viel Lebendigkeit nachhallte.

Eine klare sachliche Darstellung ohne Pathos und erhobenem Zeigefinger. Aus dem Leben gegriffen, dem Ghettoleben von Mädchen, die von den Eltern, dem Leben draußen weggerissen waren und trotz Kummer und lebensbedrohlichem Alltag noch einen "normalen Alltag" versucht haben zu führen. Tatsachen präsentiert und die Einordnung dem Besucher überlassen. Und wenn dieser Ausdruck denn erlaubt ist: eine angenehme Präsentation...

Und ganz schön: die Fotos von den überlebenden Frauen aus der Jetzt-Zeit, in alltäglicher Umgebung, mit sprechenden Gesichtsausdrücken, die trotz Leid auch Freude vermitteln. Ich habe mich gefreut, die Fotos der überlebenden Frauen zu sehen, zu lesen, wie es mit ihnen weiterging.

Schon wieder eine Ausstellung über unsere Naziverbrechen... aber sehenswert, erlebenswert, nachdrücklich ohne Schuldstempel.

Ich bin froh, dort gewesen zu sein, ich denke immer noch, nicht schon wieder eine Ausstellung zu diesem Thema, und ich werde doch meine Freunde zur Ausstellung schicken, sie ihnen empfehlen.

Sasa Pöllmann

„Die Mädchen von Zimmer 28, L 410 Theresienstadt“ 24.01. bis 01.03.2013 im Foyer der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft, Lindenstraße 20-25, 10969 Berlin, 10-16 Uhr.