Plädoyer für eine artgerechte Menschenhaltung

(hpd) Der Biowissenschaftler und Evolutionstheoretiker Franz M. Wuketits macht auf die negativen Folgen einer gesellschaftlichen Entwicklung gegen die natürlichen Prägungen der Menschen aufmerksam. Erneut ist dem Autor eine anschauliche und Erkenntnisfördernde Darstellung für ein größeres Lesepublikum zu aktuellen gesellschaftlichen Problemen gelungen.

Immer wieder berichten die Medien über den Anstieg von „Zivilisationskrankheiten“. Mit diesem etwas diffusen Begriff bezeichnet man gesundheitliche Probleme, die auf Entwicklungen in der modernen Gesellschaft zurückzuführen sind. Die Stichworte „burn out“ und Stress mögen hier zur Illustration genügen. Womit hängt aber nun das damit einhergehende Phänomen zusammen? Auf diese Frage geben meist Mediziner und Sozialwissenschaftler ihre Antworten. Mit Franz M. Wuketits beteiligt sich an der Debatte jetzt auch ein Biowissenschaftler und Evolutionsforscher. In seinem Buch „Zivilisation in der Sackgasse. Plädoyer für eine artgerechte Menschenhaltung“ macht er bereits zu Beginn auf einen diesbezüglich besonderen Gesichtspunkt aufmerksam: „Die Evolutionsgeschichte des Menschen umfasst einen Zeitraum von rund fünf Jahrmillionen, für die Entwicklung der technischen Zivilisation im heutigen Sinn reichte praktisch ein Jahrhundert“ (S. 9f.). Dabei fand die Anpassungsfähigkeit des Menschen seine Grenzen.

Denn: Es gebe einen „fundamentalen Widerspruch zwischen dem ..., was der Mensch seiner eigenen Natur zufolge ist und was die heutige Zivilisation von ihm verlangt“ (S. 10). Um dies zu verdeutlichen skizziert Wuketits zunächst noch einmal die evolutionäre Entwicklung des Menschen und beschreibt ihn dabei als gebornes Kleingruppenwesen. Angesichts der damit einhergehenden biologischen Prägung gerät der Mensch für den Autor in Konflikt mit den gesellschaftlichen Prägungen der Moderne. Die Zivilisation habe „sich von den natürlichen Anlagen des Menschen als biologisches und soziales Wesen offenbar schon ziemlich weit entfernt ...“ (S. 63). Genau dies soll anhand von Alltagserlebnissen, Forschungsergebnissen oder Zitaten verdeutlicht werden. Insbesondere bei den Ausführungen zum Phänomen der Beschleunigung kommt dies zum Ausdruck. Dafür steht das Fast-Food-Essen ebenso wie der Schnellzug, welche Ausdruck eines allgemeinen Geschwindigkeitswahns seien. Wuketits plädiert demgegenüber aber nicht für eine Rückkehr in die „Steinzeit“.

Bevor darauf eingegangen wird, sei noch einmal an einem Beispiel die spezifische Deutung veranschaulicht: „Dabei war das gemeinsame Essen ein ganz wichtiger Motor unserer sozialen Evolution. Doch unsere Natur ist ... nicht zu beschwindeln. ‚Essstörungen’, heute in der westlichen Zivilisation geradezu epidemisch auftretende Krankheiten, sind die Reaktion auf eine Lebensweise, die unserer Art sowohl im biologischen als auch im sozialen Sinn nicht mehr gerecht wird“ (S. 132). Gegenüber diesen Entwicklungen plädiert der Autor für eine Änderung individueller Verhaltensweisen, welche sich eben diesen Tendenzen durch Abkehr oder Boykott entgegen stellen sollten. Wuketits bemerkt: „Es ist ... an der Zeit, uns auf die Bedürfnisse unserer eigenen Art zu besinnen und unsere Zivilisation den Bedürfnissen unserer Spezies anzupassen – und nicht umgekehrt!“ (S. 223). Ihm geht es nicht um eine Abwendung von der Zivilisation, sondern um deren Indienstnahme für ein Leben der Menschen im Einklang mit ihrer Natur. Dies meint auch die Rede von der „artgerechten Menschenhaltung“.

Erneut ist es Wuketits gelungen, ein aktuell diskutiertes gesellschaftliches Problem im Kontext der Evolutionsforschung und Soziobiologie anschaulich und erkenntniserhellend zu erörtern. Dabei spricht er durch die Art der Darstellung auch ein größeres Publikum weit über Fachkreise hinaus an. Seine fachliche Perspektive erklärt dabei mit das Fehlen von Ausführungen über das Aufkommen der beklagten gesellschaftlichen Phänomene. Zwar findet man bei Wuketits auch Ausführungen über den Beginn des Geschwindigkeitswahns. Die vorgetragenen Ausführungen zu den Ursachen bleiben aber ein wenig oberflächlich und fragen nicht nach den genauen gesellschaftlichen Bedingungsfaktoren. Das wäre aber weniger das Thema eines Biowissenschaftlers und mehr das Thema eines Sozialwissenschaftlers. Insofern ist Wuketits aufklärerischer Appell an eine Änderung des individuellen Verhaltens zwar nachvollziehbar, allein aber aufgrund seiner fehlenden politischen Ausrichtung kein ausreichendes Mittel zur Änderung.

Armin Pfahl-Traughber

Franz M. Wuketits, Zivilisation in der Sackgasse. Plädoyer für eine artgerechte Menschenhaltung, Murnau 2012 (Mankau-Verlag), 262 S., 19,95 €.