Rechte für Pflanzen

BERLIN. (hpd) - Für die Rechte von Pflanzen will Florianne Koechlin sensibilisieren. Wie Pflanzen sehen, riechen und sich erinnern, was Pflanzen wissen, diesen Fragen hat Daniel Chamovitz sein Forscherleben gewidmet. Zwei Buchveröffentlichungen sind geeignet, den Umgang mit Pflanzen für immer zu ändern.

 

Daniel Chamovitz, Leiter des Manna Center for Plant Biosciences an der Universität von Tel Aviv, ist kein Schwarmgeist, wenn er in “Was Pflanzen wissen” schreibt: “Pflanzen überwachen ständig ihre sichtbare Umgebung. Sie sehen es, wenn Sie in ihre Nähe kommen, und wissen, wann Sie sich über sie beugen. Sie wissen sogar, ob Sie ein blaues oder ein rotes Hemd anhaben. Sie nehmen wahr, ob Sie Ihr Haus frisch gestrichen oder die Blumentöpfe von der einen Seite des Zimmers auf die andere gestellt haben.”

Hat das menschliche Auge drei unterschiedliche Fotorezeptoren, so verfügt die Ackerschmalwand, ein an jedem Wegrain unauffällig weiß blühender Kreuzblütler, über elf. “Einige sagen ihr, wann sie keimen soll, andere, dass das Licht schwach ist, andere, wann sie sich zum Licht hinbiegen soll, und wieder andere, wann es Nacht ist. Manche teilen der Pflanze mit, dass gerade sehr viel Licht auf sie fällt, und wieder andere helfen der Pflanze, im zeitlichen Rhythmus zu bleiben.” Da nimmt es kaum noch wunder, dass das für die Pflanze wahrnehmbare Lichtspektrum sehr viel größer ist als für uns. Schließlich leben sie vom Licht. Doch kann man dies schon als Sehen bezeichnen?

Pflanzen registrieren nicht nur die Lichtreize, sie reagieren auf sie. Sie übersetzen visuelle Signale in physiologisch erkennbare Instruktionen. Das hat schon Darwin herausgefunden, der in seinen letzten Lebensjahren zusammen mit seinem Sohn Versuche an Kanariengras unternahm und notierte, dass die Spitze des Sämlings das Licht sieht und die Information zum mittleren Teil der Pflanze weitergeleitet wird, der sich wachsend dem Licht entgegenbiegt.

In Irapuato, in Mexiko, beobachteten Martin Heil und sein Team, dass von Insekten angefressene Limabohnenblätter eine flüchtige chemische Substanz absondern, und daraufhin die Blüten, die gar nicht von den Käfern attackiert wurden, einen Nektar abgeben, der die Käfer vertilgende Gliederfüßler anzieht. Silberweidenblätter, die unter Raupenfraß leiden, senden ein gasförmiges Signal aus, das selbst die Nachbarbäume, die in keinem Kontakt zu ihnen stehen, veranlasst, Tannin zu produzieren, das sie vor dem Raupenfraß schützt. Ob die Nachbarpflanzen die eigentlichen Adressaten der Duftbotschaft sind oder nur Nutznießer, muss offen bleiben. Bauern in Griechenland wissen dagegen ganz genau: Man kann Feigen zum Reifen bringen, indem man eine Feige aufschlitzt. Sie entlässt Duftstoffe, die auch die anderen Früchte des Baums reifen lässt. - Ein Vorteil für die Pflanze, denn viele süße Früchte auf einmal werden mehr Vögel anziehen, die die Samen weitertragen. Man kann also sagen, die Pflanze riecht, und sie kommuniziert.

Mimosen, Venusfliegenfalllen und Sonnentau reagieren umgehend auf Berührungsreize. Elektrochemische Signale werden von Zelle zu Zelle weitergeleitet ähnlich wie bei unseren Nervenzellen. Sie fühlen. Das geschieht durch eine Veränderung der Natrium- und daraufhin der Calcium-Ionen-Konzentration an den Zellwänden. Pflanzen nehmen taktile Reize wahr, die Haargurke ist dabei sogar zehnmal empfindlicher als wir.

Darwin wollte in seinem Wissensdurst auch herausfinden, ob Pflanzen hören können. Er spielte Mimosen Fagottmusik vor - konnte aber nicht feststellen, dass sie darauf reagierten. Er untersuchte weiter das Bewegungsvermögen der Pflanzen. Der Bohnenkeimling wächst in kreisenden Zickzack-, Weizen in spiralartigen Kreisbewegungen. Die Bewegung dem Licht und der Schwerkraft entgegen hielt Darwin für sich daraus entwickelnde Bewegungen. Heute verstehen wir: Es spielt beides zusammen. Wobei die Schwerkraft von der Pflanze mittels eines chemischen Stoffs, dem Myosin, registriert wird, der auch im menschlichen Innenohr, dem Ort des Gleichgewichtssinns, vorkommt.

Die Venusfliegenfalle hat ein Kurzzeitgedächtnis. Die Ackerschmalwand ein Langzeitgedächtnis. Durch wiederholtes Berühren in größeren Abständen kann man sie zur Wachstumshemmung, ja, zum Eingehen bringen. Manche Pflanzen brauchen die Winterkälte, um im Frühjahr zu blühen, und erinnern sich an sie. Durch UV-Strahlung oder Krankheiten gestresste Pflanzen entwickelten in der nächsten Generation ein größeres Gen-Variationsspektrum als zuvor. Sie gaben ihr Trauma weiter. Nicht die DNA ändert sich, aber die Information darüber, welche Teile von ihr abgerufen werden. Trotz allem, so Chamovitz, Pflanzen verfügen über ein prozedurales, aber natürlich kein episodisches Gedächtnis.

Beat Sitter-Liver, Professor für Praktische Philosophie an der Universität Freiburg in der Schweiz, plädiert in dem von Florianne Koechlin herausgegebenen Buch “Jenseits der Blattränder. Eine Annäherung an Pflanzen” in Anbetracht von so viel Eigenleben der Pflanze für umfassende Rechte von Pflanzen. Aufgrund einer gemeinsamen jahrmillionenlangen Vorgeschichte und den daraus resultierenden Gleichheiten gebühre ihnen die Achtung, niemals nur als Mittel zum Zweck oder als Sache verstanden zu werden. Sie sind als Lebewesen auf sich selbst bezogen und als Individuum fassbar. Und sie sind keine Beinahe-Tiere. “Sie existieren als Wesen, denen es in ihrem Dasein um dieses Selbst geht, denen ein eigenes Gutes zukommt.” Sie seien daher nicht beliebig verfügbar. “Pflanzen sind sinnvoll anders, und über ihre eigene Bedürfnisse hinweg durch Menschen zu nutzen ist darum moralisch nur dann vertretbar, wenn dies gestützt auf eine sorgfältige Güterabwägung geschieht – auf eine Güterabwägung, deren Ergebnis eindeutig für die Bedienung allgemein wichtiger und dringlicher menschlicher Interessen spricht, nicht hingegen für ausschließlich auf bloß wenigen zugedachten und stetsfort wachsenden materiellen Gewinn.”

Für moralisch unstatthaft hält Sitter-Liver, die Fortpflanzungsfähigkeit zu manipulieren, und selbstredend die Genmanipulation, die zu verhindern in der Schweiz eine ganze Bewegung zum Schutz der Würde der Pflanzen entstand, die in der Alpenrepublik schließlich sogar in der Verfassung abgesichert wird. Dies geschieht seit 1992 in der Bundesverfassung Artikel 120, Absatz 2. Der Philosoph argumentiert: “Moralische Gründe sprechen dagegen, Pflanzen mit dem Anspruch auf absolutes Eigentum zu begegnen. Kein Mensch darf nach grenzenlosem Belieben mit ihnen verfahren. So sind zum Beispiel Pflanzen als solche nicht patentierbar, auch nicht bei zeitlich begrenzter Wirksamkeit eines Patents: Keine Pflanze verdankt sich allein menschlichem Wirken.” Pflanzen dürften genutzt, aber nicht vernutzt werden.

Zur Debatte stehen nicht Herrschafts- oder Gestaltungsrechte, sondern Anspruchsrechte, wie sie der Philosoph nennt. “Zu solchen Rechten zählen Fortpflanzung, Eigenständigkeit und Evolution, das Überleben der eigenen Art; dann die Rechte auf respektvolle Forschung sowie darauf, als eigenständiges Lebewesen nicht patentiert zu werden.” In einem “Epilog: Grundregeln der Ethik für Pflanzen” schreibt Beat Sitter-Liver schließlich: “Was als Lebewesen – zum Beispiel als Pflanze – in dieser Welt ist, besitzt uns gegenüber ein Recht auf Dasein und Sosein, weil es zunächst unabhängig von unseren Wünschen und unserem Nutzen existiert.”

Wer weiß, lesen wir bei Florianne Koechlin, ob manche Pflanzen nicht noch viel mehr können als die Apfelbäume, die mittels Duftstoffen Kohlmeisen anziehen, die sie von lästigen Raupen befreien. Nämlich mittels ihrer Schönheit, mit der sie die Menschen bezaubern, ihr Fortbestehen und die Entfaltung weiterer Sorten bewirken. Dann hätten nicht nur wir sie, sondern auch sie uns domestiziert.

Die Schönheit des spiralförmigen Wachstums von Blättern und Blüten entdeckte schon der Mathematiker Leonardo Fibonacci – mit der sogenannten Fibonacci-Folge: 1 1 2 3 5 8 13 21 34 im 13. Jahrhundert. Die Schönheit der Pflanzen ist seither eine wissenschaftlich fassbare Größe.

Simone Guski

Florianne Koechlin (Hg.) “Jenseits der Blattränder. Eine Annäherung an Pflanzen”, Lenos-Verlag Basel 2014, 237 S., 22,50 Euro
Daniel Chamovitz: “Was Pflanzen wissen. Wie sie sehen, riechen und sich erinnern”, Hanser-Verlag München 2013, 206 S., 17,90 Euro