Die netten Nachbarn vom NSU

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Maik Baumgärtner und Marcus Böttcher, Fotos: F. Nicolai

Berlin/Potsdam. (hpd) Wenn mehrfache Mörder zu bürgerlichen Nachbarn werden, kann es schon passieren, dass man über sie sagt: Die drei jungen Leute im Wohnwagen nebenan waren doch so nette Leute. So geschehen auf der Ostseeinsel Fehmarn. Als das Trio Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt Urlaub am Meer machte.

Dienstag Abend im gutbesetzten T-Werk Potsdam: Maik Baumgärtner und Marcus Böttcher stellen ihr gerade erst erschienenes Buch "Das Zwickauer Terror-Trio. Ereignisse, Szene, Hintergründe" vor. Ein paar einleitende Worte vorab spricht Hajo Funke, der auch das Vorwort des Buches verfasste.

Funke klagt die verantwortlichen Politiker an, nichts gegen die Verbreitung der NS-Ideologie getan zu haben. Gegen besseren Wissens und - so vermutet er - sogar bewusst. Die rechten Ideologen nutzten geschickt und mit Hilfe aus dem Westen die Lücken, die sich durch das Wegbrechen der alten Gesellschaft ergaben und durch die neue noch nicht gefüllt wurden/werden konnten.

Baumgärtner und Böttcher lesen Ausschnitte aus ihrem Buch. Sie zeigen auf, wie die Beamten sich teilweise aus Unkenntnis, teilweise aufgrund von bestehenden Vorurteilen weigerten, einen Zusammenhang zum rechten Terror zu ziehen. Stattdessen suchten sie die Täter unter den Opfern, fahndeten nach einer türkischen Migranten-Mafia und ignorierten die Meinungen der Angehörigen, die sich zu Recht als Opfer rechter Gewalt verstanden. Dafür spricht schon der Name der Sonderkommission, die die Polizei bildete: “Bosporus”. Auch die Berichterstattung der Medien, die den Begriff “Dönermorde” prägten, der zum Unwort des Jahres 2011 wurde, zeigt, dass sowohl die ermittelnden Behörden als auch die Medien hier Opfer zu Tätern machte.

Nur so - durch Schlamperei, Oberflächlichkeit und dem Nicht-Wahrhaben-Wollen von offensichtlichen Tatsachen konnte es dazu kommen, dass das NSU-Trio relativ unbehelligt 10 Jahre im Untergrund agieren und die Morde begehen konnte.

Das Buch ist vor allem als Chronik der Vorgänge gedacht; es wertet weniger als dass es Tatsachen auflistet. Die allerdings in dieser Fülle ein fast unglaubliches Versagen der Ermittlungsbehörden aufzeigen. Das, was derzeit in den Untersuchungsausschüssen zu Tage tritt, ist kaum geeignet, das Gefühl zu erzeugen, in einem Rechtsstaat zu leben. Behörden und Politiker sind ganz offensichtlich auf dem "rechten Auge blind".

In der sich anschließenden Diskussion wurde das noch deutlicher. Ferda Ataman, Journalistin und Mitglied im Verein Neue Deutsche Medienmacher, reflektierte selbstkritisch die Rolle, die die Presse in den Vorfällen gespielt hat. "Wir haben aus einem Konditional einen Aussagesatz gemacht", kommentiert sie das Medienverhalten. Anstatt die Meldungen der Polizei zu hinterfragen, habe man sie übernommen und wie Gewissheiten dargestellt.

Die deutlichste Kritik an der Art und Weise der Aufklärung der NSU-Morde und den Umgang der Ermittlungsbehörden kam vom Anwalt Yavuz Narin, der die Familie des 2005 in München ermordeten Theodorus Boulgarides im NSU-Verfahren (als Nebenkläger) vertritt. Er berichtet über den Verlauf der Untersuchungen und die Behördenfehler. Abschließend fragt er: "Wo war da die Vernunft? Warum hat man bei den Ermittlungen rechte Gewalt ausgeschlossen, obwohl die Aussagen nicht zusammenpassten?" und fordert eine Entschuldigung der Verantwortlichen bei den Angehörigen ein. Denn diese waren häufig und zu Unrecht verdächtigt worden.

Auch Kay Bolick, der in Mecklenburg-Vorpommern Opfern rechter Gewalt hilft, berichtete über ähnliche Erfahrungen. Vor allem er vertrat die Auffassung, dass die Ermittlungsbehörden mehr auf die Hinweise der Opfer und aus deren Umfeld reagieren sollten. Denn diese - so Bolick - wissen am ehesten, wer sie bedroht und woher die Gefahr kommt.

Es war ein anregender, aufregender Abend im vollbesetzten T-Werk. Es ist zu hoffen, dass der Abend dazu diente, die Augen etwas mehr offen zu halten. Und zu hinterfragen, was Medien melden.

A. Swidsinski / F. Nicolai

(Fotos auf den nächsten Seiten)