Wer über ihn schrieb, ist ihm nicht begegnet

(hpd) Der von Anette Großbongardt und Dietmar Pieper herausgegebene Sammelband enthält 24 journalistische Beiträge zum historischen Wissen um Jesus und seine Zeit. Mal mehr, mal weniger deutlich machen die Autoren dabei, dass es an eindeutigen historischen Beweisen für das Denken und Handeln des Religionsgründers mangelt.

Am 24. Dezember feiern Christen die Geburt von Jesu, der als Religionsstifter zu den wirkmächtigsten Figuren der Menschheitsgeschichte gehört. Über sein Leben berichten die Evangelien. Doch was ist davon religiöser Mythos, was war historische Realität? Diese Frage zieht sich wie ein – allerdings ungenannter – „roter Faden“ durch die Beiträge des Sammelbandes „Jesus von Nazareth und die Anfänge des Christentums“, der von den beiden „Spiegel“-Mitarbeitern Annette Großbongardt und Dietmar Pieper herausgegeben wurde. Bereits in ihrem Vorwort weisen sie auf die Problematik von historischen Quellen hin: „Aber handfeste Zeugnisse, die sich eindeutig Jesus oder seinen frühen Gefolgsleuten zuordnen lassen, gibt es nicht. ... Alle sensationell klingenden Meldungen über authentische Fundstücke haben sich aber bisher als Übertreibungen herausgestellt“ (S. 12). Gleichwohl wollen die Autoren und Herausgeber in 24 kurzen Aufsätzen journalistischer Ausrichtung etwas über die historische Epoche des Lebens und Wirkens von Jesu schreiben.

Im ersten Teil geht es um „Das Leben Jesu“ mit Beiträgen über die historische Bedeutung von Jesu, die Frage des sicheren Wissens um ihn und die historische Zuverlässigkeit der Evangelien. Claudia Keller schreibt hier: „Für Christen ist diese Erkenntnis bis heute schwer erträglich: Keiner weiß genau, wie Jesus lebte. Wer dem Mann aus Galiläa begegnete, hat nichts über ihn aufgeschrieben. Wer über ihn schrieb, ist ihm nicht begegnet. Und wenn es Gott war, der die Evangelien inspirierte, dann hat er ihnen eine ziemlich widerspruchsvolle Geschichte in die Feder diktiert“ (S. 45f.).

Der zweite Teil des Sammelbandes enthält Aufsätze über „Die antike Welt“, worin Ergebnisse der historischen Forschung über die erste Hälfte des ersten Jahrhunderts nach Beginn der Zeitrechnung journalistisch vorgetragen werden. Es handelt sich hier um eine besondere Perspektive, erhofft man sich doch mit dem Wissen um die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen jener Jahrzehnte etwas über das Denken und die Lebensumstände von Jesus zu erfahren.

Ähnlich motiviert ist der dritte Teil zum „Alltag in Palästina“, der Abhandlungen über die damalige Arbeitswelt, die Bedeutung von Johannes dem Täufer, die Erkenntnisse der Archäologie oder die Rolle des Weins als religiösem Symbol enthält. Ein beachtenswerter Beitrag von Angelika Franz widmet sich auch „Irrtümer und Fälschungen der Christus-Archäologie“ (S. 148-150). Bezogen auf die immer wieder kontrovers diskutierten Qumran-Rollen schreibt Renate Nimtz-Köster: „Über Jesus und frühe Gestalten des Christentums ist aus den Funden nichts zu erfahren“ (S. 184).

Und schließlich behandelt der vierte Teil „Ein neuer Glaube“ den historischen Kontext für die Entstehung des Christentums als Religion. Hier stehen Themen wie die Person Paulus und die Jünger Jesus, Josephus Flavius als Historiker und die Rolle von Frauen im frühen Christentum im Mittelpunkt. Über die Reliquien heißt es bei Mathias Schreiber kurz: „... faktisch aber wurden sie alle von geschäftstüchtigen Fälschern mit guten Beziehungen zu Totengräbern fabriziert“ (S. 203).

Die Autoren und Herausgeber des Sammelbandes bestreiten nicht, dass es sich bei Jesu um eine historische Person mit herausragender Wirkung handelte. Sie plädieren auch an keiner Stelle für eine atheistische oder christentumsfeindliche Position – wie mancher Gläubige vielleicht vorschnell meinen könnte. Gleichwohl veranschaulichen viele Beiträge entweder im Kerninhalt oder am Rande wie ungesichert die genauen historischen Kenntnisse über Jesus sind.

Es mangelt an aussagekräftigen historischen Beweisen. Die meisten außerbiblischen Quellen stehen unter Fälschungsverdacht. So bemerkt etwa Johannes Saltzwedel zu einer einschlägige Stelle in einer Schrift von Josephus Flavius: „Seit langem sind Historiker deshalb mehrheitlich überzeugt, dass der Passus so nicht von Josephus stammen kann“ (S. 234). Demgemäß findet man in dem Buch auch kaum Aussagen über den historischen Jesus, fehlt dazu doch nach wie vor das nachweisbare Wissen. Nicht nur deswegen darf aber gefragt werden, ob man aus den Mythen eine Religion mit Absolutheitsansprüchen ableiten kann.

Armin Pfahl-Traughber

Annette Großbongardt/Dietmar Pieper (Hrsg.), Jesus von Nazareth und die Anfänge des Christentums, München 2012 (Deutsche Verlags-Anstalt), 287 S., 19,99 €.