Dieter Nuhr, die Satire und die Religion

BERLIN. (hpd) “Wenn einer bei uns einen guten politischen Witz macht, dann sitzt halb Deutschland auf dem Sofa und nimmt übel.” Dieser Satz, den Kurt Tucholsky 1919 in “Was darf die Satire?” schrieb, gilt heute noch immer. Die Diskussion über den Satiriker Dieter Nuhr beweist es.

Nuhr, der irgendwo zwischen Comedian und Kabarettist einzuordnen ist, hat häufig genug die christlichen Kirchen und den Glauben durch den satirischen Kakao gezogen. Beifall war ihm dabei fast immer sicher. Es gehört allerdings auch nicht viel dazu, die Widersprüche jeder Religion satirisch zu überspitzen; das ist in allen Religionen angelegt.

Nun sind allerdings Satiriker oft gekränkte Idealisten, “er will die Welt gut haben, sie ist schlecht, und nun rennt er gegen das Schlechte an” schrieb Tucholsky. Dieter Nuhr also möchte gegen das Schlechte, das sich aus der islamischen Glaubenslehre entnehmen lässt, anrennen. Dabei traf er auf den Widerstand eines, der sich “in seinen religiösen Gefühlen” verletzt sah und auf dem Sofa sitzend ihn einen “Hassprediger” nannte.

Tucholskys Text ist fast einhundert Jahre alt und liest sich doch wie ein Drehbuch zur heutigen Situation: “Vor allem macht der Deutsche einen Fehler: Er verwechselt das Dargestellte mit dem Darstellenden.”

Wenn Dieter Nuhr also aus dem Koran zitiert: “Hand ab bei Diebstahl” und das mit “das hat ja was für sich. Da klaut einer zweimal, aber beim dritten Mal wird’s schwierig” kommentiert, dann wird vom Anzeigenden so getan, als hätte der Satiriker hier den Koran beleidigt. Wohlgemerkt: Er hat aus ihm zitiert! Dass er diesen Satz dann noch überspitzt, ist eben genau das, was Satire macht. Denn “die Satire muß übertrieben und ist in ihrem tiefsten Wesen nach ungerecht. Sie bläst die Wahrheit auf, damit sie deutlicher wird …”

Das Feuilleton der FAZ verdeutlicht: “Witze sind weder Hasspredigten noch Handlungsaufforderungen, weder Parteiprogramme noch wissenschaftliche Abhandlungen.” Sie sind die überspitzte Darstellung von kritisierbaren Zuständen einer Gesellschaft. Doch “nun sitzt zutiefst im Deutschen die leidige Angewohnheit, nicht in Individuen, sondern in Ständen, in Kooperationen zu denken und aufzutreten, und wehe, wenn du einer dieser zu nahe trittst.” Das zu lesen und dann zu erfahren, dass der Kläger, Erhat Toka, vor drei Jahren erfolglos für die Muslimisch Demokratische Union (MDU), deren Vorstandsmitglied er ist, bei der Kommunalwahl kandidierte und auch als “stadtbekannter Muslim-Aktivist” bezeichnet wird, wundert dann irgendwie nicht.

Diesem ganzen Schmierentheater könnte die Grundlage entzogen werden, wenn der sog. Blasphemie-Paragraph (§ 166 Strafgesetzbuch) ersatzlos gestrichen würde. Heribert Prantl fordert in der Süddeutschen: “Jegliches Religionsstrafrecht muss abgeschafft werden. Jegliche Kritik, jeglicher Spott darf sein - Grenze ist die Volksverhetzung.”

“Die echte Satire ist blutreinigend” schrieb Tucholsky, “und wer gesundes Blut hat, der hat auch einen reinen Teint.
Was darf Satire?
Alles.”

 

 

 

 


Die kursiv gesetzten Zitate sind der Tucholsky-Gesamtausgabe, Verlag Volk und Welt, 1983, S. 390 ff. entnommen.