Kolumne

Charlie, Aylan und der Wunsch, gut sein zu wollen

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BERLIN. (hpd) Das französische Satiremagazin "Charlie Hebdo" hat eine Karikatur zum ertrunkenen syrischen Jungen Aylan Kurdi veröffentlicht. Ein Grund zur Empörung für viele Nutzer der sozialen Netzwerke. Währenddessen bessert BILD sein Image mit Flüchtlingen auf, reagiert aber verschnupft auf einen Fußballverein, der nicht mitzieht. Für hpd-Gesellschaftskolumnist Carsten Pilger zwei Ereignisse, die ähnliche Probleme aufweisen.

Der gesellschaftliche Diskurs ist in die sozialen Netzwerke gewandert. Im Januar 2015 bestimmte der Hashtag #JeSuisCharlie das Netz. Die Nutzer waren also Charlie, nicht nur irgendeiner, sondern der Charlie Hebdo, der als Satiremagazin seit 1970 der französischen Gesellschaft den Spiegel vorhält. Anlass war der Mord an zwölf Redakteuren und Mitarbeitern, verübt von islamistischen Terroristen.

Acht Monate später gibt es Aylan statt Charlie. Der syrische Junge starb im Alter von drei Jahren im Mittelmeer – zusammen mit einem Dutzend anderer Menschen, die im gleichen Boot von der Türkei nach Griechenland übersetzen wollten. Eine Fotografin hielt fest, wie die Leiche des Jungen an einem Strand angespült wurde. Das zur Ikone gewordene Foto berührte Medien, Politiker, sogar Staats- und Regierungschefs und hob den Diskurs um die aktuellen Fluchtbewegungen auf eine neue Ebene. Nun sind alle Aylan.

Nur Charlie bleibt Charlie und hat sich auf ganz eigene Art und Weise mit der medialen Rezeption des Fotos auseinandergesetzt: Mit zwei Karikaturen, einmal Aylan vor einem Werbeplakat für das "Happy Meal" von McDonalds. Überschrift: So nah am Ziel...

In den sozialen Netzwerken entlud sich eine Welle der Empörung über die Karikatur, die von einigen internationalen Medien fälschlicherweise zum Titelbild des Blattes erhoben wurde: Charlie Hebdo sei geschmacklos, rassistisch und rufe zu Hass gegen Flüchtlinge auf.

Andere (Flüchtlings-)Diskussion, gleiche Netzwerke. Am kommenden Bundesligaspieltag verzichten 35 Vereine der Bundesliga auf das Logo des Paketlieferers Hermes auf ihrem Trikotärmel, um für die Aktion der BILD-Zeitung "Wir helfen" zu werben. Nur ein Verein macht nicht mit: Der Zweitligist FC St. Pauli, bekannt für das linke Selbstverständnis der aktiven Fanszene und karitatives Engagement in der Vergangenheit – ob Flüchtlingshilfe, Engagement gegen Sexismus oder Wasserprojekte. Ein Umstand, der dem BILD-Chefredakteur Kai Diekmann weniger bekam: Via Twitter polemisierte er, dass Flüchtlinge beim FC St. Pauli wohl nicht willkommen seien.

Was haben beide Ereignisse gemeinsam, außer dass sie sich hauptsächlich in den sozialen Netzwerken abspielen und dass es im weitesten Sinne um Flüchtlinge geht? Zwei Dinge: Einmal, dass es das von vielen Nutzern unreflektierte Nachlaufen von Trends illustriert. War Charlie Hebdo Opfer von Terroranschlägen, war es gleichzeitig Mode sich mit dem Hashtag #JeSuisCharlie zu schmücken – ob man sich nun tatsächlich mit dem Inhalt von Charlie beschäftigt hatte oder nicht. Und nun scheint aktuell auch das #refugeeswelcome vielen Akteuren aus Politik und Wirtschaft der Willkommensgruß automatisch über die Lippen zu kommen. 

Die zweite Gemeinsamkeit: Die Selbstwahrnehmung als Flüchtlingshelfer wurde in Frage gestellt. Charlie Hebdo kritisiert mit der Aylan-Zeichnung eben nicht Flüchtlinge, sondern die Konsumentenmentalität der Europäer. Die Haltung, die zwar ein einzelnes totes Kind zum Symbol erheben kann, aber ungerührt weitergeht, während täglich weiter Menschen auf der Flucht sterben. Und auch wenn es zunächst sehr positiv überrascht, wenn die BILD-Zeitung ihre zentrale Rolle in der Medienlandschaft dazu nutzt, zu Helfen und auch die Stammleserschaft für eine Notsituation zu sensibilisieren und sogar alte Vorurteile entkräftet: Es ist in Ordnung, die Beteiligung an „Wir helfen“ unter Rückblick auf die vergangene Berichterstattung über Asylsuchende abzulehnen. Peinlich wird es, wenn der Chefredakteur daraus ein mangelndes Engagement für Flüchtlinge konstruiert.

Im Bedürfnis, immer der Gute oder der Gerechte sein zu wollen, entwickelt so manche Hilfsbereitschaft Züge von Selbstgerechtigkeit. Das ist dann der Fall, wenn Hilfe für Flüchtlinge unter Verdacht gerät, vor allem das eigene Ansehen steigern zu wollen. Muss das die Hilfe für Flüchtlinge trüben? Nicht unbedingt. Dazu gehört aber auch, dass Kritik an den Verhältnissen nicht in ihr Gegenteil verkehrt wird. Sie setzt nämlich oft da an, wo Handlungsbedarf besteht.