Die Sicherheitsbehörden und die NSU-Mordserie

(hpd) Die beiden Journalisten Stefan Aust und Dirk Laabs legen mit ihrem Buch “Heimatschutz. Der Staat und die Mordserie des NSU” eine beschreibende Rekonstruktion des Umgangs der Sicherheitsbehörden mit der jahrelang unerkannt agierenden Neonazi-Zelle vor. Zwar liest sich der fast 900 Seiten starke Band mitunter spannend wie ein Krimi, leider wimmelt er aber auch von vielen Detailfehlern und es fehlt eine genauere Analyse und eine wirkliche Einschätzung.

Nach der eher zufälligen Aufdeckung des “Nationalsozialistischen Untergrundes” (NSU), der zwischen 2000 und 2007 unerkannt zehn Morde begehen konnte, kamen in Medien und Politik rigorose Vorwürfe gegen die Sicherheitsbehörden auf. Sie reichten von “groben Fehlern” bis zum “kompletten Versagen”. Mitunter legte man auch eine “Kumpanei” von Neonazi-Mördern und Staat nahe – indessen ohne einschlägige Belege dafür.

Binnen kurzer Zeit entstanden auf Bundes- und Landesebene parlamentarische Untersuchungsausschüsse, die den Umgang von Polizei- und Verfassungsschutzbehörden mit dem NSU-Komplex aufklären sollten. Deren ausführliche Abschlussberichte bilden eine Quellenbasis für ein Buch zum Thema, das mit fast 900 Seiten unter dem Titel “Heimatschutz. Der Staat und die Mordserie des NSU” erschien. Geschrieben haben es die beiden Journalisten Stefan Aust, Herausgeber der “Welt” und der “Welt am Sonntag”, und Dirk Laabs, 2012 mit dem Opus Primum-Preis für die beste wissenschaftliche Nachwuchspublikation ausgezeichnet.

Beispielbild

In ihrem Buch rekonstruieren die beiden Journalisten in zwölf Kapiteln die Entwicklung des deutschen Rechtsextremismus zwischen 1992 und 2011 sowie parallel dazu den Umgang der Verfassungsschutzbehörden mit eben dieser sicherheitspolitischen Herausforderung. Das liest sich stellenweise wie ein spannender Krimi, worin verschiedene Handlungsstränge ineinander greifen und sich letztendlich bei der eher zufälligen Entdeckung des NSU treffen. Eine Fragestellung formulieren Aust/Laabs aber an keiner Stelle ihres Buches.

Ihr Verlag wirbt in Anzeigen indessen mit Sätzen wie “Warum hat man sie nicht entdeckt? Was lief schief? Die Rekonstruktion einer Jagd”. Doch eine differenzierte Erörterung der Gründe für das Scheitern der Sicherheitsbehörden findet man in dem voluminösen Werk nicht. Es endet mit folgender Stellungnahme: “Mit jeder weiteren vernichteten Akte, mit jeder nicht beantworteten Frage, mit jeder neuen Lüge verstrickt sich das Bundesamt für Verfassungsschutz nun weiter in einen Kampf, den es vor über 20 Jahren begonnen hatte …” (S. 822).

Dafür scheint das Buch durch seine Faktenfülle zu beeindrucken. Indessen macht der genaue Blick in den Text deutlich, dass es nicht selten nur so von Fehlern wimmelt. Da erhält der nicht-promovierte ehemalige Abteilungsleiter Rechtsextremismus im Bundesamt für Verfassungsschutz einen Doktor-Titel (“Dr. Cremer”, S. 429) und der ehemaligen Vizepräsident der Behörde einen falschen Vornamen (“Peter Fritsche”, S. 804) zugeschrieben. Wie man selbst in einem kurzen Satzteil gleich drei Fehler hineinschreiben kann, macht folgende Passage deutlich: “… wird auf die ‘Geheimdienstschule’ des Bundes, wo Agenten des MAD, BND und BfV ausgebildet werden …” (S. 75). Bei der gemeinten Schule handelt es sich um eine Bund-Länder-Einrichtung, Agenten werden dort nicht ausgebildet, und die BND-Mitarbeiter erhalten wo anders ihre Schulung. Derartige Fehler wären wohlmöglich mehr verzeihlich, präsentierten die Autoren eine differenzierte Analyse zu den nicht zu leugnenden Fehlern und Versäumnissen der Polizei- und Verfassungsschutzbehörden.

Doch auch hier hapert es: Aust/Laabs liefern in eigener Schreibe die Einzelerkenntnisse aus den bisherigen Untersuchungskommissionen, ohne eine nähere Einschätzung oder Gewichtung der im Buchtitel enthaltenen Problematik vorzunehmen. Meist bleibt es bei kurzen Statements ohne nähere Begründung. Leider lassen sich nur selten Ausnahmen konstatieren, wie folgende Einschätzung zu einer Broschüre des Bundesamtes für Verfassungsschutz: “Man benennt also ganz genau die Gefahr durch kleinere Gruppen … Was fehlt, jedenfalls in dieser Broschüre … ist eine klare Aufforderung: Wir müssen diese Kleinstgruppen ausfindig machen …” (S. 599). Doch warum war dem so? Genau an dieser Stelle hätten die Autoren weiter denken und weiter fragen müssen. Häufig reißen sie Probleme und Themen an, machen eine kurze und unklare Bemerkung und widmen sich dann wieder der Beschreibung von anderen Ereignissen. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit Problemen und Versäumnissen nimmt man demnach auch nicht wirklich vor.

 


Stefan Aust/Dirk Laabs, Heimatschutz. Der Staat und die Mordserie des NSU, München 2014 (Pantheon-Verlag), 864 S.