Kommentar

Volksabstimmungen – das Ende der EU?

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BERLIN. (hpd) Der Zustand der EU muss prekär sein, wenn die EU-Fraktionschefin der Grünen Rebecca Harms Volksabstimmungen den Kampf ansagt. Sie sei dagegen, in einzelnen Staaten Fragen abstimmen zu lassen, die die EU insgesamt betreffen.

"Plebiszitäre Elemente zu europäischer Politik, die so angelegt sind wie die gestrige Abstimmung [in den Niederlanden], können die EU in ihrem Bestand gefährden." Frau Harms beschwört den Notstand Gefährdung des Bestandes der EU durch Plebiszite! Und tatsächlich drohen schlappe 18 Prozent aller abstimmungsberechtigten Niederländer als NEE-Sager den bereits ratifizierten Willen "aller Regierungen der Mitgliedsstaaten und deren Parlamente" über ein Assoziierungsabkommen mit der Ukraine zu blockieren. Das klingt nach tiefen Unrecht, dass es abzustellen gilt.

Das zahlenmäßige Verhältnis von 18 Prozent der Bürger nur eines Staates gegenüber 27 Staaten entfaltet durchaus seine Wirkung. Zumindest solange, wie man nicht die Fragen stellt, die Rebecca Harms u.a. übergehen. Warum haben nur 12 Prozent aller Niederländer dem Assoziierungsabkommen zugestimmt? Bedeuten 18 Prozent Ja-Stimmen wirklich so wenig Legitimation, wenn doch das EU-Parlament knappe Entscheidungen selbst nur mit 22 Prozent der EU-Bürger im Rücken fällt (Wahlbeteiligung EU-Wahl 2014: 43,09 Prozent)? Und würde die Bevölkerung der anderen 27 Staaten bei Volksabstimmungen tatsächlich das "Ja" ihrer Regierungen und Parlamente zum Abkommen bestätigen, wie stillschweigend vorausgesetzt wird?

Doch vor allem könnte man fragen, wieso Frau Harms u.a. Volksabstimmungen für das Problem eines Vetoblockade verantwortlich machen und nicht das im Vertrag von Lissabon festgeschriebene Prinzip der Einstimmigkeit bei der Aufnahme neuer Mitgliedsstaaten? Ein Assoziierungsabkommen ist der erste Schritt zu einer späteren Aufnahme und bedarf deshalb der Zustimmung aller EU-Staaten, was im Umkehrschluss bedeutet, dass jedes Land über ein Vetorecht verfügt. Dieses Veto könnte auch in Form eines nationalen Parlamentsbeschlusses vorliegen und die gleiche Konstellation - ein Land gegen 27 - bewirken, in welcher Frau Harms eine Gefährdung des Bestandes der EU sieht. Ihren Aussagen entsprechend, müsste Sie in diesem Fall konsequenterweise das Verbot weiterer Wahlen in der EU fordern, weil diese ja auch instrumentalisiert und "die EU in ihrem Bestand gefährden" könnten, wenn in deren Folge nationale Vetos EU-Beschlüsse blockieren.

Wer es also für unzumutbar hält, dass ein Land entgegen dem Willen der übrigen 27 Beschlüsse blockiert, müsste das Konsensprinzip infrage stellen, aber nicht den demokratischen Entscheidungsprozess dieses Landes. Das bei Entscheidungen im Finanz-, Sozial-, Sicherheits- und Verteidigungsbereich, sowie dem Beitritt neuer Länder vorgeschriebene Konsensprinzip wird aber bestehen bleiben, solange die EU ein Bund nationaler Staaten bleibt und sich nicht als ein Bundesstaat konstituiert (was eine Illusion sein dürfte). Denn das Konsensprinzip, und damit die Vetomöglichkeit in diesen Bereichen, ist für die Mitgliedsstaaten das einzige und auch verfassungsrechtlich notwendige Mittel, die nationale Souveränität gemäß dem eigenen Verfassungsrecht zu wahren, und somit Voraussetzung, um überhaupt nationale Macht verfassungskonform teilweise an Brüssel abgeben zu können.

Das weiß Frau Harms, weshalb sie eben nicht das unabänderliche Konsensprinzip, sondern die direktdemokratischen Entscheidungsverfahren in den Nationalstaaten frontal attackieren, wenn Einstimmigkeit sich nicht wie gewünscht einstellt. Die EU ist in der Auseinandersetzung mit ihren Kritikern und Gegnern Gefangene in ihren Strukturen und Entscheidungsverfahren eines Staatenbundes und versucht aktuell wie schon früher, diese Auseinandersetzung durch brachiale Beschneidung und Verweigerung nationaler demokratischer Mitbestimmung für sich zu entscheiden. An diesem Punkt wird deutlich sichtbar, wie der Versuch in den Strukturen eines Staatenbundes die Politik eines Bundesstaates zu betreiben, zwangsläufig zur Aushöhlung nationaler Volkssouveränität führt, ohne dass es aber auf europäischer Ebene eine Entsprechung für das in allen nationalen Verfassungen verankerte Prinzip der Volkssouveränität gibt.

Niemand käme auf die Idee, nationale Wahlen in gleicher Weise infrage zu stellen, wie es momentan bei der Volksbefragung der Niederländer geschieht. Zu diesem Zweck wird versucht, Volksabstimmungen mit den üblichen, allerdings gleichermaßen auf Wahlen zutreffenden Einwänden zu diskreditieren, und als illegitime Manipulationsinstrumente rechtsnationaler Kräfte darzustellen, die mit sachfremden Parolen nur pauschalen EU-feindlichen Protest transportieren. Zweifellos kann es dazu kommen, genauso wie die AfD in den Landtagswahlen Anfang 2016 sachfremde Proteststimmen gegen die Bundespolitik einsammeln konnte. Folgert aber jemand aus diesem Umstand, weitere Landtagswahlen sollten verboten werden?