Rezension

Menschenrechte auf hundert Seiten

Martin Klingst, politischer Korrespondent bei der "Zeit", legt mit "Menschenrechte" eine knappe Einführung zum Thema auf gerade mal hundert Seiten vor. Als erster Einstieg ins Thema ist der Band nützlich, leider fehlen ihm Ausführungen zur Philosophie der Menschenrechte im Sinne einer inhaltlichen Herleitung.

Die Aktualität der Menschenrechte als politisches Thema muss nicht gesondert begründet werden. Es vergeht kaum eine Nachrichtensendung, worin nicht auf deren Verletzung hingewiesen wird. Dabei fällt nicht nur der Blick auf Bürgerkriege und Diktaturen. Auch Demokratien können an Menschenrechtsverletzungen beteiligt sein. Das Agieren der USA im Irak-Krieg war nur ein offenkundiges Beispiel für derartige Verstöße. Denn in Demokratien gehören Menschenrechte zu den konstitutiven Werten. Eine Doppelmoral in dieser Frage fällt auch immer wieder zurück auf das jeweilige Land.

Die Einforderung von Menschenrechten hat demnach nichts mit einem Idealismus mit Wirklichkeitsfremdheit zu tun, denn häufig genug waren und sind die behaupteten Idealisten die wahren Realisten gewesen. Allein von daher bedarf es einer fortwährenden Auseinandersetzung mit dem Menschenrechtsverständnis. Dazu lädt ein Büchlein von gerade mal 100 Seiten aus der Feder von Martin Klingst, politischer Korrespondent bei der Wochenzeitung "Die Zeit", ein.

Als Einstieg wählt er seine persönliche Konfrontation mit dem Thema. Er war Mitglied einer Schülergruppe von Amnesty International" und leistete dort seinen Zivildienst ab. Eine kurzer Rückblick macht deutlich: Es hat sich einiges getan, denn Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen werden verfolgt. Kein Diktator kann sich mehr sicher sein – allerdings nur so lange er keine weltpolitische Macht hat. Die Ambivalenz des Fortschritts bei den Menschenrechten ist dann ein durchgängiges Thema. "Ungleichzeitigkeiten existieren aber nicht nur zwischen Diktaturen und Demokratien", so Klingst, "sondern ebenso, wenn auch längst nicht so dramatisch, zwischen demokratischen Gesellschaften" (S. 27). Er macht dies anhand der Diskriminierung Homosexueller deutlich, welche in bestimmten Ländern nicht heiraten dürfen. Danach betont der Autor, dass die Menschenrechte nicht allein aus dem Westen stammen. Grundlagen dafür finden sich in allen Kulturen, allein schon dann wenn Individuen einzelne Rechte ohne Vorgaben zugeschrieben werden.

Danach geht es um eine sehr aktuelle Frage, denn "das Flüchtlingsrecht ist ein Kern-Menschenrecht" (S. 41). Damit einhergehende Aspekte führen mitten in aktuellen Debatten, wobei gerade dieser Geschichtspunkt ebendort häufig fehlt. Anschließend behandelt Klingst die erwähnte Problematik, wonach Staaten mitunter mit zweierlei Maß messen. Gerade die aktuelle Politik in Polen findet dabei immer wieder gesonderte Aufmerksamkeit. Eher kurz, aber um so wichtiger sind dann die Ausführungen zu Menschenrechtsverstößen der Wirtschaft: Auch westliche Firmen produzieren in Entwicklungsländern, ohne bestimmte soziale Standards einzuhalten. Dies ist letztendlich ebenso eine Menschenrechtsverletzung. Das Beispiel der Textilfirma "Kik" steht exemplarisch dafür. Gegen Ende warnt Klingst noch davor, dass man Menschenrechte mit Erwartungen überfrachte. Es könne kein Stoppschild für deren Ausweitung geben: "Aber bisweilen wäre mehr Bescheidenheit angebracht, damit diese Rechte nicht beliebig werden und an Rechtskraft und Universalität verlieren" (S. 87).

Der Band erschien in einer neuen Reihe "100 Seiten" des Reclam-Verlag, die folgende Merkmale aufweisen soll: "Zu aktuellen Themen", "Für einen schnellen Überblick", "Persönlich geschrieben", "Unterhaltsam präsentiert", "Modern gestaltet". All diese Merkmale treffen auch auf den "Menschenrechte"-Band zu.

Gleichwohl kann man das Fehlen von bestimmten Gesichtspunkten bedauern, welche durchaus auch auf einem solchen engen Raum Platz gefunden hätten. Dazu gehören Betrachtungen zu einer Philosophie der Menschenrechte, die aus bestimmten Gründen gerechtfertigt werden. Hierbei kann man bis in die Antike zurückgehen, aber auch in der Aufklärung genügend Anregungen finden. Darüber hätte man gern mehr gelesen. Gleiches gilt für die kritische Auseinandersetzung mit Gegnern der Menschenrechtsidee. "Persönlich geschrieben" sollen die Bücher der Reihe sein, forderte der Verlag. Gleichwohl stellt sich die Frage, ob dies bei einem solchen Thema so sein muss. Als erste Einführung ist das Projekt gelungen. Aber es bedarf schon noch einem Mehr.

Martin Klingst, Menschenrechte, Stuttgart 2016 (Reclam-Verlag), 101 S., 10,00 Euro