Quasi vereinnahmt

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Helmut Qualtinger

(hpd) Heute jährt sich der Todestag des österreichischen Schauspielers, Kabarettisten und Sängers Helmut Qualtinger zum 25. Mal. Zu Lebzeiten wurde er verehrt und gehasst als jemand, der den heimischen Alltagsfaschismus so gekonnt und schonungslos darstellte wie vermutlich niemand vor noch nach ihm. Heute wird er beinahe zum Volksschauspieler verharmlost.

Mit dem „Quasi“ habe er oft gesprochen, erzählt mir S. Gemeinsames Stammlokal und so. Viel Wein, viele Witze, schildert S. Damals, in den 60ern, als er selbst noch in Wien lebte, sei er mehr oder weniger das jüngste Mitglied der Runde um den „Quasi“ gewesen. Dann sei er nach Deutschland gegangen, der „Quasi“ sei dann gestorben, bevor er wieder nach Wien gezogen sei. Es ist überraschend, wie viele Wienerinnen und Wiener, die gerade alt genug sind, um Helmut Qualtinger gekannt zu haben, behaupten, mit ihm befreundet gewesen zu sein. Sicher, der Mann war lebenslustig, wenn auch auf eher todessehnsüchtige Art. Allein, die Geschichten haben alle einen Schwachpunkt.

Wer ihn gut kannte, war per Helmut mit ihm, wie sein langjähriger Freund und Künstlerkollege André Heller schildert. Der Rest musste „Sie“ sagen zu ihm. „Quasi“ kann da nicht viel gewesen sein. Man redet niemand mit Spitznamen an, den man siezt. Nur, was stört das die Wienerinnen und Wiener, die sich brüsten, mit Qualtinger befreundet gewesen zu sein? Er kann sich nicht mehr wehren gegen die nachträgliche Vereinnahmung. Eine Vereinnahmung, die man in Österreich so gerne betreibt. Auch mit dem vor wenigen Jahren verstorbenen Georg Danzer passiert das. Vielleicht gibt die Illusion, einen posthum unumstrittenen Künstler gekannt zu haben, dem eigenen Leben so etwas wie Bedeutung. Vielleicht liegt es an der Theaterfreudigkeit der Wienerinnen und Wiener, die am stärksten bei denen ausgeprägt ist, die kaum ein Theater von innen gesehen haben.

Es ist ein österreichisches Phänomen, wie schnell tote Künstlerinnen und Künstler, die man zu Lebzeiten als Nestbeschmutzer beschimpfte, zum Teil bedrohte, zu Volksikonen werden. Der Tod kann schnell Ecken und Kanten glätten. Bei Helmut Qualtinger dauerte es nur bis zum Begräbnis. Er bekam ein Ehrengrab am Wiener Zentralfriedhof. Dagegen hatte er sich zu Lebzeiten gewehrt. Der damalige Bürgermeister Helmut Zilk (SPÖ) hielt eine Lobesrede. Uneingeladen. So schnell wird aus dem ehemaligen Staatsfeind eine staatstragende Figur.

An dieser typisch österreichischen Verlogenheit, die in ihrer Steigerungsform zur Lebenslüge wird, hat sich Helmut Qualtinger ein Leben lang abgearbeitet. Das ewige Herumlavieren, Taktieren, der alltägliche Opportunismus, meist gepaart mit – höflich formuliert – intellektueller Anspruchslosigkeit, gewürzt mit einem großen Schuss Chauvinismus. Er kannte sie aus eigener Anschauung. Der „Herr Karl“, die Abrechnung mit dem Verhalten des gemeinen Österreichers im NS-Regime, war auch eine Abrechnung mit dem eigenen Vater, der als „glühender Nationalsozialist“ beschrieben wurde. In dem Ein-Personen-Stück schildert der Magazineur „Herr Karl“ („Ich war immer der Herr Karl, schon als junger Mensch“), wie er sich von 1938 bis 1945 und danach recht komfortabel durchgebracht hat. Der Typus des kleinen Mitläufers, der das System erst ermöglicht. Und selbstredend, wenn auch auf kleiner Ebene, die Korruption und den Machtmissbrauch nachvollzieht.

In einer kleinen Episode zeigt sich, wie sehr der österreichische Kleinbürger bis heute die Wesenszüge trägt, die ihm Qualtinger und Co-Autor Carl Merz bescheinigen. Schildert Herr Karl doch, wie er Adolf Hitler trifft. Bei einem Blockwartetreffen im Wiener Rathaus. Und natürlich schaut man einander in die Augen: „Und dann hat er mich angeschaut mit seinen blauen Augen, und ich habe ihn angeschaut. Dann hat er gesagt: ‚Jaja!’ – Da hab ich alles gewusst. Ich hab gewusst, wir verstehen uns.“ Ein Stück Aufschneiderei. Weder vor- noch nachher ist im gesamten Stück die Rede davon, dass der Herr Karl Blockwart gewesen sei. Wieder einer, der sich mit wahrscheinlich erfundener Nähe zu einer „großen“ Persönlichkeit wichtig machen will. Kommt einem bekannt vor.

Bis heute entwickelt dieses Stück eine bedrückende Wirkung. Damals, 1961, musste sie revolutionär gewesen sein. Und für den ORF eine geradezu heroische Tat, es zu senden. Damals wurde die Lebenslüge der Opfernation Österreich mit der Muttermilch weitergegeben. Was „Herr Karl“ zeigte, existierte großteils nur in Verdrängtem. Wenn das einmal hochkommt, wird es heftig. Für einen interessierten Zuschauer von heute wirkt es wahrscheinlich nicht mehr so schockierend. Heute gibt es viele ähnliche Schilderungen, meist zugänglich gemacht durch historische Forschung. Zumindest für die, die es wissen wollen. Das nimmt dem Stück nichts von seiner Bedeutung und Einmaligkeit.

Kein Qualtinger-Nachruf kann ohne den Herrn Karl auskommen. Das liegt nicht nur am Inhalt. Die Darstellung zeigt den Unterschied zwischen etwa Loriot und Qualtinger. Bei Loriot war immer noch etwas Liebe zu dem dabei, was er satirisch zur Kenntlichkeit verzerrte. Qualtinger begegnete dem Objekt seiner Satire mit der gleichen Gehässigkeit und Wut, wie sie das Objekt, im Regelfall der Kleinbürger, für die Welt im Allgemeinen und das „andere“ im Speziellen empfand. Und stellte die Phrasenhaftigkeit bloß, hinter der sich so mancher seiner Satire-Objekte versteckten.

[video: http://www.youtube.com/watch?v=1nk82tH2MPA]

 

Es war ein psychisch notwendiges Verarbeiten und Abreagieren all dessen, was er wahrnahm. Siehe die vielen Programme und Figuren wie den Travnicek, Papa wird’s schon richten, Der Himbeerpflücker. Zum Glück für sein Publikum und zu seinem eigenen Pech war es viel, was er wahrnahm. Was Qualtinger betrieb, war Satire aus reiner Notwehr. Und das in einem manisch anmutenden Ausmaß. Und wenn er sich der abgrundtief hässlichen Wirklichkeit nicht mehr mit der Arbeit entledigen konnte, war’s die Flasche. So unmäßig wie er in der Arbeit war, so unmäßig war er bei der Selbstzerstörung.

Wundert es, wenn man nicht anders kann, als in die Abgründe der Mitbürger zu schauen? Und angegriffen zu werden, wenn man die Abgründe aufzeigt? Letzteres hat sich bis heute nicht geändert in Österreich. Nestbeschmutzer ist immer der, der den Dreck aufzeigt und ihn beseitigen will. Nie der, der den Dreck gemacht hat. Diese Mentalität hat es dem Qualtinger nicht einfacher gemacht. Wobei er nicht der einzige österreichische Künstler war, der daran zugrunde ging. Aber vielleicht der, der am besten verstand, was dahinter steckte.


Christoph Baumgarten