Neuere Forschungsergebnisse

Drei Sammelbände zum Antisemitismus

BONN. (hpd) Antisemitismus ist auch in Deutschland immer noch virulent. Daher erscheinen auch regelmäßig neuere Forschungsergebnisse wie in den folgenden drei Sammelbänden zum Thema.

Antisemitismus in Deutschland gibt es auch noch in der Gegenwart, es gab ihn nicht nur in der Vergangenheit. Dies bezeugen Analysen der empirischen Sozialforschung zu Einstellungspotentialen in der Bevölkerung ebenso wie regelmäßige Skandale über Äußerungen von Prominenten, Agitationen von rechtsextremistischen Bewegungen und Parteien ebenso wie Schmähbriefe von Menschen aus der "Mitte" an jüdische Einrichtungen. Demgemäss setzt sich auch die Forschung mit unterschiedlichen Methoden und Perspektiven mit der aktuellen wie mit der früheren Judenfeindschaft auseinander. Eine bedeutende Rolle spielt dabei das Zentrum der Antisemitismusforschung an der TU Berlin, wobei es sich in dieser Form um ein einmaliges Projekt handelt. Darüber hinaus beschäftigen sich viele Historiker und Sozialwissenschaftler unabhängig von einer institutionellen Einbindung mit den unterschiedlichsten Fragestellungen zum Antisemitismus. Dies dokumentieren regelmäßig einschlägige Sammelbände wie die drei folgenden Werke:

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Das vom Fritz Bauer Institut herausgegebene "Jahrbuch zu Geschichte und Wirkung des Holocaust" erschien etwa zum Schwerpunktthema "Antisemitismus und andere Feindseligkeiten. Interaktionen von Ressentiments". Darin finden sich acht Beiträge, welche dem Kontext von Judenfeindschaft und Vorurteilen gegen andere Minderheiten nachgehen: Es geht dabei um die Schriften eines Mönchs im 13. Jahrhundert (Johannes Heil) und die Juden- und Türkenfeindlichkeit Martin Luthers (Thomas Kaufmann), um Feindbildkomplexe in der Kulturkampfzeit (Olaf Blaschke) und die Entwicklung des Antisemitismus in Litauen bis 1944 (Christoph Dieckmann), den aktuellen französischen Antisemitismus (Andrew Husey) und die Debatte um Juden- und Muslimenfeindlichkeit (Yasemin Shooman), die Interaktionen von Antisemitismus und Rassismus (Monique Eckmann) und die Homogenität aktueller Verbal-Antisemitismen (Monika Schwarz-Friesel). Alle Beiträge stammen von guten Kennern der Materie, welche die Kontexte zu anderen Vorurteilen thematisieren.

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Dass bereits seit Ende des 18. Jahrhunderts herausragende Beiträge zur Erklärung des Antisemitismus entwickelt wurden, macht der von Birgit Erdle und Werner Konizter ebenfalls im Auftrag des Fritz Bauer-Instituts herausgegebene Band "Theorien über Judenhass – eine Denkgeschichte. Kommentierte Quelleneditionen (1881–1931)" deutlich. Er enthält Beiträge von und Kommentare zu elf Intellektuellen, die den bedeutenden Schritt hin zur Analyse des Antisemitismus über die Widerlegung von dessen Behauptungen hinaus gemacht haben: Es geht um Christian Wilhelm Dohm, Saul Ascher, David Friedländer, Heinrich Heine, Karl Marx, Constantin Bruner, Max Wiener, Oskar Baum, Arnold Zweig und Felix Weltsch. Dabei wird der heute kaum noch bekannte Ascher als Vordenker der modernen Antisemitismusforschung gewürdigt. Und Heinrich Heine war nicht nur ein literarischer Gesellschaftskritiker, sondern gleichzeitig ein kluger Analytiker der Judenfeindschaft seiner Zeit. Insofern enthält der Band auch für die heutige Forschung noch wichtige Anregungen.

Und schließlich beschäftigt sich der von Reiner Diederich und Peter Menne herausgegebene Sammelband "Der Müll, die Stadt und de Skandal. Fassbinder und der Antisemitismus heute" mit der Auseinandersetzung um das Theaterstück "Der Müll, die Stadt und der Tod" von Rainer Werner Fassbinder. Diesem wurde seinerzeit Antisemitismus vorgeworfen, es kam zu einer Besetzung des Theaters durch Angehörige der jüdischen Gemeinde. Die meisten Beiträge gehen dezidiert auf die Auseinandersetzung von 1985, also vor 30 Jahren, ein: Nach einem Bericht über ein Gespräch mit Michel Friedman zum Thema gibt es von den Herausgebern jeweils Beiträge zu den unterschiedlichsten Aspekten. Menne fragt etwa, handelte es sich um ein antisemitisches Stück oder um ein Stück über Antisemitismus? Und Diederich rekonstruiert ausführlich die seinerzeitige Debatte. Birgit Seemann problematisiert, dass Fassbinder hier "mit dem Feuer" gespielt habe. Als Kosens gilt, dass der berühmte Regisseur kein Antisemit war, aber sein Stück antisemitisch verstanden werden konnte.

Katharina Rauschenberger/Werner Konitzer (Hrsg.), Antisemitismus und andere Feindseligkeiten. Interaktionen von Ressentiments, Frankfurt/M. 2015 (Campus-Verlag), 197 S.
Birgit Erdle/Werner Konitzer (Hrsg.), Theorien über Judenhass – eine Denkgeschichte. Kommentierte Quellenedition (1781–1931), Frankfurt/M. 2015 (Campus-Verlag), 361 S.
Reiner Diederich/Peter Menne (Hrsg.), Der Müll, die Stadt und der Skandal. Fassbinder und der Antisemitismus heute, Frankfurt/M. 2015 (Nomen-Verlag), 168 S.