Philosophie als Kulturpolitik

(hpd) Bereits der Titel des Buches verweist auf einen grundlegenden Unterschied zwischen der Kultur, in der die Ideen des Autors

gewachsen sind, und derjenigen, an die sich die deutsche Übersetzung des zuerst 2007 erschienen Buches des im Frühsommer 2007 verstorbenen Autors Richard Rorty richtet.

Kulturpolitik durch Philosophie – von Philosophen? In Deutschland gilt nach wie vor der Staat als das wichtigste Subjekt von Kulturpolitik, genauso wie es die erste Begriffsbestimmung in einem deutschen Lexikon, Herders Staatslexikon (Bd. III, 5. Aufl., Freiburg i. Br. 1929, Spalte 693) unternahm: „Kulturpolitik ist der Einsatz geistiger Mittel und kultureller Mittel durch den Staat.“ Da gab es bereits seit über hundert Jahren (1817 zuerst in Preußen) „Kultusministerien“ (der Bundesländer). Sie hießen so, weil sie sich den jeweiligen (äußeren) Kirchenangelegenheiten und der Bildung, Kunst und Wissenschaft widmeten unter den Bedingungen der Einheit von Thron und Altar. Kulturverwaltung hieß nicht von ungefähr „Culturpolizey“.

Die Analyse von Rorty ist selbst nicht historisch, sondern auf heute bezogen. Seiner Auffassung nach werde auch hierzulande üblich, über etwas Politisches philosophisch und etwas Philosophisches politisch zu reden. Das befördere bei den Handelnden – und dies sind keineswegs mehr vorrangig die Staatsdiener, sondern sehr viele Subjekte – realistische Auffassungen und moralische Haltungen über kulturelle Phänomene, forme Werthaltungen hinsichtlich der Dinge, um die es geht, die erhalten oder verändert werden sollen. Es verstehe sich, dass es dabei auch um Religion gehe, die aber keineswegs mehr kulturell prägend sei, genauso, wie sich die als real angenommene Existenz Gottes aus der real gelebten Kultur und den wirklichen politischen Vorgängen verabschiedet habe.

Deshalb ist auch hier der Ratschlag von Rorty, man solle von Begriffen wie „Wahrheit“ oder „Vernunft“ die Finger zu lassen. Dennoch wendet er sich in diesen Essays aus den Jahren 1996 bis 2006 Themen zu, in denen es genau darum geht: Politik, Religion, Moral. Er geht die Fragen aber nicht akademisch philosophisch an, sondern empfiehlt (und breitet sie aus), sich mit Stoffen zu beschäftigen, die eine kulturelle Relevanz haben. Seine Haltung ist dabei nicht das rechthaberische: „Wir wollen es richtig darstellen!“ Sondern: „Wir wollen es mal anders versuchen. – Hat irgend jemand neue Ideen?“

Wenn es – wie aktuell – um den Dialog mit nicht-westlichen Kulturen geht, so behauptet der säkulare Westen, es gäbe eine universelle menschliche Fähigkeit, von der Vernunft einen besseren Gebrauch zu machen. Rorty dagegen meint, es sei besser, eine lehrreiche Geschichte zu erzählen, so die Geschichte, wie hierzulande die Wirklichkeit aussieht, wie es bei uns dazu gekommen ist, „keine Sklaven mehr [zu] halten, mit der Ausbildung der Frauen begonnen [zu] haben, Kirche und Staat [zu] trennen, usw.“

Was heutigen Philosophen, die sich in die Politik begeben, und Politikern, die philosophieren, fehle, sei vor allem sozial- und kulturgeschichtliche Belesenheit. In der Regel strotzten sie nur so von Kenntnissen philosophischer und politischer Grundsätze, aber reale Geschichten und Literaturen des Lebens gingen an ihnen vorbei. Gerade in einer Zeit des globalen Wertekarussells, da wieder verstärkt nach moralischer Wahrheit und religiösem Halt gesucht werde, müsse man die Sehnsucht nach dem Absoluten ersetzen durch Beschreibungen, was wirklich war und wie es lief und was dabei herauskam.

„Nach meiner Auffassung sollten Spezialisten für Moralphilosophie sich nicht als Menschen sehen, die über bessere Argumente oder klarere Gedanken verfügen als die meisten anderen, sondern einfach als Menschen, die viel Zeit damit verbracht haben, einige der Fragen zu erörtern, die denen, die schwierige Entscheidungen über anstehende Handlungen treffen müssen, Probleme bereiten. Moralphilosophen machen sich nicht nur in Krankenhäusern überaus nützlich, indem sie dort über Fragen diskutieren, die durch neuere Fortschritte der medizinischen Technik aufgeworfen worden sind, sondern auch in vielen weiteren Bereichen, in denen man sich über politische Maßnahmen öffentlicher Relevanz auseinandersetzt.“ (S.349)

Wer so herangeht, für den ist Kulturpolitik machbar, in dem er oder sie mitredet in den Sprachen und Bildern, die diejenigen nun einmal haben, mit denen man Dialog haben will – vorausgesetzt selbstredend, man will diesen Dialog und nicht nur Streit.

Horst Groschopp

Richard Rorty: Philosophie als Kulturpolitik. Aus dem Amerikanischen von Joachim Schulte. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 2008, 357 S., ISBN 978-3-518-58495-8, 28,80 €