SENHEIM/MOSEL. (hpd) Mit Carsten Frerks "Kirchenrepublik Deutschland" ist eine der seltenen Untersuchungen kritisch zu würdigen, deren langfristige Wirkungen die einer banalen Detonation bei weitem übertreffen dürften.
Diskutiert er in dem Buch doch nicht nur die Frage der puren Existenz einer seit 1949 installierten, "vorsätzliche Täuschung" (S. 51) nicht scheuenden Art unsichtbarer "Nebenregierung" (S. 47) der beiden christlichen Großkirchen in Deutschland, sondern belegt auch deren z.T. grundgesetzwidriges Wirken auf knapp 300 Seiten mit zahlreichen aufschlussreichen Details sowie in ihren dieses ermöglichenden ausdifferenzierten organisatorischen Strukturen. Eine extraordinäre Provokation oder Pionierleistung in freilich dichtest vermintem Gelände?
Nach "Worum geht es?", "Vorwort" und "Einleitung" ist der Band in 8 sehr unterschiedlich umfangreiche Kapitel gegliedert, die unter dem Vorzeichen "Kirchlicher Lobbyismus" stehen. Dessen Spezifik wird im 1. Kapitel (S. 23–27) skizziert und in "2. Historische Konstanten" (S. 29–35) bis 380 u.Z. zurückgeführt, um dann jedoch in den beiden zentralen Kapiteln "3. Lobbyismus von außen" (S. 37–206) auf Bundes- und Länderebene und in "4. Lobbyismus von innen" (S. 207–281) bzw. von Seiten der Ministerialbürokratie eröffnetem privilegierten Zugang zur Gesetzgebung mit zumindest für an diesem Thema ernsthaft Interessierte geradezu atemberaubenden Details und Argumentationen belegt zu werden.
"5. Medien" (S. 282–284), "6. Wissenschaft" (S. 284–289) und "7. Bundesverfassungsgericht" (S. 290–295) runden zwar nur äußerst knapp doch so konsequenzenreich diese erste "Annäherung" auf eine Weise ab, dass das in "8. Fazit" (S. 296f.) nochmals präsentierte Selbstlob des Leiters des katholischen Kommissariats der deutschen Bischöfe in Berlin, Prälat Dr. Karl Jüsten, fast allzu bescheiden erscheint: "Unser Erfolg beeindruckt manchmal auch die Bankenlobby oder die Atomlobby." (S. 299)
Eine Danksagung (S. 298f.) schließt ab: Die Recherche erfolgte im Auftrag und gefördert durch ein 20-monatiges Stipendium des Internationalen Bundes der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA), unterstützt durch die Giordano-Bruno-Stiftung (GBS) und zahlreiche Freunde sowie Helfer. So ist dieser brisante Text zwar "nicht nur meine Leistung", doch wäre sie ohne das immense Engagement dieses wohl informiertesten kritischen Kenners der Staats-Kirchenfinanzierungsfragen usf. des deutschen Sprachraums niemals möglich gewesen.
Was die Seriosität der Belege betrifft, so spricht für deren Annahme, dass Frerks bisherigen einschlägigen Veröffentlichungen [1] der Rang von Standardwerken zuerkannt wurde bzw. dass sie m.W. noch keine substantielle Kritik fanden. Natürlich schreit gerade diese "Annäherung" nach "mehr". Erfreulicherweise verfügt der Autor über eine mehr als 1.000 Seiten umfassende "lange Studienfassung", die er auf der Seite kirchenrepublik.de unter dem Titel "Die Staatsflüsterer" zu publizieren (S. 15f.) ankündigt. Wer sich erinnert, dass bezeichnenderweise mehr Mitglieder des Verfassungsgerichts hohe päpstliche Orden erhielten als selbst diejenigen des ZDF oder gar der CDU (S. 294), wird vielleicht eher bereit sein, bisherige Auffassungen nicht nur zum Staatskirchenrecht zu überprüfen.
Um die Ungeheuerlichkeit schon des schlichten Faktums der Existenz und Art Volkssouveränität und Gewaltenteilung unterlaufenden, behördlich jedoch gestützten Agierens dieser in der breiten Öffentlichkeit kaum realisierten "Nebenregierung" historisch tiefenschärfer einzuschätzen, ein längeres Zitat Frerks: "Es ist eigentlich zum Schreien, makaber, wenn es nicht so ernst wäre: Zwei Organisationen (die beiden großen Kirchen in Deutschland), die im Ersten Weltkrieg mit ihren Predigten unzählige Männer in den 'Heldentod' getrieben haben, die mit zu den Totengräbern der Weimarer Republik gehörten, die, bis auf wenige benennbare Ausnahmen, keine Gegner der Nationalsozialisten waren, die nach dem für Deutschland verlorenen Zweiten Weltkrieg über die (katholische) 'Kloster-Rattenlinie' und die evangelischen 'Hilfswerke' Nazi-Verbrechern zur Flucht verhalfen und vor langen Freiheitsstrafen bewahrten, die erst 1965 (II. Vatikanisches Konzil) und 1985 (EKD-Denkschrift) ihren formalen Frieden mit der Demokratie formulierten, diese beiden Organisationen sind seit 1949 ungestört dabei, an den gesetzgebenden demokratischen Institutionen (den Parlamenten) vorbei – im Schulterschluß mit der Ministerialbürokratie – ihre Vorstellungen zu Gesetzen werden zu lassen. Und das Ganze nennt sich dann 'Gewohnheitsrecht'?" (S. 49) Doch vielleicht ist diese Etikette nicht einmal völlig abwegig. Könnte sie auf bis 1945 absurderweise reichlich demonstrierter "nationaler Bewährung" beruhen?
[1] Carsten Frerk: Finanzen und Vermögen der Kirchen in Deutschland. Aschaffenburg, 2002;
ders.: Caritas und Diakonie in Deutschland. Aschaffenburg, 2005;
ders.: Violettbuch Kirchenfinanzen. Wie der Staat die Kirchen finanziert. Aschaffenburg, 2010
Carsten Frerk, Kirchenrepublik Deutschland, Alibri, 2015, ISBN 978–3–86569–190–3, 18,00 Euro
Das Buch ist auch bei unserem Partner denkladen erhältlich.
5 Kommentare
Kommentare
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Zu dem sehr knappen 5. Kapitel des hervorragenden Buches könnte ich Material hinzufügen, das fast ein eigenes Buch wert wäre. Ich selbst habe nämlich einst viele Jahre lang als Subunternehmer u.a.
Wenn dort ein Chefredakteur arbeitet, der studierter Theologe ist und Fernsehen als moderne Form der Missionierung sieht, dann wundert es nicht, dass historische Themen (z.B. für die ZDF-Reihen Sphinx oder Terra-X) einen sehr religionsaffinen Anstrich erhielten.
So wurden und werden Sagengestalten aus der Bibel als historische Persönlichkeiten präsentiert, deren unmoralisches und zutiefst unethisches Verhalten mit keiner Silbe hinterfragt wird.
Heute produziert diese Firma z.B. kleine Filmchen mit "Bruder" Paulus aus Frankfurt, der mit aufgesetztem Dauergrinsen für die Wohltaten eines festen Gottesglaubens wirbt und gegen die schädliche Wirkung des vermeintlichen Kapitalismus (der in seinen Augen durch Atheismus gefördert würde - siehe die vermeintliche Abschaffung der kirchlichen Feiertage) wettert - Letzteres aber nur ganz lieb und stets "verständnisvoll" grinsend.
Die von mir detailliert untersuchten Vorgänge um die umstrittene Kika-Sendung "Tahsins Beschneidungsfest" mit dem anschließenden Webtalk zeigt die religiösen Verflechtungen der ARD, die selbst vor dem Wohl von Kindern nicht Halt macht und dem verdutzten, jungen Publikum (Kinderkanal!) weismachen will, dass es für einen Jungen gaaaaanz toll sei, ein Stück seines Körpers unter unhygienischen Bedingungen abgeschnitten zu bekommen. Zum Glück für die Produzenten kam es dabei nicht zu Komplikationen, wie bei "It's a Boy". Aber dann hätte man vermutlich einen anderen "glücklichen" Jungen gezeigt, der bei einem lustigen Familienfest genitalverstümmelt wird.
Es gibt so viele Beispiele, die zeigen, wie durchdrungen die deutsche Medienlandschaft von religiösem Gedanken"gut" ist, dass man für Sendungen wie die "heute-show" dankbar sein muss, die wenigstens ein kleines Korrektiv dem Kirchenfunk entgegensetzt.
Wobei es da auch schon ruhiger wurde mit Kirchenkritik. Vielleicht fand ja inzwischen ein ernsthaftes Gespräch hinter Redaktionstüren statt, in denen den Produzenten die große Bedeutung des "Rechtsfriedens" in Deutschland aufgezeigt wurde. Und Rechtsfrieden heißt ja stets, dass Religionen nicht kritisiert werden dürfen (siehe Beschneidungsdebatte 2012).
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Ich muss mich hier aus gegebenem Anlass selbst kommentieren, bzw. ergänzen:
Gestern lief die "heute-show", bei der sich Oliver Welke über einen Redebeitrag einer grünen Politikerin lustig machte, die völlig vernünftig zum Thema "Beschneidung" sprach. Ich blieb ehrlich gesagt etliche Minuten fassungs- und sprachlos sitzen, weil ich gar nicht an mich heranlassen wollte, dass der sich dereinst über Tebartz lustig machende Welke plötzlich (?) religiöse Praktiken, wie die Beschneidung, okay findet und die Kritiker dieser Praxis veralbert.
Oder hat das irgendjemand anders gesehen? Könnte es die in meinem obigen Kommentar noch vermuteten "ernsthaften Gespräche" tatsächlich gegeben haben? Ich bin wirklich entsetzt!
Little Louis am Permanenter Link
@B. K. am 28.11. um 12:50
Hans Salzburg am Permanenter Link
Ein weiterer Aspekt der "Kirchenrepublik" ist die permanente "Reputations-Piraterie", welche die Kirchen durch ihre teils monopolartige "Trägerschaft" zahlloser sozialer Einrichtungen an
In der überwältigenden Mehrheit aller sozialen Einrichtungen ist zum allergrößten Teil Staatsknete drin, darf aber nicht draufstehen, weil Kirchengläubige in sämtlichen staatlichen Institutionen dem Staat die Rolle als verhaßtem Steuereintreibungs-Büttel gerne überlassen, die so eingenommenen Gelder jedoch kirchlichen "Trägern" zuschustern, die sich dann mit den damit finanzierten sozialen Leistungen brüsten dürfen.
Dieser Etikettenschwindel soll nicht etwa abgeschafft, sondern auch noch auf islamische Lobbyverbände ausgedehnt werden!
Hans Trutnau am Permanenter Link
Absolute säkulare PFLICHTlektüre!!!
Meine 'schönste' Stelle:
Bischof H. Kunst (Bevollmächtigter des ehem. Evangel. Büros, Bonn):
Wir kämen in TEUFELS KÜCHE [sic!], "wenn auch nur andeutungsweise bekannt würde, mit welchen Fragen wir uns beschäftigen." Zit.: Frerk, Carsten: Kirchenrepublik Deutschland (2015)
Ich wünsche diesem Buch über die Pfaffia* eine VIRALE Verbreitung!
*In meinen (längeren) Worten die maffiös-korrupte bundesdeutsche Staat/Kirchen-Verfilzung.