Interview mit dem Extremismusforscher Armin Pfahl-Traughber über das zweite gescheiterte Verbotsverfahren gegen die NPD

"… wohl keine weiteren Anträge zu einem Verbot verfassungsfeindlicher Parteien"

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Die Bundesgeschäftsstelle der NPD in Berlin-Köpenick mit Spuren von Farbbeuteln
Die Bundesgeschäftsstelle der NPD in Berlin-Köpenick mit Spuren von Farbbeuteln

Am Dienstag, den 17. Januar 2017 verkündete der Zweite Senat des Bundesverfassungsgericht sein Urteil im NPD-Verbotsverfahren: Darin wurde der Antrag des Bundesrates auf ein Verbot der rechtsextremistischen Partei abgelehnt. Über die Gründe dafür und die möglichen Folgen sprach der Humanistische Pressedienst mit dem Extremismusforscher und Politikwissenschaftler Armin Pfahl-Traughber, der als Professor an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in Brühl lehrt und dort das "Jahrbuch für Extremismus- und Terrorismusforschung" herausgibt.

hpd: Ist die Entscheidung für ein Nicht-Verbot der NPD nicht auch ein Sieg für die Partei, kann sie hier zurecht feiern?

Rein formal betrachtet hat die NPD tatsächlich gewonnen. Denn die Antragssteller wollten sie verbieten, während die Partei selbst existent bleiben wollte. Gleichwohl kann man bei der Angelegenheit nicht so eindeutig von einem Sieg oder einer Niederlage wie bei einem Fußballspiel sprechen. Denn von der Sache her hat das Gericht sehr wohl der Bundesratsinitiative zugestimmt. Die Richter erklärten deutlich, dass die NPD verfassungsfeindliche Ziele habe. Es heißt im Urteil: Die NPD "missachtet die Grundprinzipien, die für den freiheitlichen demokratischen Verfassungsstaat unverzichtbar sind, ihre Ziele und das Verhalten ihrer Anhänger verstoßen gegen die Menschenwürde und den Kern des Demokratieprinzips und weisen Elemente der Wesensverwandtschaft mit dem historischen Nationalsozialismus auf."

Aber nach einer solchen Einschätzung hätte die Partei doch verboten werden müssen, denn genau das ist doch nach dem Grundgesetz das Kriterium für ein Parteienverbot, oder?

Ja, genau. Die Richter haben in ihrer Urteilsfindung aber noch ein anderes Kriterium einbezogen, was tatsächlich als Novum anzusehen ist: die gesellschaftspolitische Relevanz. Dazu heißt es: Es fehle der Partei an "konkreten Anhaltspunkten von Gewicht, die es möglich erscheinen lassen, dass ihr Handeln zum Erfolg führt." Also kurz: Die NPD ist zwar verfassungsfeindlich, aber bedeutungslos. Betrachtet man solche Faktoren wie die Mitgliederzahlen und Wahlergebnisse, dann kann dieser Einschätzung durchaus zugestimmt werden: Ihr gehören weniger als 6.000 Personen an, sie ist nicht im Bundestag- und mittlerweile auch nicht mehr in den Landtagen vertreten. Im Europaparlament verfügt sie über einen Sitz und in Kommunalparlamenten über 340 Mandate von bundesweit über 230.000. Berücksichtigt man noch die finanzielle Lage und die politische Isolation der Partei, so kann tatsächlich nicht davon gesprochen werden, dass sie einen politischen Machtfaktor zur Überwindung des demokratischen Verfassungsstaates darstellt.

Armin Pfahl-Traughber, Foto: © Evelin Frerk
Armin Pfahl-Traughber, Foto: © Evelin Frerk

Aber noch einmal zurück zu der Benennung des von Ihnen als "neues Kriterium" bezeichneten Gesichtspunktes "gesellschaftspolitische Relevanz". Wie kamen die Richter da drauf?

Man kann schlecht in deren Köpfe hineinschauen. Aber möglicherweise hat folgendes denkbare Szenario für sie auch eine Rolle gespielt: Das Bundesverfassungsgericht hätte nach bisheriger Rechtssprechung die NPD aufgrund ihrer Verfassungsfeindlichkeit verbieten können. Die Partei hätte dann aber vor dem Europäischen Gerichtshof gegen dieses Urteil geklagt. Während für das Bundesverfassungsgericht die gesellschaftspolitische Relevanz bislang kein Kriterium war, hat diese dort für ein Parteienverbot einen hohen Stellenwert. Wohlmöglich wäre das Verbot dort gekippt worden. Und eine solche Entscheidung hätte dann eine für eine viel höhere politische Blamage gestanden. Aber das sind natürlich Spekulationen ...

Aber ist das Endergebnis nicht trotzdem problematisch: Man kann eindeutig verfassungsfeindliche Parteien nicht verbieten, wenn sie gesellschaftspolitisch zu wenig relevant sind?

Ja, denn dann stellt sich die Frage, ab wann man denn verbieten kann. Rein theoretisch ist vorstellbar, dass wenn die NPD in mehrere Landtage einziehen sollte und ihre Mitgliederzahl über 20.000 geht, ein erneuter Verbotsantrag mit einem erfolgreichen Ende gestellt wird. Aber was wären dafür die genauen Kriterien? Und wenn wir schon bei Zukunftsszenarien sind: Was wäre, wenn eine eindeutig verfassungsfeindliche Partei im Bundestag sitzt und im Durchschnitt um die 10 bis 15 Prozent der Stimmen bekommt. Lässt sich dann überhaupt noch ein Verbotsverfahren umsetzen? Es würde einerseits bedeuten, dass man über zehn Prozent der Wahlentscheidungen "verbietet" und andererseits, dass der Vorwurf der Beseitigung eines Wahlkonkurrenten erhoben werden würde.

Das Gericht hat im Urteil ja indirekt auch Schritte gegen die NPD unterhalb der Verbotsschwelle angeregt, wie zum Beispiel die finanzielle Beschneidung durch den Staat.

Das ist eine beachtenswerte, aber nicht unproblematische Idee. Dazu muss man vorab zunächst einmal sagen, dass die NPD ohne staatliche Zuwendung wohl schon längst pleite gegangen wäre. Insofern hätte ein solches Zudrehen des Geldhahns relevante Auswirkungen für die Partei. 2015 hatte sie Anspruch auf über eine Million Euro aus der staatlichen Parteienfinanzierung. Eine entsprechende Änderung der Verfassung ist durch eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat möglich. Diese dürfte aktuell durchaus bestehen. Problematisch ist dabei aber, dass dann einige Parteien einen anderen Status als andere Parteien hätten. Es könnte eine "Zweiklassengesellschaft von Parteien" entstehen, was als fehlende Chancengleichheit in einer Demokratie eben ein Problem darstellt. Auch ein solches Vorgehen ist demnach nicht so einfach und widerspruchsfrei wie gedacht.

Was bedeutet das Urteil denn nun für die Zukunft der NPD? Nach dem Scheitern des ersten Verbotsantrags zog sie in die Landtage von Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern ein.

Der damalige Erfolg erklärt sich nicht durch das Scheitern beim Verbotsverfahren. Auch die DVU konnte 2004 einen Erfolg in Brandenburg verbuchen. Dafür spielten andere Gründe eine Rolle wie etwas der Unmut über sozialpolitische Entwicklungen. Außerdem besteht für die NPD heute eine andere politische Rahmenbedingung. Die allgemeine "Rechtsentwicklung" nicht nur in Europa kommt der Partei eigentlich entgegen. Aber mit der AfD besteht ein Konkurrent, der erfolgreicher Mitglieder und Wähler für sich mobilisieren kann. Um gegenüber der sich gemäßigt gebender Partei die eigene Existenz zu legitimieren, dürfte sich die NPD noch mehr radikalisieren. Für diese Entwicklung hat sie natürlich auch durch das gescheiterte Verbotsverfahren einen Persilschein bekommen. Ohne Rücksicht auf die Gefahr eines neuen Antrags kann sie ihre Positionen noch verschärfen.

Demnach besteht weiterhin ein Gefahrenpotential durch die NPD, obwohl sie gesellschaftspolitisch wenig relevant ist?

Ja, die eine Einschätzung schließt die andere Einschätzung nicht aus. Es gibt verschiedene Ebenen für extremistische Phänomene. Die NPD ist gegenwärtig durch ihre geringe gesamtgesellschaftliche politische Relevanz nicht in der Lage, die Existenz eines demokratischen Verfassungsstaates zu gefährden. Erfolge von über 50 Prozent bei Wahlen sind ebenso unrealistisch wie eine bevorstehende "nationale Revolution". Gefahrenpotentiale bestehen auf einer niedrigeren Ebene: Gelegentlich ist es der NPD gelungen, bei flüchtlingsfeindlichen Demonstrationen mit "Normalbürgern" zu kooperieren, wodurch eben auch die Abgrenzung zu diesen eindeutigen Rechtsextremisten schwindet. Darüber hinaus gibt es eine aktive Zusammenarbeit mit dem neonazistischen Spektrum. Hierdurch können direkt oder indirekt Gewaltpotentiale mit gefördert werden.

Und was bedeutet die Entscheidung für die anderen rechtsextremistischen Kleinparteien wie "Der III. Weg" oder "Die Rechte", die ja neonazistische dominiert sind?

Diese Parteien können sich in den nächsten Jahren wohl erst einmal vor einem Verbot sicher fühlen. Dabei muss man aber auch differenzieren: Die Partei "Die Rechte" gibt sich programmatisch gemäßigt, "Der III. Weg" bekennt sich offener zu einer pro-nazistischen Ideologie. Aber Ihre Einschätzung, wonach diese neonazistisch dominiert sind, ist mit dem Blick auf das Personenpotential natürlich richtig. Es würde hier auf einer anderen Handlungsebene einige Möglichkeiten geben. Bereits früher kam es zu einem Verbot von neonazistischen Parteien wie der "Freiheitlichen Arbeiterpartei Deutschlands" (FAP), wobei ihr aber zuvor der Parteienstatus abgesprochen und sie als Verein verboten wurde. Das ist dann möglich, wenn eine solche Partei längere Zeit nicht an Wahlen teilnimmt. Bei "Der III. Weg", der zuletzt 2016 bei den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz 2016 kandidierte, wäre das aber erst nach sechs Jahren, also frühestens 2012, möglich.

Das sind dann aber in der Bilanz auch schlechte Aussichten für Verbotsverfahren gegen rechtsextremistische Parteien, oder?

Ja, dadurch, dass das Bundesverfassungsgericht das Kriterium der "gesellschaftspolitischen Relevanz" für einen Verbotsbeschluss hinzugenommen hat, dürfte es in den nächsten Jahren wohl keine weiteren Anträge zu einem Verbot von verfassungsfeindlichen Parteien geben. Aber in diesem Kontext soll auch noch darauf hingewiesen werden, dass hier wieder nur bezogen auf die Verbotsfrage diskutiert wird. Es ist gut, dass man auch in einer Demokratie eine derartige Möglichkeit gegen die Feinde der Demokratie hat. Gleichwohl haben auch Extremisten in einer Demokratie politische Grundrechte. Insofern ist ein häufiges Schielen auf die Verbotspraxis nicht unproblematisch. Grundsätzlich gilt: Das Aufkommen derartiger Bestrebungen erklärt sich gesellschaftlich, es sollte auch gesellschaftlich bekämpft werden. Gegenwärtig besteht die "Gefahr von rechts" auch mehr in der AfD und weniger in der NPD. Denn die Erstgenannte ist sehr wohl gesellschaftspolitisch relevant.