Die Nacht, in der „die Geister" sprechen

DARMSTADT. (GWUP) Magie, Zauberei und Hexenverfolgung in Darmstadt: Die „Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung

von Parawissenschaften" lädt zur Hexennacht ins Residenzschloss.

Das Walpurgisnacht-Event am 30. April - Die dunklen Seiten der Stadtgeschichte.

Es spukt im Residenzschloss Darmstadt - davon sind sogar die „Skeptiker" überzeugt.
Weiße Frauen, Hexen und ein Magier geistern am 30. April durch den Festsaal des Jahrhunderte alten Gemäuers. Heraufbeschworen hat sie die Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP), der normalerweise der Ruf einer „Ghostbuster- Truppe" vorauseilt. Doch in der Walpurgisnacht dürfen ausnahmsweise „die Geister sprechen".

Zauber- und Beschwörungsbücher

Sie erzählen vom Darmstädter Landgrafen Ludwig IX. im späten 18. Jahrhundert, der zeitlebens rätselhafte Phantomgestalten durch sein Domizil huschen sah. Von einem Kammersekretär mit Namen Karl Wunderlich, einem Adepten der Geheimwissenschaften und gläubigen Sammler verrufener Zauber- und Beschwörungsbücher. Und natürlich von der Hexenverfolgung in Darmstadt, welcher neben 35 anderen Beschuldigten die 16-jährige Anna und der elf Jahre alte Bub Wolf zum Opfer fielen.

„Hexen, Geister, Grimoires" ist denn auch die Veranstaltung überschrieben. Ein Grimoire ist ein altes Buch mit magischem Wissen, und davon beherbergt die heutige Universitäts- und Landesbibliothek im Schloss Darmstadt einige Dutzend besonders seltener Exemplare. Diesen außerordentlichen Handschriftenbestand aus dem Nachlass Karl Wunderlichs (1769 - 1841) wird der Volkskundler Dr. Stephan Bachter (Augsburg) den Zuhörern erschließen.

„Wunderlich teilte die Leidenschaft seiner Landesherren, der Landgrafen von Darmstadt, die ein besonderes Faible für die okkulten Künste hatten und selbst Geisterbeschwörungen und magische Schatzgräberei betrieben", weiß Bachter.

Geisterseher und weiße Frauen

Diese nahezu unbekannte dunkle Seite der städtischen Historie hat Dr. Diethard Sawicki ausgeforscht. Insbesondere unter der Regentschaft von Ludwig IX. (1717 - 1790) bedingten die „religiös-weltanschauliche Prägung des Landgrafen, seine Neigung zu Halluzinationen und die Personen, mit denen er sich bevorzugt umgab, dass sich eine regelrechte Hofkultur des Geisterhörens und -sehens etablieren konnte", erläutert der Historiker und Spiritismus-Experte.
Sawicki ist gewiss, dass er selbst durchaus wohlgelitten gewesen wäre, hätte er vor 250 Jahren gelebt und sich am Hofe deren von Hessen-Darmstadt als „Geisterseher" beworben. Denn: „Der magische Jargon jener Zeit lässt sich lernen. Aber die Probleme hätten danach erst angefangen."

Als da wären? „Wer wegen Erfolglosigkeit in Ungnade fiel oder als Betrüger entlarvt wurde, dem erging es schlecht", holt der Geschichtswissenschaftler aus Gütersloh aus. „Landesverweis und Stockhiebe werden in den Quellen als Strafen genannt."

Zwischen spooky und philosophisch

Nichtsdestotrotz war es „damals wie heute finanziell einträglicher, als Medium zu gaukeln, anstatt sein Können als wertvolle Unterhaltungskunst zu präsentieren", sagt der Zauberkünstler und Illusionist Yandaal. Er ist es, der bei der GWUP-Veranstaltung die Geister „sprechen" lässt.

„Insgesamt dürfte das Ganze ein bisschen zwischen spooky und philosophisch werden", kündigt der Hannoveraner an. Eigens für „Geister, Hexen, Grimoires - Darmstadts okkulte Stadtgeschichte" hat Yandaal ein neues und exklusives Programm konzipiert, das er „bizarre Magie" nennt: „Geschichten und Zaubereien zum Thema Hexen, weiße Frauen und Schatzpläne." Außerdem wird der Künstler die Übergänge zwischen den einzelnen Vorträgen mit thematisch passenden Liedern gestalten.

Wollüstiger Sex und Höllenritte

Apropos Hexen: In der Walpurgisnacht fliegen bekanntermaßen die Hexen auf einem Besen zum Blocksberg, um dort eine Nacht lang zu tanzen und wollüstigen Sex mit dem Teufel zu haben. Aus heutiger Sicht mutet das an wie ein Ecstasy-Trip. Könnten solche Vorstellungen womöglich tatsächlich unter dem Einfluss halluzinogener Substanzen entstanden sein?
„Das ist sogar sehr wahrscheinlich, wenn man die verwendeten Pflanzen betrachtet", ist der Lebensmittelchemiker Dr. Jochen Bergmann überzeugt. Obwohl Hexensalben-Rezepte - insbesondere die klassische „Flugsalbe - in verschiedenen Varianten kursierten, enthielten sie meist Teile einer oder mehrerer Pflanzen mit berauschender Wirkung, „wie etwa Bilsenkraut, Tollkirsche, Alraune oder bittersüßer Nachtschatten".

In seinem Vortrag rät Bergmann indes von diesbezüglichen Selbstversuchen ab: „Anders als bei bekannten Genussdrogen wie Nikotin, Ethanol oder Koffein ist die Dosierung der Wirkstoffe bei Hexensalben nicht ganz einfach - und das Fenster zwischen mildem Rausch und Höllenritt sehr schmal."

Anna und Wolf - „Hexe" und „Hexer"

Einen wahren Kern also haben die die Schilderungen von „Hexenflug und Ausschweifungen" allemal - nur fand dies alles bloß im Kopf der „Hexen" statt. Dennoch sind 37 Frauen und Männer in Darmstadt als „Hexen" und „Hexer" getötet worden. Den Gründen und Ursachen der frühneuzeitlichen Hexenverfolgung geht die Altgermanistin Henriette Fiebig (Berlin) auf den Grund.

1582 ließ Landgraf Georg I. von Hessen-Darmstadt gar einen elfjährigen Jungen und ein 16 Jahre altes Mädchen wegen Hexerei hinrichten. Wie kam es zu dieser Anklage?

„Über die Vorgeschichte erfahren wir nur aus einem Brief Georgs an seinen Bruder Wilhelm", hat Fiebig recherchiert. „Eine Frau hatte gestanden, eine Zauberin zu sein und ihre zwei Töchter und drei Söhne ebenfalls dem Teufel zugeführt zu haben. Der jüngste Sohn Wolf hatte seiner bereits inhaftierten Schwester Sara durch eine List zur Flucht verholfen, war aber gemeinsam mit ihr schon am nächsten Tag aufgegriffen und dann selbst verhaftet worden. In der Vernehmung erzählt er, er habe gesehen, dass Anna - eine Waise und die Nichte einer mit seiner Mutter zusammen hingerichteten Frau - mit dem Teufel Hochzeit hielt. So wurde auch Anna verhaftet."

Kröten als Haustier?

Mithin stimmen also die alten Klischees? Zum Beispiel: „Hexen" waren rothaarig, hatten eine Kröte als Haustier und beteten den Teufel an.

„Für manche vielleicht ja, für alle ganz sicher nicht", wehrt die Forscherin ab, die bei ihrem Vortrag auch mit Mythen und Halbwahrheiten zum Thema Hexenverfolgung aufräumen will: „Pauschal kann man das jedenfalls nicht beantworten. Und natürlich waren nicht alle Opfer weiblich!"

Mit aller Vorsicht könne man wohl von einem Verhältnis von 75 bis 80 Prozent weiblichen und 25 bis 20 Prozent männlichen Opfern ausgehen.

Fiebig weiter: „Es mag Rothaarige unter den verurteilten Frauen gegeben haben, aber die erhaltenen Prozessakten schweigen sich über solche persönlichen Details aus - tatsächlich wissen wir meist kaum mehr als den Namen und vielleicht noch Alter oder den Tätigkeitsbereich der Opfer. Das Rothaarigkeit ein oder der einzige Grund zur Verhaftung der Frauen gewesen sei, lässt sich keinesfalls aus den Akten herauslesen."

Wissenschaft und Entertainment

Was aber sich aus den historischen Akten herauslesen lässt, wie man eine Flugsalbe zusammenbraut, was es mit dem legendären „6. und 7. Buch Mosis" auf sich hat und ob Ludwigs „Geisterseher" tatsächlich Schätze fanden - das alles und noch vieles mehr erfahren die Besucher am 30. April ab 19.30 Uhr bei „Geister, Hexen, Grimoires - Darmstadts okkulte Stadtgeschichte(n)". Der Nacht, in der die Geister sprechen ...


Bernd Harder (GWUP)