Geschichte: Die Kongo-Krise von 1960/61

Wie Eigeninteressen die Zukunft eines Landes zerstören

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Patrice Lumumba auf der Congolese Round Table Conference 1960 in Brüssel

BERLIN. (hpd) Die Geschichte des Kongos zählt wohl zu den tragischsten Kapiteln der Kolonial- und Postkolonialzeit. Sie ist geprägt von Hoffnung und Idealismus, aber auch Brutalität und äußerster Gewalt. Im Hinblick auf die vergangenen Jahrzehnte erkennt man, welches Vermächtnis Europa diesem Land hinterließ. Es zeigt, zu was manche Akteure bereit sind, um Einfluss in einem bestimmten Gebiet zu wahren – und was das für die einheimische Bevölkerung bedeutet.

30. Juni 1960: Nach rund 75 Jahren endet die belgische Kolonialherrschaft und die Republik Kongo feiert ihre Unabhängigkeit. Anlässlich der Feierlichkeiten ist auch der belgische König in der Hauptstadt Leopoldville (heute Kinshasa) zu Gast und hält eine äußerst verharmlosende Rede zur "Leistung" der Belgier zugunsten der kongolesischen Bevölkerung. Er lobte das Genie seines Vorfahren König Leopold II. und dessen humanitäre Verdienste für den Kongo, sowie die belgischen Pioniere, die aus seiner Sicht das Land entscheidend aufgebaut haben. Die "humanitären" Verdienste sprechen für sich: Zwangsarbeit, Verstümmelung, Geiselnahme, wirtschaftliche Ausbeutung – und 10 Millionen Tote zwischen 1885 und 1908. Auch in der Phase bis 1960 pflegen die Kolonialherren gegenüber den Kongolesen Rassismus und Diskrimierung in allen gesellschaftlichen Belangen.

Der erste demokratisch gewählte Premierminister Patrice Lumumba reagierte darauf prompt und entgegnete dem König: "[...] We are proud of this struggle of tears, of fire, and of blood that [...] put an end to the humiliating slavery that force upon us. This was our fate for eighty years of colonial regime; our wounds are still too fresh and painful for us to drive them from our memory. [...]" Seine Rede erregte großes Aufsehen, vor allem Verunsicherung und großen Ärger im Lager der westlichen Mächte. Was daraufhin folgte, ist eine schwer zu überblickende Verkettung von Ereignissen, an welchen die unterschiedlichsten Akteure beteiligt waren. Einige davon versuche ich bestmöglich darzustellen. 

Nur wenige Tage nach der Unabhängigkeit meuterten Soldaten der Force Publique gegen ihre belgischen Offiziere, die nur zögerlich von ihren Posten abrückten. Die Meuterei entwickelte sich zu einem Aufstand, der größere Landesteile erfasste und den belgischen Bevölkerungsanteil in Panik versetzte. Daraufhin richtete die belgische Regierung ein Schreiben an Präsident Kasavubu und Premier Lumumba mit der Bitte, intervenieren zu dürfen. Obwohl das Gesuch abgelehnt wurde, landeten belgische Fallschirmjäger in den aufständischen Regionen – ein glatter Völkerrechtsbruch, der den UN-Sicherheitsrat auf den Plan rief. Kurz danach erklärte die rohstoffreiche Provinz Katanga unter dessen Präsidenten Moisé Tshombe ihre Unabhängigkeit mit Rückendeckung von Belgien. Schließlich beschloss der Sicherheitsrat eine Peacekeeping-Mission mit dem Ziel, Belgien zum Abzug seiner Truppen zu bewegen und die Sezession Katangas zu beenden, ohne dabei Belgiens Völkerrechtsbruch explizit zu erwähnen. In den darauf folgenden Monaten wurde Premier Lumumba entmachtet und im Januar 1961 ermordet, UN-Generalsekretär Dag Hammarskjöld kam im September 1961 unter mysteriösen Umständen bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Die Mission konnte erst 1964 abgeschlossen werden; allerdings ohne langfristigen Erfolg, denn ein Jahr später putschte sich das Militär unter Joseph Mobutu an die Macht und eine brutale Diktatur nahm ihren Lauf.

All das geschah nicht aus heiterem Himmel. Vielmehr ist sie Ergebnis von Interventionen betrieben von Staaten und Konzernen der nördlichen Hemisphäre. Zunächst zur Rolle der USA: Als es zum Konflikt mit Belgien kam, versuchte Lumumba zunächst Kontakt mit den USA aufzunehmen – ohne Erfolg. Nachdem sich die Sezession der Provinz Katanga abzeichnete und ein innerstaatlicher Konflikt ausbrach, mit Unterstützung Belgiens, wandte man sich hilfesuchend schließlich an die Sowjetunion, welche dem Hilfegesuch nachkam. Für die Regierung Eisenhowers bedeutete diese Intervention, dass die Sowjets mithilfe Lumumbas ein kommunistisches Regime errichten wollten. Drastischer formulierte es der damalige CIA-Chef Allen Dulles, der im Rahmen einer Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates Lumumba als "Castro oder schlimmeres" bezeichnete. Auch die amerikanische Botschaft in Belgien sah in Lumumba ein Hindernis für die innere Stabilität des Kongos. 

In Folge dessen blieb es nicht bei Äußerungen von Missmut – der Geheimdienst CIA bemühte sich, Verbündete zu suchen, die Lumumba kritisch bis feindlich gesonnen waren. Mit Joseph Mobutu konnte im Militär ein wichtiger Partner für den Geheimdienst gewonnen werden. Großes Wohlwollen gegenüber Präsident Kasavubu äußerte auch der amerikanische Botschafter im Kongo Clare Timberlake, der diesen informierte, dass sein "diplomatisches Personal ihm zur absoluten Verfügung stünde".

Doch welche konkreten Interessen sah die amerikanische Regierung als gefährdet? Neben der Furcht vor einem Wachstum der kommunistischen Einflusssphäre in Afrika existieren Hinweise dafür, dass es ebenfalls um wirtschaftliche Interessen ging. Der Kongo verfügte über wertvolle Bodenschätze und Rohstoffvorkommen. Im Falle einer Verstaatlichung dieser Wirtschaftszweige, wie von Lumumba angestrebt, wären diese Absatzmärkte schwerer zugänglich gewesen. Doch waren es auch Unternehmen wie der Rohstoffkonzern Lamco (Liberian-American Swedish Minerals Company), die in der Kongo-Krise verwickelt waren und gleichzeitig mit anderen Syndikaten zusammenarbeitete, so etwa Boliden oder der International African American Corporation.

Ähnliche Interessen verfolgte auch Belgien: Seit der Kolonialzeit verfügten Konzerne wie die einflussreiche belgische Union miniere du Haut-Katanga über ein wichtiges Handelsmonopol und standen dem Verstaatlichungsprogramm Lumumbas entsprechend ablehnend gegenüber.

Aufgrund dieser wirtschaftlichen Interessen unterstützten sowohl die belgische Regierung als auch die Union miniere die Sezessionsbestrebungen des lokalen Machthabers Tshombe, um wichtige Absatzmärkte zu sichern. Die Intervention ging schließlich so weit, dass Angehörige des Beraterstabes von Tshombe – belgische Militär- und Polizeioffiziere – bei der Entführung und Ermordung Lumumbas assistierten. 

Doch auch die UN und Generalsekretär Hammarskjöld waren in diesen Interventionen involviert. Letzterem wurde nachgesagt, dass er ein persönliches Interesse an der Beendigung der Sezession gehabt hätte, um wirtschaftlich zu profitieren. Dieses Gerücht drückte sich insoweit aus, dass der Generalsekretär angeblich eine Interessengruppe aus schwedisch-amerikanischen Minenkonzernen repräsentiere und sogar ein naher Verwandter eine verantwortliche Position in diesem Syndikat trage. Des Weiteren wurde behauptet, dass "die Amerikaner die UN dazu benutzten, die Belgier aus Katanga zu vertreiben, um selbst dort Fuß zu fassen. Tatsächlich deuten Hinweise darauf hin, dass Hammarskjöld enge Verbindungen zu diversen Minenkonzernen hatte, die die Belgier äußerst beunruhigten: Sture Linner, Chef der UN-Operation im Kongo, war zum Zeitpunkt seiner Berufung eine Führungskraft beim Minensyndikat Lamco. Weitere UN-Bedienstete wie Sven Schwartz und Björn Hjortzberg-Nordlund gehörten ebenfalls zu Unternehmen wie Lamco oder Boliden. Die Verdächtigungen erhärteten sich als entdeckt wurde, dass Bo Hammarskjöld, der Bruder des Generalsekretärs, Geschäftsführer von Grängesberg Oxelösund war, dem größten Unternehmen des Lamco-Syndikats. Trotz der Verbindungen, die Schlussfolgerungen zulassen, die UN sei erheblich durch wirtschaftliche Interessengruppen korrumpiert, gibt es keine tatsächlichen Beweise dafür.

Dennoch sind die Verwicklungen von damals ein Beleg dafür, dass Entwicklungspolitik selten in erster Linie der jeweiligen einheimischen Bevölkerung zugute kommt. Noch heute sind UN-Truppen in der Demokratischen Republik Kongo stationiert, um einen drohenden Bürgerkrieg zu verhindern. Nach wie vor zählt der Kongo zu den ärmsten Staaten der Erde und ist auf Entwicklungshilfe angewiesen, trotz Reichtum an Bodenschätzen. Der gegenwärtige und umstrittene Präsident Joseph Kabila versucht sich gegen innere Widerstände per Verfassungsänderung eine dritte Amtszeit zu sichern. Wer weiß, wer diesmal im Hintergrund die Strippen zieht?