Ökonomische Plaudereien

Zins - eine kleine Notiz zu einem großen Thema

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BERLIN. (hpd) Wenn man Bohnen in die Erde gibt, werden Bohnen wachsen. Sät man Weizen, wird er wieder Weizen bringen. Mit Apfelbäumen, Schafen und Ziegen ist es ganz ähnlich. In einer alten Verfilmung erklärt Robinson seinem Gefährten Freitag die Bedeutung des Geldes. Daraufhin sät dieser dicke Goldmünzen wie Möhren oder Radieschen. Die Saat ging aber nicht auf - was für eine Überraschung.

Wie ist der Zins ökonomisch zu erklären? Was ist da viel zu erklären, mag man fragen. Die Zinsen, die man zu zahlen hat, sind gewöhnlich höher als die, die man bekommt. Das mag so sein, ist aber keine Erklärung. Wenn man hingegen fragt, wie es zu erklären ist, dass eine Ware teurer wird, wenn sie durch die Hände eines Händlers geht, so kann man antworten: der Händler fügt dem Wert der Sache durch seine Arbeit etwas hinzu. Er transportiert die Ware oder er betreibt einen Laden oder ein Lager oder alles zusammen. Die Arbeit, die er der Sache hinzufügt, erhöht ihren Wert. Wenn die Marktsituation es zulässt, wird er diese Wertsteigerung mit dem Preis auch wieder hereinbekommen. Das ist klar. Aber der Zins?

Man kann dazu die Fachliteratur konsultieren. Man kann aber auch dem Volk auf's Maul schauen, was gewöhnlich unterhaltsamer ist. Es gibt da ein Lied aus dem 19. Jahrhundert, in dem das Zusammentreffen zweier Logistikfachleute beschrieben wird. Ein Fuhrmann will einen Fluss überwinden. Eine Brücke steht nicht zur Verfügung. Der Fährmann, der das Übersetzen gewöhnlich besorgt, fordert seinen Preis. Man kennt das: Ein kleines Auto kostet weniger, ein Laster mehr, Fahrradfahrer und Wanderer reisen besonders günstig. Das hier anstehende Pferdefuhrwerk will der Fährmann aber nicht zu einem Festpreis übersetzen. Er fordert statt dessen einen Anteil vom transportierten Gut. Als man das andere Ufer erreicht hatte, öffnete der Fuhrmann die Kisten und - es war nur Luft drin. Ob es die sprichwörtliche heiße Luft war, ist nicht überliefert. Vor dem Hintergrund aktueller Krisen ist die Sache in metaphorischer Hinsicht schon aufgeladen genug.

Der Fährmann forderte also, nüchtern betrachtet, nicht etwa einen Preis für seine Leistung bzw. seinen tatsächlichen Aufwand. Statt dessen schielte er auf die mutmaßlich wertvolle Ladung, nutzte seine Monopolstellung aus und forderte einen ökonomisch unbegründeten Phantasiepreis. Anders als im richtigen Leben ging es dann schief. Selbstverständlich. Sonst wäre es kein Lied geworden.

Geld arbeitet nicht. Menschen arbeiten.

Leiht man Geld, bezieht sich der Preis dafür nicht auf die Leistung, die damit verbunden ist. Statt dessen bezieht sich der Preis auf die Menge des Geldes. Es macht hinsichtlich des Aufwandes praktisch keinen Unterschied, ob eine Bank 1000 Euro oder 2000 Euro zur Verfügung stellt. Da kann man fragen, warum die 2000 Euro teurer sein sollen. Das Porto für einen Brief richtet sich auch nicht nach seinem Inhalt sondern nach dem Beförderungsaufwand.

Zinstheorien versuchen, die Frage zu beantworten, warum es bei Geld anders ist. Darunter sind einige, die sich im Kern auf eine besonders interessante Sicht der Dinge zurückführen lassen: die Opportunitätsthese. Danach geht es um folgendes: Der Gläubiger könnte mit dem verliehenen Geld selbst etwas unternehmen und Gewinne aus diesen Aktivitäten ziehen. Überläßt er das Geld statt dessen einem anderen, entgeht ihm dieser Gewinn. Dafür lässt er sich zum Ausgleich den Zins zahlen und der Konjunktiv wird zur Grundlage des Finanzwesens (Steinbrück: "hätte hätte, Fahrradkette").

Angenommen, es sei so. Dann ginge es also um Ersatz für nicht erwirtschafteten Gewinn unbekannter Höhe aus nicht getätigten Geschäften. Das ist ziemlich dünn. Da sollten bei der Festsetzung des Zinses doch auch Profitrate und Effektivitätskennzahlen der entgangenen Geschäfte Eingang finden. Davon hört man jedoch wenig. Statt dessen sind Verhandlungen über die Höhe des Zinses, also über die Vorstellungen der Beteiligten über die Zukunft der Geschäfte des Schuldners, oft auf die Frage reduziert, ob der Schuldner die Forderung der Bank akzeptiert oder nicht. Die Bank zieht ihre Ansichten jedoch weniger aus der Kenntnis der Geschäfte ihres Schuldners. Viel mehr bestimmen die Vorgaben der Zentralbanken, was läuft. Diese orientieren sich an politischen Erwägungen und ihren ganz eigenen Zukunftsvisionen. Die Zentralbanken legen fest. Die anderen folgen. Man schaut dann nur noch, wer die Vorstellung über die Zukunft teilt und sich verschulden mag. Der eine bekommt Kredit, die anderen eben nicht. Dies wird ausführlich auch in einer Satire in "South Park" behandelt, in der man "Das Diagramm" befragt und die Aktivitäten drumherum mit vielen religiösen Anspielungen versieht [1].

Zinsen wofür? Geld nutzt nicht ab.

Wollte man das angedeutete Opportunitätskonzept paraphrasieren, könnte folgendes dabei herauskommen: Man stellt sich den Zins als den entgangenen Vorteil vor, den der Kreditgeber haben könnte, wenn er selbst in der Weise wirtschaftlich tätig würde wie etwa der Schuldner. Nur kann die Bank gewöhnlich genau das nicht, weil sie eben eine Bank ist und kein Schraubenfabrikant oder eine Bootswerft. Ihre Verkäufer können gewöhnlich auch keine Autos reparieren, egal wieviel man ihnen zahlt. Es scheint nicht besonders stichhaltig, in einer arbeitsteilig organisierten Welt ein solches Argument als Erklärung eines wirtschaftlichen Vorteils zu bemühen.

Um die Opportunitätsbegründung etwas zuzuspitzen (auch wenn es nicht dieselbe Sache ist) könnte man gedanklich ein wenig durch die Geschäfte in der Nachbarschaft ziehen, vielleicht durch die Straße mit den drei Bäckereien aus dem Beispiel neulich, und den Inhabern dabei glaubhaft erklären, man verfüge über etwas Geld und könne ein Geschäft gleich dem ihren eröffnen. Damit würde man den Bäckern mindestens einen Teil der Kundschaft abspenstig machen. Man sei aber bereit, gegen Zahlung eines gewissen Entgelts als Ersatz für den entgangenen wirtschaftlichen Vorteil davon Abstand zu nehmen. Selbstverständlich macht man sich damit kaum Freunde und auch vor Gericht dürfte der Verweis auf gängige Opportunitätsüberlegungen in diesem Kontext nicht viel Eindruck machen.

Der Verweis auf den entgangenen wirtschaftlichen Vorteil ist auch deshalb nicht stichhaltig, weil dieser gar nicht sicher ist. Bei einer Unternehmung kann man Geld verdienen oder verlieren. Nicht nur, dass die Bank keine Brötchen backen kann; es ist auch nicht sicher, ob sie dabei Gewinn machen würde, wenn sie es denn könnte. Die Bank fordert und erhält die Zinsen jedoch unabhängig vom Erfolg des Schuldners.

"Einem andern durch Darlehen auf Zinsen helfen wollen, ist dasselbe wie Feuer in Öl löschen." Gregor von Nyssa (ca. 335–395)

In der Antike, im Mittelalter und in der Neuzeit gab es immer wieder Phasen und Orte, in denen Zinsen verboten waren. Auch Aristoteles lehnte Zinsen ab. Wo sie erlaubt waren, gab es zuweilen auch Obergrenzen und andere Regelungen. Die Verbote wurden verschieden streng gehandhabt, kamen und gingen. Auch Vorschriften verschiedener Religionen nehmen dazu Stellung. In der Bibel werden Zinsen mehrfach abgelehnt. Im islamischen Bankwesen arbeitet man ohne Zinsen. Dabei geht man so vor: Statt einem Kunden gegen Zinsen einen Kredit zu gewähren, tritt die Bank an die Stelle des Käufers und erwirbt das betreffende Gut. Dann verkauft sie es zu einem höheren Preis an ihren Kunden. Dieser zahlt den Preis dann in Raten ab. [2]

Zinsdienst: über den Daumen gepeilt

Es sind doch nur 3 Prozent oder fünf oder zwei. Wozu dann die Mühe, sich damit zu befassen? Schaut man auf ganz gewöhnliche Kreditgeschäfte, wie sie etwa beim Kauf eines Hauses auftreten, so wird schnell klar, dass das Wörtchen "nur" nicht recht angemessen erscheint. Hat jemand sein Eigenheim nach vielen Jahren endlich bezahlt, wird oft festzustellen sein, dass er insgesamt das Doppelte des Kaufpreises aufgebracht hat - oder etwas mehr oder etwas weniger. Aus den wenigen Prozenten wurden über die langen Laufzeiten erhebliche Summen. Aber das ist die Entscheidung eines Einzelnen. Er hätte es auch lassen können.

Einen Eindruck vom Umfang der gesellschaftlichen Belastung durch Zinsen gewinnt man bei einem Blick auf die öffentlichen Haushalte. Der Bundeshaushalt nennt für 2010 einen Zinsdienst in der Größenordnung von ca. 10 Prozent am gesamten Etat [3]. Bei etwa 40 Millionen Erwerbstätigen in Deutschland im Jahr 2010 [4] wurden also die Leistungen von rund 4 Millionen erwebstätigen Menschen an den Bund nur für den Zinsdienst verwendet. Unterstellt, dass es sich bei den Haushalten der Länder und Kommunen ähnlich verhält und ein Bürger mehr als die Hälfte des Jahres [5] für Steuern und Abgaben arbeitet, darf man rechnerisch wohl von weit mehr als einer Million Menschen im Land ausgehen, die ausschließlich für den Zinsdienst der öffentlichen Haushalte arbeiten.

Dabei ist es sicher von untergeordneter Bedeutung, ob es sich dabei um 1,3 oder 3,1 Millionen Menschen handelt. Schon die Größenordnung kann irritieren. Betrachtet man noch alle privaten Zinsverpflichtungen (Haushalte, Unternehmen), so kann man erahnen, welchen Stellenwert der Zinsdienst in der Gesellschaft hat. Ein erheblicher Zinsanteil steckt dadurch letztlich in jedem Warenpreis. - Schön für die Banken. Ein volkswirtschaftlicher Nutzen des Konzepts "Zins" ist darin aber nicht zu erkennen. Und alles wegen des Konjunktivs aus der Opportunitätsthese: "hätte, hätte, Fahrradkette"…?


  1. South Park, Margaritaville, 3. Episode (184.) der 13. Staffel, 25.3.2009
  2. vergl. KT Bank, kt-bank.de
  3. http://bund.offenerhaushalt.de/
  4. Statistisches Bundesamt Deutschland über http://www.destatis.de
  5. Bund der Steuerzahler, http://www.steuerzahler.de  ↩