Sammelband mit Texten von Joseph Stiglitz

Die Folgen sozialer Ungleichheit

BONN. (hpd) Der bekannte Ökonom Joseph Stiglitz, 2001 erhielt er den Nobelpreis für Wirtschaft, legt in seinem Buch "Reich und Arm. Die wachsende Ungleichheit in unserer Gesellschaft" eine Sammlung von früheren Artikeln zu den sozialen und wirtschaftlichen Folgen sozialer Ungleichheit vor. Den Kennern seiner Bücher liefert er keine neuen Informationen, einzelne Texte können aber gut als Einführung zu den Folgen von gesellschaftlichen Demokratieverlusten und sozialer Ungleichheit gelesen werden.

In seiner berühmten Gettysburg Address definierte Abraham Lincoln die Demokratie als "Regierung des Volkes, durch das Volk und für das Volk". Auf diese Begriffsbestimmung spielt ein Essay mit dem Titel "Des 1 Prozents, durch das 1 Prozent und für das 1 Prozent" an. Er erschien in dem US-Magazin "Vanity Fair" im Mai 2014 und stammte von Joseph Stiglitz, der heute an der Columiba University in New York Wirtschaftswissenschaften lehrt.

2001 erhielt der frühere Chefvolkswirt den Nobelpreis für Wirtschaft. Danach machte Stiglitz weltweit mit kritischen Büchern zur Entwicklung der Globalisierung und des Kapitalismus auf sich aufmerksam. Parallel dazu entstand eine Fülle von Artikeln und Kommentaren, die in verschiedenen Magazinen und Zeitungen erschien. Eine Auswahl davon findet man in dem Buch "Reich und Arm. Die wachsende Ungleichheit in unserer Gesellschaft". Es handelt sich demnach nicht um ein eigenständiges Buchs oder eine neue Studie, sondern um eine Sammlung von bereits an anderen Orten erschienener Texte.

Als deren Kernbotschaft formuliert Stiglitz bereits in der Einleitung: "Das Ausmaß der Ungleichheit in den USA ist nicht unabänderlich, es ist nicht das Ergebnis unerbittlicher ökonomischer Gesetze. Es ist vielmehr eine Frage politischer Entscheidungen und Prozesse" (S. 10). Diese Aussage zieht sich wie ein roter Faden durch die Beiträge des Buchs. Mit dem einen Prozent sind die Superreichen in den USA gemeint. Deren Besitz stieg in den letzten Jahrzehnten noch einmal an, sodass es einen noch stärkeren Unterschied zu den anderen 99 Prozent in den USA gibt. Für Stiglitz liegt es im aufgeklärten Selbstinteresse dieses einen Prozents, die sozioökonomische Spaltung der Gesellschaft zu verringern. Er wollte keinen neuen Klassenkampf, betont der Ökonom, er wolle den sozialen Zusammenhalt stärken. Denn durch Steuersenkungen für Reiche komme die Konjunktur nicht voran. Die Verbraucher seien die eigentlichen "Beschäftigungsmotoren" und stagnierende Einkommen bedeuteten eben auch stagnierende Nachfrage.

Die früheren Beiträge wurden für den Sammelband nicht aktualisiert. Stieglitz stellt ihnen jeweils eine längere Einleitung voran, um den Kontext und die Stoßrichtung zu erläutern. Dabei geht der frühere Berater der Clinton-Regierung bis zur Steuerpolitik der Bush-Administration zurück, habe diese doch die Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich noch mehr vertieft. Stieglitz kommentiert auch die Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008. Dafür seien individuelle Fehlentscheidungen von Politikern auf einen "grundlegenden Fehler zurückzuführen: die Überzeugung Märkte regulierten sich von selbst und der Staat solle sich weitestgehend aus dem Wirtschaftsleben heraushalten" (S. 72). Die ökonomischen Krisen und die soziale Umverteilung seien indessen keine Folge des Schicksals oder des Zufalls. Denn der Hauptgrund dafür "besteht darin, dass das oberste 1 Prozent es so haben will" (S. 123). Damit berührt Stieglitz auch immer wieder demokratietheoretische Fragen, wobei er aber selten über Andeutungen und Postulate hinaus geht.

Die einzelnen Artikel beklagen nicht nur die Abhängigkeit der Politik von Wahlkampfspenden oder die Ignoranz gegen der Nachfrageseite in der Wirtschaft. Stieglitz formuliert auch immer wieder konkrete Ideen und Vorschläge, um etwa die Arbeitslosigkeit durch ein Konjunkturprogramm zu minimieren. Da die Beiträge jeweils auf ähnliche oder gleiche Themen bezogen sind, kommt es nicht selten zu Wiederholungen. Man hätte hier nicht unbedingt alle Beiträge aufnehmen müssen. Mache sind, wie das Plädoyer für Janet Yellen als Präsidentin der US-Notenbank von 2013, einfach veraltet. Dafür findet man aber auch Artikel zur Entwicklung in anderen Ländern von China über Japan und Schottland bis Spanien. Ein eher autobiographisch gehaltener Beitrag macht darauf aufmerksam, inwieweit Martin Luther King den Ökonomen Stieglitz prägte. Durch viele Beiträge zieht sich eine Botschaft, die man tatsächlich nicht häufig genug formulieren kann: Die Entwicklung der Gesellschaft und Ökonomie ist nicht schicksalshaft, sondern steuerbar.

Joseph Stiglitz, Reich und Arm. Die wachsende Ungleichheit in unserer Gesellschaft, München 2015 (Siedler-Verlag), 512 S., 24,99 Euro