Rezension

"Integriert Euch Eurerseits in das Einwanderungsland…" – ein Plädoyer

BONN. (hpd) Die Soziologin Annette Treibel liefert mit ihrem Buch “Integriert Euch! Plädoyer für ein selbstbewusste Einwanderungsland” eine andere Perspektive auf die “neuen Deutschen” und ihre bereits erfolgte Integration. Mit leichter Hand vermittelt die Autorin anschaulich positive Entwicklungen in der Gesellschaft, die häufig genug nicht genügend zur Kenntnis genommen werden, wobei sie mit anderer Einseitigkeit aber allzu sehr die Lichtseiten hervorhebt und die Schattenseiten ignoriert.

Wie wird Deutschland im Jahr 2035 aussehen? Wird es abgeschottet, altdeutsch und patriarchalisch oder wird es alt- und neudeutsch, konfliktfreudig und offen sein? Mit diesen Fragen und den dazugehörigen Szenarien beginnt das Buch “Integriert Euch! Plädoyer für ein selbstbewusstes Einwanderungsland”, das die Soziologin Annette Treibel vorgelegt hat.

Die Professorin für Soziologie am Institut für Transdisziplinäre Sozialwissenschaft der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe will darin einen Gegenentwurf zu Thilo Sarrazins Bestseller “Deutschland schafft sich ab” mit dem Motto “Deutschland findet sich neu” präsentieren. Der Titel irritiert dabei, denn er klingt eher nach einem Sarrazin-Anhänger. Treibel dreht dessen Bedeutung aber in eine andere Richtung und meint damit bezogen auf die “Alten Deutschen” als Leitmotiv: “Integriert Euch Eurerseits in das Einwanderungsland, zu dem Deutschland geworden ist!” (S. 151). Sie möchte mit ihrem soziologischen Essay dazu gegenüber der breiteren Öffentlichkeit gangbare Wege aufzeigen.

Dies geschieht durch ein Anknüpfen an Alltagssituationen, Forschungsdebatten und Mediendiskurse, womit ein anderer Blick auf Integration und Migration geworfen werden soll. Gleich am Beginn steht die Alltagswahrnehmung, die mit der Frage “Wo kommen Sie denn her?” verbunden ist. Die Antwort kann, wie ein bekannten Cartoon bei einem Schwarzen, tatsächlich ja “Dortmund” lauten. Treibel greift derartige Erfahrungen, die auch in der Feststellung “Sie sprechen aber gut Deutsch!” bestehen können, auf, um die Einstellung der “alten Deutschen” zu den “neuen Deutschen” zu erörtern. Diese Begriffsdefinition nimmt sie dann anschließend vor, um einen Abschied von den Formulierungen “Ausländer” und “Menschen mit Migrationshintergrund” zu begründen. Danach geht es ihr um die Definition von Integration, wobei es sich nicht um Wortspielereien handelt. Ob von “Integration als Gesellschaft” oder “Integration in die Gesellschaft” die Rede ist, hat Folgewirkungen für die Identität und das Selbstverständnis einer ganzen Gesellschaft.

Danach behandelt sie noch ganz unterschiedliche Aspekte: Dabei geht es Treibel in einem Kapitel auch um die Frage, wie problematisch es ist, wenn “neue Deutsche” in der Fußball-Nationalmannschaft nicht die Hymne singen. Es gibt auch ein interessantes Kapitel zur Frage “Gewalt gegen Integration”, wo die Autorin einen ebenso erkenntnisreichen wie gewagten Vergleich von IS und NSU vornimmt. Breiter auf das eigentliche Thema gehen danach die Ausführungen zu den integrierten “neuen Deutschen” ein, würden doch deren Entwicklung und Leistungen kaum zur Kenntnis genommen: “Filialleiterinnen im Einzelhandel mit marokkanischen Wurzeln, türkeistämmige Kommissare, Abteilungsleiter mit polnischem Migrationshintergrund, iranische Chefärztinnen – Aufstiegsprozesse von Neuen Deutschen werden in der Öffentlichkeit kaum verhandelt. Und wenn doch, dann werden sie als ungewöhnlich und unwahrscheinlich charakterisiert, als ‘Ausnahmeemigranten’” (S. 122). Ähnliches gelte für die Bildungsaufsteiger aus der zweiten und dritten Generation.

All diese Entwicklungen beschreibt und kommentiert Treibel – für eine deutsche Soziologin eher ungewöhnlich – mit leichter Hand. Ganz nebenbei bekommt man dadurch einen Eindruck von den sozialwissenschaftlichen Forschungsergebnissen zu Integration und Migration. Auch ist die von ihr gewählte Perspektive interessant, denn die behandelten Fragen und Herausforderungen gehen eben nicht nur die “neuen Deutschen” bzw. “Menschen mit Migratinshintergrund” an. Denn die Einstellung zu ihnen spiegelt auch immer das Selbstverständnis der Mehrheitsgesellschaft wider. In der Gesamtschau handelt es sich demnach um eine gut lesbare Alternative zu Büchern wie denen von Sarrazin. Gleichwohl neigt die Autorin zu einer anderen Einseitigkeit. Während der Autor von “Deutschland schafft sich ab” nur die Schattenseiten einer Integrationsgesellschaft sah, betont Treibel all zu sehr nur die Lichtseiten. Beide Auffassungen liefern aber so kein ganzheitliches und realistisches Bild für die schwierigen Wege hin zu einer von Gleichrangigkeit geprägten Integration.

Annette Treibel, Integriert Euch! Plädoyer für ein selbstbewusstes Einwanderungsland, Frankfurt/M. 2015 (Campus-Verlag), 208 S., ISB 978–3593504612, 19,90 Euro