Gegen das „gläserne Kind"

BERLIN. (hpd) Was ist eigentlich humanistisch in Humanistischen

Kindertagesstätten? Was unterscheidet ein solches Bildungsprogramm von anderen öffentlichen oder gar von kirchlichen Einrichtungen? Was ist besser im Umgang mit Eltern als anderswo? Wie kann garantiert werden, dass die Erfahrungen der Mitarbeiter/innen ihren Weg in theoretische Verallgemeinerungen finden?

 

Um solche und andere Fragen zu beantworten hat der HVD Berlin eine „Forschungsgruppe 'Fachbereich Kita'“ gegründet, die seit September 2006 besteht. Sie übergab kürzlich ihre „Interaktive Baustelle“ zum Thema „Beobachtung und Dokumentation“ der Öffentlichkeit - in Form einer Ausstellung.
Hier werden die bisherigen Ergebnisse gezeigt. In Foto- und Filmdokumentationen, an tragenden Säulen auf der Beobachtungsbaustelle, im Spiegelkabinett der Selbstreflexion oder etwa an der Fragemauer (Bilder im Anhang) erfährt der Besucher mehr über das besondere Bildungsprojekt des HVD Berlin.

Gemeinsam mit Erzieher/innen aus allen 22 Humanistischen Kindertagesstätten in Berlin hat der Verband ein über einjähriges Praxisprojekt zur Beobachtung und Dokumentation frühkindlicher Bildung durchgeführt. So entstand ein handhabbares und kindorientiertes Beobachtungskonzept, das einen hilfreichen Handlungsrahmen im pädagogischen Alltag darstellt. Es öffnet zugleich einen Spielraum, in dem selbstständiges, offenes und konstruktives Handeln möglich ist. Das Konzept wie seine Dokumentation sind auf Dauer angelegt – sozusagen ein Projekt im Prozess.

Die Forschungsgruppe stellt sich folgenden Fragen und sucht nach praktikablen, d.h. ganz konkret umsetzbaren Antworten: Welche Rechte haben Kinder? Wie kann die Subjektstellung jedes einzelnen Kindes bewahrt bleiben? Wie und wo ist es möglich, Kinder von Anfang an in Mitbestimmung einzubeziehen? Was geschieht den ganzen Tag und die lange Woche im Kita-Alltag?
Schon dass sich Kolleginnen und Kollegen solche Fragen immer wieder stellen, macht das Humanistische aus und führt hin zu komplizierteren Fragen der Umsetzung pädagogischer Ideen, nämlich: Was sind die rechtlichen wie ethischen Grundlagen? Was ist beim Umgang mit Eltern und Kindern zu beachten, auch: Wo liegen die Grenzen einer Einflussnahme, die gut gemeint sein kann, aber Rechte von Eltern und Kindern womöglich verletzt? So sind alle Antworten ausgeschlossen - so praktikabel und „arbeitserleichternd" sie sein mögen, die zu einer Art „Überwachungs- und Kontrollmechanismus“ im Kita-Alltag führen.

Nicht das „gläserne Kind“ ist das pädagogische Ziel, sondern durch die Beteiligung und Mitbestimmung der Kinder und Erwachsenen muss Beobachtung und Dokumentation vielmehr ein „gläserner Prozess“ sein.

Prozessgestaltung

Ausgangspunkt ist eine Art „humanistische Beobachtungsphilosophie“, in der die Jüngsten nicht zu Erziehungsobjekten degradiert werden, sondern sie vielmehr als selbständige Wesen ernst nimmt und ihre Würde als „kleine große Menschen“ gerade im Alltag der Einrichtungen wahrt. Das bedeutet, entgegen landläufigen Meinungen, bei zu lösenden Problemen nicht bei den Kindern anzusetzen, sondern bei den Erwachsenen. Sie sind es, bei denen es um pädagogische Haltungen, eigenes Menschenbild, Erfahrungshorizonte und biographische Erfahrungen geht.

Der Dialog ist das entscheidende Gestaltungsmerkmal. Er bildet den Konzeptrahmen, ein Gerüst – wenn man so will, eine Ko-Konstruktion – für Beteiligung, in dem alle Beteiligten ihren Handlungsspielraum selbst „bauen“ können. In dem Bestreben, am und im Lernvorgang zu lernen, entwickelte sich die Idee, aus einem zunächst nur als solchen geplanten „Fachaustauschtag“, dann doch eine über einen längeren Zeitraum stattfindende Ausstellung zu machen, eine „interaktive Baustelle“, ein Gemisch aus Praxis und Theorie, aus den Erfahrungen vieler interessierter und engagierter Pädagogen sowie Ausdenkungen vieler Leute.

In der Politik wird derzeit viel über frühkindliche Bildung debattiert. Das Projekt stellt aber die Frage, wie die Praxis aussieht. Denn es ist doch ein großer Unterschied, sehr allgemein darüber zu reden, welche Chancen Pädagogen vor Ort haben, sich ihrer „neuen“ Rolle bewusst zu werden – oder die wirklichen Herausforderungen des Bildungsortes Kita vor dem Hintergrund knapper Zeit- und Personalressourcen anzunehmen und sich dabei auch noch selbst sozusagen mit dem Scheinwerfer zu beleuchten?

Marie Wätke, Abteilungsleiterin Kita im HVD Berlin, meint dazu: „Neben der Auseinandersetzung mit dem Thema selbst ist der Weg, nämlich eine breite Beteiligung der Praktikerinnen an der Entwicklung von Zielen, Handlungsmaximen und Handlungsspielräumen, entscheidend für uns.“ Dahinter steht die Überzeugung, dass Bildungsprozesse bei Erwachsenen und somit die Entwicklung bzw. die Veränderung alter Muster grundsätzlich die Chance voraussetzen, selber aktiv zu werden, gemeinsam mit anderen den eigenen Fragen zu folgen, Erfahrungen abzuleiten und zu verwerfen, also einen offenen und reflexiven Prozess mit zu gestalten - und so zu helfen, Humanismus attraktiv und lebensnah zu machen.

Die Baustelle ist noch bis zum 9. November zu besichtigen.

Ort:
Märkisches Ufer 34, 10179 Berlin
Werktags von 15 - 20 Uhr
(oder nach Vereinbarung: Tel. 030/613 904 39)

Kerstin Volgmann (Projektleitung)
Pädagogische Leitung
Fachbereich Kita beim HVD