Kolumne

Die EM 2016 ist nicht perfekt, aber es ist gut, dass es sie gibt

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BERLIN. (hpd) Europa blickt auf Frankreich. Im Eröffnungsspiel der Fußballeuropameisterschaft stehen sich Frankreich und Rumänien im Stade de France in St. Denis gegenüber – einer der Orte, an dem im vergangenen November islamistische Terroristen mordeten. Hpd-Gesellschaftskolumnist Carsten Pilger findet: Gerade jetzt muss der Ball rollen.

Fußball ist weit davon entfernt, in intellektuellen Kreisen ein besonders angesehenes Image zu genießen. Das Treten gegen den nicht mehr aus Leder hergestellten Ball genießt eher den Ruf des tumben Zeitvertreibs und die Existenz einer kompletten Berufssparte um dieses Ballgetrete herum, würde auf Außenstehende nur albern wirken, wäre nicht die mediale Überpräsenz dieses Millionengeschäfts, die Fußball ablehnend gegenüberstehenden Menschen den letzten Nerv rauben kann.

Ein großes Sommerturnier rangiert in der Reihe der moralisch fragwürdigen und fast schon skandalösen Ereignisse meist ganz weit vorne. Die Europameisterschaft in Frankreich, die heute beginnt, stellt da keine Ausnahme dar. Viele Stadien wurden mit öffentlichen Geldern renoviert oder neu gebaut, etwa in Bordeaux, wo zuletzt strittige Kostensteigerungen Präsidentschaftskandidat Alain Juppé in Erklärungsnot brachten. Wirtschaftsexperten rechnen zwar mit hohen Gewinnen für die heimische Wirtschaft – angesichts der jüngsten Arbeitskämpfe der französischen Gewerkschaften gegen das "Loi El Khomri" darf hier ein Fragezeichen gesetzt werden. Die geplante Arbeitsmarktreform, die mit der deutschen Hartz-IV-Gesetzgebung verglichen wird, erzürnt viele Franzosen.

Daneben gibt es noch die verhältnismäßigen kleinen, aber immer noch großen Begleiterscheinungen einer Europameisterschaft. Dass die Kartenpreise der UEFA aufgrund intransparenter Mehrkosten beim Versand überteuert sind etwa, oder dass bei der Kartenvergabe des Deutschen Fußball-Bunds das Kartellamt tätig wurde. Dass die Öffentlich-Rechtlichen von ARD und ZDF trotz hoher Summen für die TV-Rechte am Turnier verpflichtet sind, sich einen Teil des eigenen Programmes mit PR-Filmen von der UEFA bestücken zu lassen. Geschenkt.

In Frankreich gibt es noch die eine weitere Streitfrage: Die Sicherheit. Das Land, das 2015 gleich mehrere schwere Attacken auf die eigenen innere Sicherheit lebt, hat den "État d'urgence" ein weiteres Mal mit Hinblick auf die EM 2016 verlängert. Bürgerrechtler beklagen zurecht die die zum Dauerzustand gewordene Einschränkung von Grundrechten. Denn oft werden die mit dem Notstand gekommenen Sonderrechte der Ermittler nicht mehr gegen Terroristen, sondern auch zur Verteidigung wirtschaftlicher Interessen oder gegen Demonstranten bei Massenkundgebungen genutzt. Geblieben ist die Angst vor einer erneuten Attacke, wenn die Massen in die Stadien und Fanzonen Frankreichs drängen. Der Nationalspieler Jérôme Boateng erklärte, dass er aus Sicherheitsbedenken nicht möchte, dass seine Familie mit ins Stadion kommt.

Die Angst wird nicht so einfach vor dem Turnier gehen. Sie wird bleiben. Und trotzdem: Es ist gut, dass der Ball rollen wird. Denn auch wenn die EM 2016 und Frankreich derzeit alles andere als perfekt sind: Fußball ist eben nicht nur tumbes Gekicke, sondern ein Ausdruck von Lebensfreude und Genuss. Fußball ist der schöne Sport, der Menschen über Grenzen hinweg zusammen bringt, ungeachtet ihrer Hautfarbe und Religion. Aus diesem Grund hassen die Mörder vom Islamischen Staat den Fußball: Er passt nicht in ihr Weltbild, das Lustfeindlichkeit predigt. Eine Fußball-EM in Frankreich ist deshalb auch ein Zeichen, dass Terroristen niemandem vorzuschreiben haben, wie sie leben sollen.

Den Besuchern und Teilnehmern der Fußball-EM wünsche ich ein spannendes und sicheres Turnier. Und uns allen, dass es in den nächsten vier Wochen nicht nur über Fußball geredet wird.