Hrant Dink

„Ich bin kein Türke. Ich komme aus der Türkei und bin ein Armenier."

 

Ich lernte Hrant Dink 1997 kennen. Ich erzählte ihm über das Leben als Migrant in Deutschland.

Ich sagte die Migranten waren die ärmsten. Sie besaßen nur sich. Sie könnten das neue Land annehmen, von dem sie viel bekamen. Aber sie wurden „nationalisiert" von Deutschen und von den Türken und dadurch entfremdet. Wir sahen viele Parallelen in dem Sein als Teil einer Minderheit. Nur mit dem Unterschied, seine Vorfahren lebten einige tausend Jahre dort, wir leben erst 40 Jahre hier.
Hrant sagte damals als Antwort: „Würde der Druck auf die armenische Minderheit nicht so stark, ablehnend, so isolierend sein, gäbe es uns als solche nicht. Das ist das Paradoxe dieser Politik. Sie schafft das, was sie vernichten möchte."
Ich konnte diese Konsequenz für die Politik über Migranten bestätigen.

 

Nun haben sie ihn ermordet.

Da ich kein türkisches Fernsehen empfange, folge ich den Nachrichten im Internet und rufe meine Mutter in Istanbul an. Istanbuler machen spontane Demonstrationen, Politiker beeilen sich die Tat zu verurteilen. Wo waren diese Politiker als er bedroht wurde? Warum haben sie die Menschen damals nicht zur Frieden gerufen? Warum haben sie ihn nicht geschützt? Auf dem Foto im Internet liegt er auf dem Bürgersteig, bedeckt – vermutlich mit einem weißen Tischtuch von einem der umliegenden Restaurants. Das Gebäude, in dem die Redaktion AGOS eine Etage hat, ist im Hintergrund, zu sehen. Seine Schuhe schauen aus der Decke raus. Angeblich soll der Mörder ihn gebeten haben kurz runter zu kommen. Dann erschoss er ihn mit zwei Schüssen in den Kopf.

Kaltblütig. Hingerichtet. Warum? Warum?

In seinem letzten Artikel schrieb er, dass er bedroht wurde. Doch ich weiß, dass er schon 1997 bedroht wurde. Er war ein aufrechter, mutiger, konsequenter Mensch. Hrant Dink wurde wegen seinen Artikeln "Agos" unzählige Male vor Gericht gestellt Er wurde angeklagt, weil er das Ansehen der Türken verletzt hätte, angeklagt wegen Beleidigung des Türkentums und wurde zu sechs Monaten Haft verurteilt – während berühmte türkische Schriftsteller und türkische Journalisten aus dem selben Grund angeklagt aber durch spitzfindige technische und juristische „Feilerei" freigesprochen wurden. Er freute sich für die anderen aber er war auch traurig, weil niemand diese Mühe für ihn machte. Warum nicht?
Warum haben die Freigesprochenen nicht gesagt, sie lehnen den Freispruch ab – es sei denn Hrant Dink wird auch freigesprochen?

Warum haben sie nicht gesagt sie alle wollen so lange „reingehen" wie Hrant Dink „rein" muß?

Die Klage war für ihn ein Schandmal. Hrant Dink sagte in einem Fernseh- Interview:
„Das größte Verbrechen auf Erden ist Rassismus, Diskriminierung. Wofür kämpfe ich denn? Mir vorzuwerfen, Türken zu erniedrigen, zu beleidigen, zu diskriminieren ist unannehmbar. Wenn es dem so wäre, würde ich dieses Land verlassen. Dann hätte ich keine weiteren Probleme. Mir dies anzuhängen, ist mir ein Schandmal zusetzen. Für mich ist das leben mit Türken ein Glück. Im Leben aller Armenier war „Türke" etwas Erschreckendes; Wut in uns. Aber durch das Leben mit Türken gemeinsam, hat sich etwas in mir geändert. Diese Wut ist nicht mehr da. Das Leben mit den Türken ist ein Gegengift zu der Wut, die wir in unseren Herzen begraben hatten. Durch das Leben miteinander sieht man, dass die Wut keinen Platz in uns hat. Ein anderes Volk aufgrund ihrer Religion oder Zugehörigkeit zu diskriminieren, zu erniedrigen ist für mich Rassismus. Wie kann ich, wie soll ich so etwas tun?"

Hrant erzählt: „Ich habe öffentlich gesagt: Wer aus diesem Grund verurteilt wird, hat sein Recht mit denen, die er rassistisch herabsetzt, gemeinsam zu leben verwirkt. Das meine ich ernst. Sollte ich verurteilt werden, bin ich bereit dieses Land zu verlassen. Daraufhin bekam ich noch eine Klage wegen Beeinflussung des Gerichts. Meine Aussage war emotional aber die Antwort durch eine solche Klage, das ist schwarzer Humor!"

Hrant Dink sah die öffentlichen Vorwürfe gegen ihn als einen gezielten Angriff, um aus ihm eine Zielscheibe zu machen, jemand, der die Türken kränkt. Er war überzeugt, dass man ihn isolieren, in die Einsamkeit drängen wollte und wurde umso mutiger. Bedrohungen bekam er aus ganz Türkei. Tag für Tag brachte die Post solche Briefe. Er erstattete immer wieder Strafanzeigen. Vergeblich. Er hätte seine Strafanzeigen ebenso in einen Brunnen werfen können.

Er sagte:
„Wie reell die Bedrohungen sind, kann ich natürlich nicht abschätzen. Was aber für mich unerträglich ist, ist die Psychologie in der ich mich dadurch befinde. Ich fühle die Blicke, die sie mir werfen, sich fragend „Ist das nicht der Armenier...?" Ich fühle mich wie eine Taube... Ich habe Augen angebracht vor mir, hinter mir, zu meiner rechten und linken Seite. Mein Kopf ist so beweglich, wie die einer Taube... schnell zu wenden, wie die einer Taube. Tauben leben schreckhaft aber mitten unter Menschen und sie sind vor allem frei."

Geboren ist Hrant Dink in Herzen Anatoliens, nahe Sivas. Nach Istanbul kam er 1961 mit seinen Eltern. Als sie sich scheiden ließen, wuchs er in einem armenischen Waisenhaus auf. Dort lernte er seine Frau Rachel kennen und lieben. Ihre beiden Kinder bekamen sie während des Studiums. Er war stolz auf seine Kinder.

Zu schreiben begann er mit Buchbesprechungen. Später schrieb er an Zeitungen um ihre falschen Berichte zu berichtigen. 1996 gründete er die Zeitung AGOS, eine Zeitung in türkisch und armenisch und sagte: „Es wichtig ist für die Armenier, außerhalb der religiösen Gemeinde zivile Organisationen und Institutionen zu haben."

2005 wurde er zu sechs Monaten Haft auf Bewährung verurteilt, weil er geschrieben hatte, dass das Ergebnis der Armenier-Vertreibungen im Osmanischen Reich dazu geführt habe, dass ein Volk, das 4000 Jahre auf diesem Boden gelebt hat, ausgemerzt worden ist. Das Urteil wurde 2006 vom obersten Gerichtshof der Türkei bestätigt. Hrant Dink hatte sich an das Europäische Menschenrechtsgericht gewandt.

Er kämpfte für die Gleichberechtigung. Er war ein Bürger wie alle, aber er wurde immer unterschiedlich behandelt. Schon als er zum Militärdienst ging, wurden seine Mitsoldaten höher gruppiert. Er musste ein einfacher Soldat bleiben. Hrant vergaß dies nie: „Nach der Zeremonie haben alle anderen mit ihren Familien gefeiert. Nur ich saß hinter einer kleinen Blechbaracke und weinte. Mag sein, dass ich mein Armeniertum übertreibe. Zu sehr in den Mittelpunkt rücke... aber das was ich erlebe, gibt mir keine andere Chance."

Die Grundlage öffentlichen Ärgernisses war Hrant Dink immer wieder. Am meisten jedoch ärgerte man sich über ihn, als er 21. Februar 2004 in seiner Zeitung AGOS behauptete, dass die Stieftochter von Atatürk ein armenisches Mädchen aus dem Waisenhaus war. Die Tageszeitung Hürriyet übernahm diese Meldung. Eine Frau die zur Symbolfigur der türkischen Frau geworden war, sollte eine Armenierin sein? Das sahen viele als ein Angriff auf die nationale Einheit und gesellschaftlichen Frieden. Zu viele. Sowohl das Militär als auch viele andere Obrigkeiten. Stellvertretender Gouverneur rief ihn an und lud zu einem Gespräch, an dem „zufällig" seine „Bekannten" anwesend waren, die mehr sprachen als der stellv. Gouverneur. Er nahm seine Beweise, seine Unterlagen mit. Aber, sie schauten die Unterlagen gar nicht an. Sie warnten ihn. Das sei nicht gut für ihn. Nicht gut. Er solle vorsichtig sein. Viele Proteste und Hassartikel folgten dem.

Hrant Dink sagte, wenn der europäische Gerichtshof die Strafe bestätigt, werde ich mein Land verlassen. Ich bin überzeugt, wer andere Menschen, mit denen er lebt wegen ethnischen oder religiösen Gründen diskriminiert, betreibt Rassismus. Das kann man nicht verzeihen. Der hat sein Recht mit den anderen zu leben verloren.

Hrant Dink hatte kein Vertrauen mehr in das juristische System der Türkei. Waren Juristen keine Akademiker? Konnten sie seine Artikel wirklich nicht verstehen? Wie kamen die Klagen der Staatsanwaltschaft zustande? Man sagte, das wären Klagen im Namen der türkischen Nation. Aber natürlich standen hinter den Klagen nicht die Nation sondern die Obrigkeiten, der Staatsapparat dieser Nation.

Er entschied sich zu bleiben, abzuwarten wie das europäische Gericht entscheidet. Er wollte nicht gehen. Er wollte nicht wie einst seine Vorfahren gehen. Er blieb.

Der Europäische Gerichtshof hat keinen Fall „Hrant Dink" mehr. „Die" Türken, sie haben keinen Hrank Dink mehr.

Wahrscheinlich wird das Jahr 2007 für mich ein schwieriges Jahr, hatte Hrant geschrieben. Du hast Recht Hrant. Es ist ein sehr schweres Jahr. Nicht mehr für Dich. Für deine Familie, für deine nahen und entfernten Freunde, für viele, viele Menschen. Wir haben dich verloren. Kann dieses Jahr noch schwieriger werden? Du hast nie ausgesprochen, ob und woran du glaubtest. Du mochtest Fragen nach dem Glauben nicht.

Ich würde jetzt gerne glauben, dass du eine Taube geworden bist und über Istanbul fliegst.

Arzu Toker