Deutschland Deine Kinder (9)

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Mitglieder des Runden Tisch Heimerziehung / Fotografie © Evelin Frerk

BERLIN. (hpd) EKD und Diakonie bitten ehemalige Heimkinder um Verzeihung. Das christlich geprägte Versöhnungsritual brachte die Opfer systematischen Unrechts jedoch erneut in Verstrickung. Versöhnung ist ein seltenes Ereignis, so der Psychotraumatologe Prof. Dr. Günter Seidler.

Am 11. Sept. 2011 fand im Französischen Dom am Gendarmenmarkt in Berlin eine Veranstaltung der Evangelischen Kirche Deutschland und des Bundesverbandes der Diakonie statt. Thema war „Evangelische Heimerziehung in den 1950er und 1960er Jahren. Bilanz und Verantwortung.“

Eingebettet in musikalische Beiträge führte Prälat Dr. Bernhard Felmberg durch das Programm. Der evangelische Theologe Prof. Dr. Traugott Jähnichen (Ruhr-Universität Bochum) hielt einen Vortrag über „Die Praxis der evangelischen Heimerziehung in der Nachkriegszeit“. Als der Wissenschaftler die „schönen Seiten der Heimerziehung“ zu referieren begann, kam Unruhe bei den Ehemaligen auf. Mit dem Ruf „Hören Sie auf, Herr Jähnichen, hören Sie einfach auf zu reden“, kam ein Angebot eines von katholischer Heimerziehung Betroffenen, den Vortrag aus seiner Sicht fortzusetzen. Andere verließen den Saal, führten draußen vor der Tür ihre Diskussion weiter. Das sonntäglich-touristische Berlin nahm davon ebenso wenig Kenntnis wie von den Transparenten, mit denen die ehemaligen Heimkinder deutlich machen wollten, dass die von EKD und dem Diakonischen Werk ausgesprochene Bitte um Verzeihung eher Bedeutung in deren eigenen Reihen habe.

Sonja Djurovic, ehemaliges Heimkind und Betroffenen-Vertreterin am Runden Tisch Heimerziehung berichtete über ihre Erfahrungen mit der Heimerziehung von 1964-1968. Überraschend kam zum Ende ihres Resümees die Aufforderung, sich zum Gedenken der Toten zu einer Schweigeminute zu erheben. Sonja Djurovic wusste was sie wollte. Es wurde eine lange Minute für die Anwesenden, die ihre Köpfe gesenkt hielten. Dann wieder ein Zwischenruf: „Sonja, es war noch viel schlimmer...“

Präses Nikolaus Schneider, Vorsitzender des Rates der EKD und Johannes Stockmeier, Präsident des Diakonischen Werkes der EKD, lieferten eine „Erklärung von Kirche und Diakonie zur Situation von Kindern und Jugendlichen in evangelischen Heimen von 1945-1975“.

Anschließend sprach Prälat Dr. Bernhard Felmberg eine „Einladung zur persönlichen Begegnung und Aussprache“ aus. Dazu gab es Kaffee.

Gesprächswünschen der ehemaligen Heimkinder, so hörte der hpd, wurde nicht immer entsprochen.

Einladung zum Gebet

Die Veranstaltung war von hochrangigen Vertretern der evangelischen Kirche geprägt, auch Antje Vollmer, die evangelische Pastorin, Grünen-Politikerin und ehemalige Moderatorin des Runden Tisches Heimerziehung, war zugegen. Aus Westdeutschland waren ca. 10 ehemaligen Heimkinder angereist, aus der Berliner Regionalgruppe ehemaliger Heimkinder waren ca. 12 Mitglieder anwesend. Einige wollten die Kirche gar nicht betreten und standen draußen mit ihren Transparenten. Andere verließen beim Vortrag des evangelischen Historikers Prof. Dr. Traugott Jähnichen den Raum. Sie empfanden seine relativierenden Äußerungen, dass Züchtigungen in der Kindererziehung damals gemeinhin üblich waren, als Verharmlosung des systematischen Unrechts und der systematischen Gewalt, die durch Studien belegt sei. Seinen Hinweis auf die zahlreichen positiven Berichte von Heimkindern fanden sie im Rahmen dieser Veranstaltung, die ja der Schuldanerkennung dienen sollte, gänzlich unangemessen. Auch die im Programm angekündigte „Einladung zum Gebet“ mit Präses Nikolaus Schneider empfanden sie als Zumutung, denn sie wollten nicht erneut zwangsmissioniert werden. Präses Schneiders gezeigte Betroffenheit über die Missstände in der evangelischen Heimerziehung empfanden einige ehemalige Heimkinder als authentisch.