Religion in der Defensive (2)

(hpd) Wenn Gott das wüsste, würde er sich im Grab umdrehen: Wie Theologen den Allmächtigen verteidigen (Teil 2)

 

4. Die Neuen Atheisten sind säkulare Fundamentalisten

Der Vorwurf lautet: Die Neuen Atheisten sind ebenso fundamentalistisch, wie die religiösen Fanatiker, die sie kritisieren.

Es kann zunächst einmal keine atheistischen oder säkularen „Fundamentalisten" geben, weil „Fundamentalismus" dasselbe bedeutet wie „Wortgläubigkeit". Und dafür braucht man ein Wort, um wörtlich daran zu glauben. Es gibt jedoch keine atheistische Bibel und Dawkins wird mit dem Gotteswahn kaum sein heiliges Buch selbst schreiben. Christopher Hitchens parodierte den Vorwurf einmal und nannte sich einen „First Amendment Fundamentalist". Er glaubt also im wörtlichen Sinne an die Meinungsfreiheit.

Aber sind die Neuen Atheisten militant oder fanatisch auf irgendeine andere Weise?

Richard Dawkins

Als Paradebeispiel wird hier stets Richard Dawkins genannt. Seltsam, denn Richard Dawkins ist das Vorzeigebeispiel für einen politisch korrekten Linksliberalen. Er ist gegen Bush und gegen den Irakkrieg. Er ist auch gegen das britische Königshaus und gegen Zensuren in Schulen, weil die den Kindern so viel Stress machen. Zu Hause hat er Pferdchen von einem Kinderkarussell und kleine Hunde. Zu dessen Lebzeiten war er eng mit dem Humoristen Douglas Adams („Per Anhalter durch die Galaxis") befreundet, der durch Dawkins Buch „The Blind Watchmaker" zum Atheisten wurde und sich schließlich sogar als „radikalen Atheisten" bezeichnete.

Wo jedoch sind die Parallelen zwischen Adams, Dawkins und den Taliban? Wie viele Selbstmordattentate haben die beiden Schriftsteller bislang verübt? Wie viele Frauen haben sie bislang gesteinigt? Wie viele US-Soldaten haben sie bislang erschossen? Keine. Der Vergleich ist nicht nur falsch, sondern verantwortungslos, weil er den wahren Fundamentalismus verharmlost.

Christopher Hitchens

Christopher Hitchens ist ein überzeugter Befürworter des Irakkriegs und trotz seiner polemischen Wortwahl und seinem Drang, Leute zu beleidigen, die besonders hoch in der gesellschaftlichen Hierarchie stehen, sieht man ihn fast täglich im amerikanischen Fernsehen. Vor kurzem hat er die Clintons mit Vampiren verglichen und sich einen Holzpflock für sie gewünscht, worüber selbst die Moderatoren von FOX News lachen mussten. Provokation ist zweifellos Hitchens Element.

Aber: Für alle Positionen, wie radikal sie auch erscheinen, legt er eine Flut an Argumenten vor.

Er verließ die Linke und bezeichnet sich nun als „parteiloser Radikaler". Und das ist er wohl auch. Ein Fundamentalist, wie etwa die Taliban, das ist er nicht. Die Taliban teilen keineswegs seine Ziele: Emanzipation der Frau, soziale Gerechtigkeit, Gleichheit, internationale Solidarität, Demokratie, Selbstbestimmung und freie Forschung. Und auch nicht sein Mittel: Freie Debatte. So erklären sich auch Hitchens Biographien von George Orwell und Thomas Jefferson. Das einzige, was man ihm vorwerfen könnte, ist die gnadenlose Art, mit denen er seine Gegner behandelt. Und seine Neigung, alkoholisiert, unrasiert und fluchend auf Debatten und in den Abendnachrichten zu erscheinen.

Sam Harris

Ebenfalls seltener als Dawkins Opfer des Fundamentalismus-Vorwurfs ist der Neurowissenschaftler Sam Harris. Dieser Umstand ist ähnlich erstaunlich wie die Schonung von Christopher Hitchens. Sam Harris befürwortet in seinem Buch „Das Ende des Glaubens" nicht nur einen Krieg gegen den Islam, sondern auch die Folter von Terrorverdächtigen. Schließlich gebe es bei Bombardierungen viel mehr Kollateralschäden als bei der Folter, zudem diene sie der Gewinnung von Informationen, die über Leben und Tod unzähliger Zivilisten entscheiden können.

„Das Ende des Glaubens" ist zweifellos ein interessantes Buch voller provokanter Ideen. Beweist es jedoch, dass Sam Harris militant ist oder ein Fanatiker? Nein, denn auch Harris betont stets die Wichtigkeit der freien Debatte, um zu vertretbaren ethischen Lösungen zu gelangen und er lässt sich auch eines Besseren belehren. Obwohl einige seiner Ergebnisse vor der Befürwortung von Gewaltanwendung nicht zurückschrecken, so vertritt er sie doch keineswegs dogmatisch, zudem er wie Hitchens zahlreiche rationale Argumente für seine Positionen nennt.

Was man Harris von Atheistenseite oft vorwirft, ist sein Hang zum Spirituellen. Er verbrachte viele Jahre in Indien beim Meditieren und ist ein großer Anhänger buddhistischer Anleitungen zur Selbst-Erforschung des Bewusstseins. Er betont dennoch klar, dass diese Anleitungen der rationalen Kritik standhalten müssen. Und in der Tat haben Untersuchungen mit buddhistischen Mönchen gezeigt, dass Meditieren das Gehirn auf eine ungewöhnliche Art und Weise stark beeinflusst.

5. Die Aufklärung führte zu KZs und Gaskammern

Das mitunter bizarrste Argument stammt ursprünglich nicht von Theologen, sondern von den beiden Soziologen Theodor W. Adorno und Marx Horkheimer: Man lastet den Neuen Atheisten an, dass die Aufklärung, die sie vertreten, zum Nationalsozialismus geführt habe. Noch immer gilt ihr Essay „Dialektik der Aufklärung" als die intellektuelle Aufklärungskritik schlechthin, entsprechend groß war ihr Einfluss für die postmodernistische Verirrung der Geisteswissenschaften. Erstaunlich daran ist vor allem, wie haarstäubend schlecht dieser Essay ist.

Er ist nämlich, wenn man diese Anhäufung pseudointellektueller Begriffe in verqueren Satzkonstruktionen überhaupt ernst nehmen möchte, nur eine Kritik des Missbrauchs eines Teils der instrumentellen Vernunft, nicht etwa „der Aufklärung", wie Horkheimer und Adorno großmäulig behaupten. Will heißen: Die KZs wurden mit Hilfe einer kühlen, rationalen „Vernunft" gebaut, das nennt sich auch Zweckrationalität. In der Tat. Auch die Gaskammern wurden mit Hilfe dieser Vernunft gebaut und betrieben.

Genau dasselbe gilt für Kindergärten, Flugzeuge, Autobahnen, Hotels, Toaster und Waschmaschinen. Alles, was funktioniert, wurde mittels der instrumentellen Vernunft entworfen und gebaut. Nun haben wir jedoch das Problem, dass diese Vernunft auch missbraucht werden kann, um eben diese KZs, Gaskammern und Atombomben zu bauen. Offensichtlich.

Aber was um alles in der Welt hat das mit dem Projekt der Aufklärung zu tun? Kant defnierte den Wahlspruch der Aufklärung: „Sapere Aude!" - „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen". Dies hatte zur Folge einen Emanzipationsprozess des menschlichen Geistes und schließlich auch des Menschen von der Religion, sowie von der weltlichen Ideologie. Die Aufklärung ging ein Bündnis ein mit dem Erbe der Renaissance - dem Humanismus - und Resultate dieses Emanzipationsprozesses waren bereits vor rund 250 Jahren die Menschenrechte, die Demokratie, die freie Gesellschaft. Der Vernunftbegriff der Aufklärung umfasste schon immer auch ethische Vernunft, lebenspraktische Vernunft, ja eine ganze Menge Vernunft und nicht nur den kühl berechnenden, mathematischen Teil der instrumentellen Version, zudem noch in seiner missbrauchten Variante.

Wer seine Zeit noch weiter mit diesem Essay verschwenden will, findet hier eine fundierte Kritik von Egbert Scheunemann.

6. Die Brights sind Szientisten

Ein Szientist ist jemand, für den die Wissenschaft die Antwort auf alles darstellt, für den sie allmächtig und unfehlbar ist. Für einen Szientisten ist die Wissenschaft Gott.

Das Problem besteht jetzt nur darin: Szientisten können rein logisch nicht existieren, weil die Wissenschaft von ihrem Wesen her ergebnisoffen, sich ihrer Unvollkommenheit bewusst und undogmatisch ist. Genau deshalb gibt es ja so viele Tests und Wiedertests und Nochmaltests von Hypothesen, bis man sie zögerlich zu Theorien erklärt. Oder von Medikamenten, bis man sie zulässt. Oder von Orangensaft, bis er in die Regale von Supermärkten wandert.

Ein Szientist ist, wie Gott, unvorstellbar. Es handelt sich um ein Konstrukt, das dem menschlichen Geist verschlossen bleibt. Weil es sinnlos ist.

Also sind auch die Brights keine Szientisten. Im Gegenteil finden sich unter ihnen Menschen aus jeder Gesellschaftsschicht. Es gibt Gärtner, die Brights sind, Lehrer, Studenten und Professoren, Architekten, Metzger, Postboten und Bademeister. Sie sind nur gleich in einer Hinsicht: Sie glauben nicht an das Übernatürliche.

Sicherlich könnte es dort draußen verrückte oder unmoralische Wissenschaftler geben, wie man sie aus Science-Fiction-Filmen kennt. Aber wenn dem so ist, dann sind dies keine Szientisten.

7. Es muss eine Erste Ursache geben

Auch Thomas Hobbes („Leviathan") war durchaus der Ansicht, es müsse eine Erste Ursache für die Naturgesetze geben, eine Art Tritt in das Hinterteil des Universums, um es zum Laufen zu bringen. Jedoch ließ er die Frage offen, ob diese Erste Ursache Gott oder ein Mechanismus ist. John Locke hielt das Ganze für offensichtlich, auch, dass es natürlich der christliche Gott sein müsse, der da am Anfang steht - der Anglikaner Locke war ein großer Gegner sowohl der katholischen Kirche wie auch des Atheismus. Die Debatte weitergebracht hat erst David Hume, der meinte, dass wir es schlichtweg nicht wissen können, ob es eine Erste Ursache gab oder nicht. Überhaupt können wir nur wenig wissen und müssen ganz schön vorsichtig sein mit unseren Behauptungen. Nur die Offenbarungsreligionen schienen Hume so unlogisch und so stark im Widerspruch zu unseren Beobachtungen, dass er gegen Ende seines Lebens schließlich meinte, wenn er höre, jemand sei religiös, dann halte er ihn für einen Schurken.

Bis vor kurzem waren wir nicht viel weiter als Hobbes und Hume. Was passierte im Moment des Urknalls? Was war vor dem Urknall? Gab es überhaupt ein „vor" dem Urknall? Keine Ahnung.

Doch Anfang 2007 veröffentlichte der Physiker Victor Stenger sein Buch God the Failed Hypothesis: How Science Shows That God Does Not Exist. Es handelt sich um nichts anderes als um den Versuch eines negativen Gottesbeweises. Meiner Einschätzung nach gelingt es Stenger nicht ganz, aber tatsächlich beinahe, diesen Beweis zu erbringen. Sei dem, wie es will, so hat er auf jeden Fall etwas Entscheidendes zum Thema Erste Ursache zu sagen. Ich versuche den für diese Frage relevanten Teil halbwegs korrekt und verständlich zusammenzufassen:

  • 1.Beim Big Bang wurde Energie in Masse umgewandelt.
  • 2.Eine Energieform kann in eine andere umgewandelt werden, so lange die Gesamtenergie eines geschlossenen Systems gleich bleibt.
  • 3.Die Gesamtenergie des Universum beträgt Null, weil die negative Gravitationsenergie die positive Energie der Masse exakt aufwiegt.
  • 4.Der Beginn des Universums, wie wir es kennen, erforderte also keinen Bruch der Energieerhaltung. Es kam keine Energie hinzu und es ging auch keine verloren. Insofern gab es keine „Schöpfung".

Gäbe es einen Bruch der Energieerhaltung, etwa indem plötzlich eine Unmenge von Energie zugesetzt würde, dann käme das einem Gottesbeweis sehr nahe. So jedoch ist das Gegenteil der Fall. Zudem würde man von einem Schöpfer erwarten, dass er mit der Schöpfung Ordnung ins Weltgefüge bringt, im Gegenteil ist das Universum jedoch extrem unordentlich (die Entropie ist groß, siehe 2. Thermodynamisches Gesetz). Nur in einigen Lokalitäten, wie etwa der Erde, ist die Entropie relativ klein, was einzig daran liegt, dass es sich nicht um ein geschlossenes System handelt: Die Sonnenenergie räumt unseren Planeten auf. Wie eine gewaltige Putzfrau.

Theologen machen sich gerne über Atheisten lustig, weil sie angeblich glauben, dass sich das Universum selbst aus dem Nichts erschaffen habe. Es kommt einem fast ein wenig trotzig vor, wenn Victor Stenger genau das behauptet, da es solche Phänomene im Quantenbereich durchaus gibt. Auf die Frage „Warum gibt es etwas und nicht nichts?" antwortet er mit einem Zitat des Nobelpreisträgers Frank Wilczek: „Nichts ist instabil." Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass es etwas gibt und nicht nichts beträgt 60%. Gott wäre also erforderlich gewesen, um ein leeres Universum zu erschaffen, und nicht eines, das mit Planeten, Sonnen, etc. gefüllt ist.

Wer sich in der Lage sehen möchte, Victor Stenger zu kritisieren, der wird wohl oder übel sein Buch kaufen müssen, denn seine Argumentation ist viel umfangreicher. Ein erster Eindruck wurde hoffentlich gewonnen. Sagen wir also, dass eine Welt mit Gott anders aussehen würde als die Welt, in der wir leben, ferner, dass Gott als Erste Ursache überflüssig ist.

Wahrscheinlich hatte Thomas Hobbes (1588-1679) also Recht: Am Anfang war ein Mechanismus.


Fortsetzung folgt...

Andreas Müller

Die Neuen Atheisten
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