Rezension

"Gebildeter Antisemitismus" – ein Sammelband zum Thema

BONN. (hpd) Die Aufsätze des Sammelbandes "Gebildeter Antisemitismus. Eine Herausforderung für Politik und Zivilgesellschaft", der von der Sprachwissenschaftlerin Monika Schwarz-Friesel herausgebeben wurde, thematisieren judenfeindliche Ressentiments im Kontext der Kommentierung von Israel an Beispielen aus dem intellektuellen, linken und medialen Milieu. Die Beiträge machen deutlich, dass sich ebendort Antisemitismus mehr über Einwände zum Nahost-Konflikt artikuliert, gleichwohl unterscheiden sie nicht genügend zwischen einseitigen antiimperialistischen und pauschalen antisemitischen Motiven.

Die Ergebnisse der sozialwissenschaftlichen Einstellungsforschung machen deutlich, dass Aversionen und Vorurteile gegen Angehörige von Minderheiten in der Gruppe der formal geringer Gebildeten weitaus stärker als in der Gruppe der formal höher Gebildeten ausgeprägt sind. Dies gilt auch für den Antisemitismus als Feindschaft gegen Juden als Juden. Indessen war dem nicht immer so: Während etwa die Arbeiter im 19. Jahrhundert gegenüber dem Antisemitismus weniger anfällig waren, gehörten gerade die Studenten zur sozialen Trägergruppe des Judenhasses. Doch wie steht es in dieser Beziehung heute? Auf diese Frage wollen die Autoren des von der Kognitions- und Sprachwissenschaftlerin Monika Schwarz-Friesel herausgegebenen Sammelbandes "Gebildeter Antisemitismus. Eine Herausforderung für Politik und Zivilgesellschaft" eine Antwort geben.

Ausgangspunkt dafür ist die Auffassung, wonach "antisemitische Äußerungen … vor allem … von gebildeten Personen des öffentlichen Lebens … kaum auf Kritik oder Widerstand" (S. 8) stoßen. Der Sammelband besteht aus 15 Beiträgen, die aber nicht alle auf das betonte Erkenntnisinteresse abzielen und mitunter eine Fülle von Wiederholungen enthalten. Zunächst gibt die Herausgeberin einen Überblick zur historischen Kontinuität und kulturellen Verankerung des "gebildeten Antisemitismus", und Andres Zick erörtert anhand von empirischen Daten den Kontext von Antisemitismus und Bildungseffekten. Aktuellen Debatten um bestimmte Vorkommnisse gehen danach Matthias Küntzel bezogen auf die Auseinandersetzung um Jakob Augstein und Olaf Glöckner hinsichtlich der linksintellektuellen "Israelkritik" zwischen Antisemitismus und Provokation nach. Lars Rensmann thematisiert anschließend Änderungen im politisch-diskursiven Sagbarkeitsfeld zum Thema. Entlastungsantisemitismus und Israel-Hass in den Internetkommentar-Seiten von The Guardian und Die Zeit bzw. dem Neuen Deutschland und der TAZ stehen dem folgend im Mittelpunkt von zwei Fallstudien von Matthias J. Becker und Linda Giesel.

Dem Antisemitismus in der "gebildeten Linken" widmet Martin Kloke seine Aufmerksamkeit, und Evyator Friesel fragt nach den Motiven von jüdischen Akademikern bei ihrer heftigen "Israelkritik". Antisemitismus unter Muslimen, eigentlich ein Thema, das auch nicht zum Schwerpunkt des Sammelbandes passt, bildet bezogen auf Debatten und Umfragen das Thema für Günther Jikeli. Robert Beyer geht der einseitig kritischen Nahostberichterstattung in der deutschen Qualitätspresse nach, Esther Schapira und Georg M. Hafner thematisieren einige Fälle von latent antisemitischen Vorkommnissen in etablierten Medien und Hagen Troschke untersucht die Nahost-Berichterstattung deutscher Printmedien zum Gaza-Konflikt 2012 auf antisemitische Tendenzen. Samuel Salzborn erörtert dem folgend die Kontextbedingungen bei Bildung und Repression hinsichtlich der Entstehung und Bekämpfung des Antisemitismus. Und Schwarz-Friesel schließt den Sammelband mit Reflexionen zu diskursiven Strategien bei der Leugnung der Judenfeindschaft.

Antisemitismus gilt in der offiziell anti-antisemitischen Konsenskultur der Bundesrepublik Deutschland als eine sozial nicht erwünschte Einstellung. Demgemäss artikuliert sich Judenfeindschaft auch meist nicht mehr offen in klassischer Form, sondern mehr im Kontext von einschlägigen Zerrbildern vom Staat Israel. Dass dem so ist, machen auch viele der vorgenannten Beiträge deutlich. Gleichwohl berücksichtigen die meisten Texte folgenden Gesichtspunkt nicht, der von Kloke zurecht angesprochen wird: "Nicht jede unfaire Kritik an Israel muss automatisch einem originär antisemitischen Ressentiment entspringen; sie kann im Einzelfall auch bloßer Unwissenheit oder einem revolutionsromantisch verklärten 'Antiimperialismus' geschuldet sein" (S. 166). Um hier zu differenzieren, hätte es klarerer Definitionen und Typologien bedurft. Eine antisemitisch missverstehbare Aussage ist auch etwas anderes als eine klar judenfeindliche Positionierung. Hier wäre auch bei der ansonsten reflexionswürdigen Kritik eine genaueren Unterscheidung notwendig gewesen.


Monika Schwarz-Friesel (Hrsg.), Gebildeter Antisemitismus. Eine Herausforderung für Politik und Zivilgesellschaft, Baden-Baden 2015 (Nomos-Verlag), 318 S., 59,00 Euro