Belgien und sein koloniales Vermächtnis

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Nsala of Wala in the Nsongo District (Abir Concession), ein Mann vor Gliedmaßen seiner Tochter, die von Wachen zur Eintreibung von Kautschuk getötet worden sein soll
Nsala of Wala in the Nsongo District

TRIER. (hpd) Vor 130 Jahren tagte in Berlin die Kongo-Konferenz. Die europäischen Kolonialmächte teilten den afrikanischen Kontinent unter sich auf und der Kongo wurde zum Privatbesitz des belgischen Königs Leopold II. erklärt, welcher diesem den zynischen Namen "Freistaat Kongo" gab. Ehe 1908 aufgrund internationaler Proteste der Kongo in staatlichen Besitz überging, übte Leopold eine Schreckensherrschaft aus. Noch heute wird in der belgischen Öffentlichkeit heftig über die koloniale Vergangenheit diskutiert – wobei die ältere Generation die brutale Gewaltausübung entweder schlichtweg verneint oder dafür keine Reue zeigt.

Als Leopold II. Herrscher über den Kongo wurde, inszenierte er sich als Philanthrop und kündigte an, den Einheimischen "Zivilisation und Kultur" bringen zu wollen. Stattdessen unterwarf er sie einem brutalen System aus Zwangsarbeit, Geiselhaft, Verstümmelung und Mord. Diese Gewalttaten entsprangen nicht nur dem Interesse, viel Geld zu verdienen, sondern sollten auch sein persönliches Interesse an imperialem Prestige befriedigen. Belgien sollte den anderen europäischen Nationen in nichts nachstehen und ebenfalls zu einem Imperium heranwachsen. Ein neues Nationalgefühl wurde geschaffen, was sich sozialdarwinistisch wie chauvinistisch ausdrückte. Die Tagebucheinträge des Königs lassen des Weiteren einen ausgesprochenen Minderwertigkeitskomplex gegenüber den anderen Mächten Europas vermuten.

Doch ausgehend von der Intensität seiner Gewaltherrschaft avancierte er, wie auch die im Kongo ansässigen belgischen Firmen, zu einem besonders abschreckenden Beispiel kolonialem Despotismus. Während die Einwohnerzahl im Kongo zum Beginn seiner Herrschaft noch 20 Millionen Menschen betrug, halbierte sie sich bis 1908 und stieg bis 1960 erst wieder auf 18 Millionen. Symbolisch für die Kolonialherrschaft Leopolds ist die Praxis des Hände abhacken, welche auf unzähligen Fotografien festgehalten wurde und auf der internationalen Bühne für Empörung und Abscheu sorgte. Die Gräueltaten im Kongo wurden erstmalig bekannt durch Augenzeugenberichte einiger dort tätiger christlicher Missionare, die jedoch kaum den offenen Widerstand gegen das Regime wagten. Erst als der Brite Edmund Dene Morel das Ausmaß des Systems aus Ausbeutung und Gewalt offen legte, geriet der belgische König unter Druck.

Morel gründete im Zuge seines Engagements die Congo Reform Association, die erste moderne Nicht-Regierungsorganisation für Menschenrechte. Als ehemaliger Mitarbeiter einer Reederei, die Handelsgeschäfte im Kongo betrieben, fiel ihm auf, dass zwar Waren wie Kautschuk und Ebenholz nach Belgien importiert wurden, jedoch als "Tauschware" Waffen und Munition exportiert wurden. Mittels seiner eigens gegründeten Zeitung West African Mail wurden die Gewaltexzesse im Kongo einer weltweiten Leserschaft bekannt, die auch die Aufmerksamkeit Großbritanniens und der Vereinigten Staaten erregten. Erstmalig wurde von Verbrechen gegen die Menschlichkeit gesprochen, die auch später eine rechtliche Grundlage im Rahmen der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse darstellen sollten. Schließlich entsandte Großbritannien eine Kommission in den Kongo, die den Anschuldigungen nachgehen sollte. Damit fiel endgültig die scheinbar menschenfreundliche Maskerade Leopolds – schließlich wurde er zu einer der meist gehassten Menschen der Welt.

Doch unmittelbar nach dessen Tod im Jahr 1909 gerieten die Gräueltaten zunehmend in Vergessenheit und ein Prozess der Geschichtsverfälschung begann. Als der Kongo 1960 unabhängig wurde, war es der erste gewählte Ministerpräsident Patrice Lumumba, der die Unterdrückung der einheimischen Bevölkerung anprangerte und für sein Aufbegehren letztlich mit dem Tode bezahlen musste. Denn zuvor hielt der damalige belgische König Baudouin anlässlich der Feierlichkeiten zur Unabhängigkeit eine Rede, in welcher er die angeblichen Leistungen der belgischen Kolonialherren hervorhob, nämlich der kongolesischen Bevölkerung Zivilisation und Kultur gebracht zu haben. Auch heutzutage wird Leopold noch stellenweise als großer Humanist und Menschenfreund verklärt und die Verbrechen der Kolonialzeit relativiert.

Allerdings scheint die geschichtliche Aufarbeitung immer mehr ein Thema zu werden. Jüngst hat der belgische Historiker Pedro Monaville in einem Interview mit der Wochenzeitung Jungle World sich umfangreich geäußert. Insbesondere die ältere Generation scheint sich gegen eine Aufarbeitung zu sträuben: "Die Älteren – und vor allem diejenigen, die persönliche Erfahrungen im Kongo gemacht haben – tendieren dazu, die koloniale Vergangenheit vollkommen unkritisch zu sehen und eine paternalistische Haltung einzunehmen. Einige behaupten immer noch, die zahlreichen Massenmorde, Geiselnahmen, Verstümmelungen und Vergewaltigungen unter Leopold hätte es nie gegeben, sondern sie seien eine Erfindung der Briten gewesen, aus Neid auf den königlichen Besitz."

Das königliche Kolonialmuseum in Brüssel, einst ein Prestigeobjekt, das Leopolds Kolonie der Öffentlichkeit schmackhaft machen sollte, befindet sich bis 2017 in einer Umbauphase. Man darf gespannt sein, ob sich bei dessen Wiedereröffnung einschneidende Veränderungen bemerkbar machen.