"Dem gilt es den Tod, der das gethan"

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TRIER. (hpd) Der Philosoph Hermann Josef Schmidt präsentiert mit “Dem gilt es den Tod, der das gethan” eine komprimierte und gut lesbare Vortragssammlung über Nietzsches frühe Entwicklung und einige ihrer Folgen. Seine psychologisch-biographische Methode eröffnet ein interpretationskritisches und tiefenscharfes Nietzscheverständnis, das Denk-Kontinuitäten aufdeckt, ohne sich in Spekulationen zu verirren.

Die argumentativ eng zusammenhängenden Beiträge im Buch basieren auf überarbeiteten Vorträgen, die in ihrer Anordnung einen kompetenten Problemeinstieg in das Thema ermöglichen. Hermann Josef Schmidt verfolgt dabei einen entwicklungsorientierten, genetischen Interpretationsansatz, der den umfangreichen Nachlass aus Nietzsches Leben kontextabhängig untersucht und die Bedeutung der Kindheit und Jugend herausarbeitet.

Vorgestellt wird ein Ensemble verschiedener Deutungsversuche, welche die wichtigsten Einflüsse durch aufklärende Betrachtungen - abseits von Eindimensionalität und christophilem Standpunkt - reflektieren. Ein Schwerpunkt bildet dabei Nietzsches Weg zu ‘den Griechen’ und seine Auseinandersetzung mit dem Christentum.

Diese setzt der Verfasser beispielsweise bereits in der frühen Kindheit an. Er hält es für die plausibelste Hypothese, “daß die emotionale Auseinandersetzung Nietzsches mit der Religion seiner Umwelt nicht erst im letzten Jahr einer Naumburger Kindheit begann, sondern daß sie damals bereits zu einem ersten befreienden Abschluß kam.”

Vorausgegangen war der Tod des Vaters, des lutherischen Pfarrers Carl Ludwig Nietzsche, 1849. Sein Leiden und Tod müsste laut Schmidt “insbesondere dann, wenn das Bild des Vaters Ludwig für das Kind mit der Vorstellung des christlichen Gottes verschmolzen gewesen sein sollte, das Vertrauen dieses Kindes auf Gott den Erbarmer, erheblich beeinträchtigt (wenn nicht völlig zerstört) haben.”

Mit dieser traumatischen Zäsur, die der junge Nietzsche durch die Leidenschaft für das Griechentum zu verarbeiten suchte, wurde er mit dem Theodizeeproblem konfrontiert. So wird auch verständlich, “daß Nietzsches so massive Kritik des Christentums keineswegs erst ein Produkt geistiger Zerrüttung der letzten Wochen vor seinem Zusammenbruch darstellt, sondern daß sie über eine Vorgeschichte verfügt, die sich in Nietzsches Texten idealiter bis in Nietzsches Kindheit verfolgen lässt.”

Die Darstellung genau solcher Zusammenhänge dürften nicht nur für allgemein interessierte Leserinnen und Leser wertvoll sein, sondern können vor allem auch allen Studierenden empfohlen werden, die sich um ein besseres, d.h. tiefenschärferes, Verständnis der Philosophie Nietzsches für ihr Studium bemühen.

Dem Buch gingen jahrzehntelange Forschungsarbeiten und mehrere Veröffentlichungen voraus. Um nicht bloß an der Oberfläche zu kratzen, sondern Nietzsches (Denk-)Entwicklung und die basalen Erfahrungen zu rekonstruieren, war Hermann Josef Schmidt als Spurensucher aber auch als textkritischer Spurenleser unterwegs. Allein dies ist - angesichts des umfangreichen und uneindeutigen Materials aus dem Nachlass Nietzsches - eine nicht hoch genug einzuschätzende Leistung, die ihresgleichen sucht.

Das Buch verdeutlicht jedoch zusätzlich eine Methode, die sich auf andere Denkerinnen und Denker aber auch auf die eigenen Gedanken übertragen lassen sollte. Nietzsche selbst - bekanntlich ein brillanter Aphoristiker - brachte es treffsicher auf den Punkt:

“Es ist nicht nur interessant, sondern sogar nothwendig, sich die Vergangenheit, die Jahre der Kindheit insbesondere, so treu wie möglich vor Augen zu stellen, da wir nie zu einem klaren Urtheil über uns selbst kommen können, wenn wir nicht die Verhältnisse, in denen wir erzogen sind, genau betrachten und ihre Einflüsse auf uns abmessen.”

 


Hermann Josef Schmidt: “Dem gilt es den Tod, der das gethan” - Nietzsches frühe Entwicklung und einige ihrer Folgen, Alibri Verlag, Aschaffenburg 2014, ISBN 978–3–86569–118–7, 251 S., kartoniert, 20,00 EUR

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