„Muslime pro Homoehe“ – Wirklich?

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Kenan Kolat / Foto: dtg.de

BERLIN. (hpd) Durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in Bezug auf das Adoptionsrecht homosexueller Paare ist die schwarz-gelbe Koalition in Zugzwang geraten. Die FDP, die immerhin 10 Jahre lang vom Schwulen Guido Westerwelle geführt wurde, kann sich mit dem Urteil gut arrangieren. Die CDU jedoch ist sich unsicher, wohin die Reise gehen soll.

Der konservative Parteiflügel um den Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder zeigt sich nur wenig begeistert, Finanzminister Wolfgang Schäuble ist kompromissbereit. Die CDU ist in der Frage gespalten, man kann jedoch vermuten, dass sie sich schon in wenigen Jahren den neuen gesellschaftlichen Realitäten anpassen wird. Viele ihrer einstigen Kernpositionen hat sie während der Kanzlerschaft Angela Merkels aufgegeben.

Und so wirkt es nicht völlig abwegig, wenn die deutschen Medien nun berichten, auch „Muslime“ hätten sich für die volle Gleichberechtigung homosexueller Paare ausgesprochen. Tatsächlich gab der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland (TGD), Kenan Kolat im Gespräch mit der BILD zu Protokoll: „Wir sind für volle Gleichstellung von Schwulen und Lesben.“ Laut Medienberichten repräsentiere Kolats Verein etwa drei Millionen Menschen – das wären etwa so viele, wie es Türken in Deutschland gibt. Diese Aussage gibt allerdings nur das Selbstverständnis der TGD wieder. Die Anzahl der Personen, die sich vollumfänglich durch Kolat vertreten sehen, dürfte die 100.000 kaum übertreffen.

Zeigt nun dieser Vorstoß, dass Muslime in Deutschland toleranter geworden sind? Homophobe Äußerungen aus radikalen Moscheegemeinden und Umfrageergebnisse legen eher das Gegenteil nahe. Wahrscheinlicher ist, dass Kolats Position als Dankeschön an die SPD zu verstehen ist, die sich in der kommenden innenpolitischen Debatte mit der CDU gestärkt sehen kann. Offiziell ist die TGD parteipolitisch unabhängig, traditionell sind die Beziehungen zu den Sozialdemokraten aber gut.

Kolat wurde 2011, als sich die SPD eine Migrantenquote in Führungsgremien verordnete, in den Bundesvorstand der Partei gewählt. Seine Frau Dilek hat im Senat  des Berliner Bürgermeisters Klaus Wowereit das Amt für Arbeit, Frauen und Integration inne. Der vorherige Vorsitzende der TGD, Hakkı Keskin, war der erste türkischstämmige Landtagsabgeordnete in Deutschland. 2005 trat er jedoch wie viele andere Genossen auch aus der SPD aus und saß eine Legislaturperiode lang für die Linkspartei im Deutschen Bundestag.

Kolat fiel nie durch besonders fundamentalistische Positionen auf. Zwar forderte er jüngst die Einführung eines islamischen Feiertages in Deutschland, doch dürfte er sich der Ausweglosigkeit dieses Vorschlags bewusst gewesen sein. Zu anderen Anlässen zeigte er sich ungleich säkularer. Beim Besuch einer Ausstellung in Berlin, die den Islam satirisch aufs Korn nahm, verteidigte Kolat die Kunstfreiheit, genauso sprach er sich gegen die Bemühungen muslimischer Eltern aus, ihre Töchter vom gemeinsamen Sport- und Schwimmunterricht mit deutschen Schülern fernzuhalten. Sein Vorgänger Keskin hatte sich kritisch gegenüber dem Tragen des Kopftuchs im öffentlichen Dienst, also z.B. durch Lehrerinnen gezeigt.

Diese Beispiele zeigen, wie falsch es ist, in der TGD einen islamischen Verband zu sehen, selbst wenn Muslime zu den Mitgliedern zählen. Stattdessen ist Kolat im kemalistischen Lager zu verorten, also unter den Anhängern des Gründers der türkischen Republik, Mustafa Kemal Atatürk. Dieser hatte sich mit ungewöhnlicher Schärfe geäußert: „Der Islam, diese absurde Gotteslehre eines unmoralischen Beduinen, ist ein verwesender Kadaver, der unser Leben vergiftet.“

Atatürk sah in der Religion ein Hindernis für den Modernisierungskurs, den er der Türkei verordnet hatte. Im neugegründeten Staat, der nach dem Ersten Weltkrieg auf den Ruinen des Osmanischen Reichs entstanden war, setzte er ganz auf nationale Bindungskräfte statt auf den Islam.

So sehr die laizistischen Positionen türkischer Verbandsfunktionäre auch zu begrüßen sind, ihre nationalen Töne klingen gefährlich. Andere Politiker müssen ebenfalls einen Spagat vollführen. Sie rufen die Türken in Deutschland zur Integration auf, dürfen aber nicht gleichzeitig zum vollständigen Ablegen ihrer Kultur auffordern, weil dies Wählerstimmen kosten könnte. So unterstützte die Integrationsministerin der grün-roten Landesregierung Baden-Württembergs, Bilkay Öney, ein Kopftuchverbot im öffentlichen Dienst, hatte aber an der Beschneidung muslimischer Jungen nichts auszusetzen.

Ohnehin sind Türken als Wählergruppe nur schwer einzuordnen. Als sie vor über 50 Jahren nach Deutschland kamen, waren sie nur für geringqualifizierte Berufe in der Industrie vorgesehen. Auch heute noch gehören sie oft zum Arbeitermilieu und wählen bevorzugt die SPD. Zu Sozialdemokraten macht sie das dennoch nicht, denn in ihrer Heimat würden sie ihre Stimme eher der AKP als der CHP geben. Als Beispiel für gelungene Integration taugt dies nicht.

Dieser Balanceakt wird durch den Umstand erleichtert, dass schlecht integrierte Türken nur wenig Interesse an deutschen Medien zeigen. So konnten Erdoğan und Gül ungestört „Good Cop, Bad Cop“ spielen. Der Ministerpräsident wandte sich bei seinem Staatsbesuch in Deutschland direkt an sein Volk und schwang nationale Parolen. Türken sollten türkisch bleiben und auch an ihrer Sprache festhalten. Staatspräsident Gül äußerte gegenüber Kanzlerin Merkel und den deutschen Medien exakt gegenteilig. Türken sollten die deutsche Sprache erlernen und sich anpassen. Kolats Vorstoß wird gut integrierte Türken kaum verärgern, besonders konservative Landsmänner werden von seinem Eintreten für die Homoehe vielleicht nie erfahren.

Die Klassifizierung der TGD als „muslimisch“ zeigt, wie wenig die deutschen Medien mit der Integrationsproblematik vertraut sind. Allerdings ist diese Linie vom deutschen Staat vorgegeben. „Muslime“ sind all diejenigen, die aus einem mehrheitlich islamischen Land eingewandert sind. Ob sie aber Atheisten oder Christen sind, die teilweise sogar vor fundamentalistischer Gewalt fliehen mussten, erfasst dieser Begriff nicht. Aus ähnlichen Gründen dürfte es vielen Kurden nicht gefallen, dass sie in mancher amtlichen Statistik als „Türken“ erfasst werden. Wie viele Anhänger der Islam in Deutschland hat, lässt sich daher nur mit großer Unschärfe erahnen.

Wer Einwanderer aus knapp 60 Staaten pauschal unter dem Begriff „Muslime“ zusammenfasst, erweist Integrationsbemühungen einen Bärendienst.

Fazit: Kenan Kolat ist wohl nicht wirklich ernst zu nehmen. Er vertritt zwar sicherlich die „modernen“ Türken in Deutschland; aber eben eine Minderheit. Seine Mitteilung als „Stimme der Muslime“ zu verkaufen ist schlicht falsch. Zudem will sich Kolat vermutlich auch von den muslimischen Räten abgrenzen, denn die vertreten eine ganz andere Meinung.

Lukas Mihr