Eine nicht ganz gelungene Warnung

"Wie der Neoliberalismus die Demokratie zerstört"

BONN. (hpd) Die US-amerikanische Politikwissenschaftlerin Wendy Brown kritisiert in ihrem Buch "Die schleichende Revolution. Wie der Neoliberalismus die Demokratie zerstört" die Ausbreitung einschlägigen Denkens und Politikverständnisses. So sehr sie hier berechtigt auf Gefahren für die Demokratie von innen hinweisen kann, liegt eher ein fragmentarisches und zerfasertes Buch zwischen einigen Fallbeispielen und ideengeschichtlichen Reflexionen vor.

Eine Demokratie kann nicht nur von außen, sondern auch von innen heraus zerstört werden. Gemeint sind mit dieser Aussage politische Entwicklungen, die im Namen oder von Repräsentanten der Demokratie mit fataler Wirkung vorangetrieben werden. Dazu kann auch der Bedeutungsverlust von Politik gegenüber der Wirtschaft gehören. Denn damit kommt nicht einer demokratisch legitimierten, sondern einer ökonomisch präsenten Macht eine entscheidende Rolle zu. Derartige Kritik haben jüngst eine Fülle von Intellektuellen vorgetragen. Ihnen schließt sich auch Wendy Brown, Professorin für Politikwissenschaften an der Universität von Kalifornien in Berkeley, mit ihrem Buch "Die schleichende Revolution. Wie der Neoliberalismus die Demokratie zerstört" an. Darin konstatiert sie: "Über die bloße Imprägnierung der Bedeutung oder des Inhalts von Demokratie mit Marktwerten hinaus greift der Neoliberalismus die Prinzipien, Praktiken, Kulturen, Subjekte und Institution der Demokratie im Sinne der Herrschaft durch das Volk an" (S. 7).

Brown sieht im Neoliberalismus nicht nur eine Auffassung zur Gestaltung bzw. Umgestaltung der Wirtschaft. Er habe sich vielmehr zu einer besonderen Form normativer Ordnung der Vernunft entwickelt, welche immer mehr das Alltagsleben ebenso wie die Regierungsrationalität präge. Alle Bereiche des menschlichen Lebens würden immer mehr in ökonomischen Begriffen und Metriken erfasst und gemessen. Der Homo oeconomicus habe dabei den Homo politicus in Besitz genommen. Auch darüber hinaus müsse von einer Ökonomisierung des Politischen ausgegangen werden: "Der Punkt ist …, dass die neoliberale Rationalität das Modell des Marktes auf alle Bereiche und Tätigkeiten ausdehnt – auch wo es nicht um Geld geht – und Menschen ausschließlich als Marktakteure auffasst, immer, nur und überall als Homini oeconomici" (S. 32). Dies möchte Brown im ersten Teil ihres Buchs verdeutlichen, wobei sie sich an dem Ansatz von Michel Foucaults Vorlesungen zur Geburt der Biopolitik von 1978–79 als wegweisendem Ansatz orientiert.

Nach den damit einhergehenden Ausflügen in die Ideengeschichte, die auch in Rekursen auf Aristoteles, Marx und Weber bestehen, geht es im zweiten Teil ihres Werks um die Ausbreitung der neoliberalen Vernunft in der Praxis. Dabei stehen etwa die Erfolgsmethoden bei der Umstrukturierung der Landwirtschaft im Irak nach der Beendigung des Krieges im Blick. Andere Beispiele beziehen sich auf die Einflüsse auf die Gesetzgebung, welche die Bedeutung der Gewerkschaften als Interessenvertreter der Arbeiter immer mehr einschränkten und reduzierten. Daraus entstehe als allgemeine Entwicklung eine existentielle Gefahr für die Demokratie. Sie könne ja auch eine leere Form zur Auffüllung mit einer Vielfalt schlechter Inhalte sein: "Aber wenn die Demokratie für die Idee steht, dass das Volk und nicht etwas anderes, über die Grundsätze und Koordinaten seiner gemeinsamen Existenz entscheidet, kann die Ökonomisierung dieses Prinzips sie schließlich töten" (S. 252). Die Demokratie und der Mensch seien aber nicht nur relevant für Investitionen und Wertsteigerungen.

Derartige Auffassungen stehen nicht für neue Erkenntnisse, konstatieren aber durchaus reale Gefahren. Indessen gelingt es Brown nicht, die Dimensionen und Ebenen klar darzustellen und einzuschätzen. Statt dessen präsentiert sie im ersten Teil gleich in zwei großen Kapiteln eine Foucault-Exegese und im zweiten Teil eine Ansammlung von Einzelbeispielen. Nur an wenigen Stellen ihres Buchs geht Brown auf ihr angekündigtes Kernanliegen genauer ein: "… die wesentlichen Bedingungen demokratischen Lebens bleiben folgende: begrenzte Extreme konzentrierten Reichtums und Armut, Ausrichtung auf Staatsbürgerschaft als Praxis der Berücksichtigung des öffentlichen Wohls und Bürger, die eine gewisse Einsicht in die Wege der Macht de Geschichte der Repräsentation und der Gerechtigkeit haben. Jede dieser Bedingungen wird von der neoliberalen Rationalität und Politik ernsthaft in Frage gestellt" (S. 214). Dann hätte aber auch angesichts des Buchtitels genau dies die inhaltliche Ausrichtung und Strukturierung des etwas fragmentarischen und zerfaserten Werks prägen müssen.

Wendy Brown, Die schleichende Revolution. Wie der Neoliberalismus die Demokratie zerstört, Berlin 2015 (Suhrkamp-Verlag), 333 S., ISBN: 978–3–518–58681–5 , 29,95 Euro